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Ein Schiff mit Flüchtlingen vor Lampedusa - Foto: imago/Milestone Media

REGION Dieses Boot ist wirklich voll

Asylbewerber - alles Schmarotzer? KOMMENTAR zur Flüchtlingsproblematik

18.09.14 - Eigentlich hätte mich schon die eine Begegnung am Hünfelder Bahnhof aufwecken müssen: wir waren eigentlich für eine Umfrage unterwegs, als uns eine Frau entgegen kam, um die 50, dunkle Haare, harte Gesichtszüge und vollkommen verhärmt. Sie wirkte so verloren und verzweifelt, dass wir uns ihr Anliegen einfach anhören mussten. „Helfen Sie mir, helfen Sie mir“, rief sie uns entgegen und es war ihr egal, ob die Kamera lief oder nicht. „Ich komme aus dem Irak, mein Mann ist noch da und meine ganze Familie und ich weiß nicht, ob sie noch leben“. Die Frau ist geflüchtet, geflüchtet vor Krieg, Zerstörung und brutalem Mord. Sie ist nur eine von rund 100.000 Asylbewerbern, die im laufenden Jahr nach Deutschland kamen.

Erst am Mittwoch meldete die Frankfurter Rundschau, dass bis zum August gut 1.800 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind – das sind dreimal so viele wie im gesamten Vorjahr. Die Flüchtlinge kommen zum größten Teil aus Syrien, Serbien und Eritrea. Die Zahlen sind mehr als alarmierend und trotzdem scheint es in Deutschland immer noch Leute zu geben, die der Meinung sind, dass es uns schlecht geht und wir keinen Platz für Hilfesuchende haben. Ganz ehrlich, muss ich wirklich so weit gehen und Ihnen die folgende Vorstellung aufzwingen? Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer kleinen Hütte in Syrien. Diese wird zerbombt, all ihr weniges Hab und Gut ist verloren. Ihre Kinder haben vielleicht gerade so überlebt, ihr Partner hat es nicht mehr geschafft. Jetzt wollen Sie nur noch eins: weg hier! Raus aus diesem Land, denn Sie haben Angst. Und dabei rede ich nicht von Angst, nächsten Monat nicht die Handyrechnung zahlen zu können, sondern ich rede von Todesangst.

Sie schlagen sich bis zur Küste durch und werden dann zusammen mit weiteren hunderten Flüchtlingen in ein kleines Boot gequetscht, mit dem Sie übers Mittelmeer schippern. Wenn Sie Glück haben, geraten Sie nicht an mörderische Menschenschmuggler, die – wie in dieser Woche bekannt geworden – ein Boot mit rund 500 Flüchtlingen wissentlich versenkt haben sollen. „Absichtlich, weil sich die Fliehenden geweigert hatten, in ein kleineres Boot umzusteigen.“ (Quelle: FR vom 17.09.2014)

Wenn diese Leute nach Deutschland kommen und froh sind, überhaupt überlebt zu haben und sich freuen, in Sicherheit zu sein, wie begegnet ihnen dann ein Teil der deutschen Bevölkerung? „Diese Schmarotzer!" heißt es da. "Kommen hier her und dann gehen die nicht mal arbeiten!“ Im Ernst? Diese Leute DÜRFEN gar nicht arbeiten. Wer es nicht glaubt, im Asylbewerbergesetz sind seit 1993 die sozialen Leistungen an Asylbewerber geregelt. Im ersten Jahr ihres Aufenthalts gilt für Asylbewerber ein absolutes Arbeitsverbot. Danach wird die Beschäftigung nur in Ausnahmefällen gestattet. Außerdem gilt dann die Vorrangsregel: Kann ein Deutscher den Job machen, muss ein Asylbewerber hinten anstehen. Und diese banale Tatsache sollte jedem deutschen Staatsbürger längst bekannt sein.

Die oben erwähnten Reaktionen von deutschen Mitbürgern auf Hilfesuchende sind übrigens nicht erfunden: man hört sie auf der Straße, in der Sauna, im Fernsehen oder liest sie auf facebook. „Uns geht es auch schlecht“, meinen Leser da tatsächlich schreiben zu müssen. Bullshit! Uns geht es nicht schlecht! Uns geht es so gut, dass wir ohne Weiteres ein bisschen was von unserem Wohlstand abgeben können.

Und um gleich mit dem Vorurteil „die passen sich nicht an“ aufzuräumen: wären Sie nicht mehr als dankbar, wenn Sie in ein vollkommen fremdes Land, auf einen vollkommen fremden Kontinent kommen und dort wenigstens Teile Ihrer Kultur und Ihres Glaubens mitnehmen können? Und dabei ist es egal, ob es sich um Migranten, Flüchtlinge oder Asylbewerber handelt. Dass die Integration von Migranten schwierig ist, liegt an unzähligen Faktoren, die ich hier nicht analysieren kann und möchte. In der aktuellen Debatte steht nur fest, dass ein bisschen Erinnerung an die Heimat das Einzige sein könnte, was den Flüchtlingen und Asylbewerbern (die auch zur Kategorie "Migranten" gehören) nach dem Krieg noch geblieben ist. In einem Krieg, in dem ihre Familie vermutlich getötet wurde. So wie bei der Frau am Hünfelder Bahnhof. (Anne Baumann)

Wer meint, Asylbewerbern gehe es zu gut, kann sich hier ein genaues Bild machen: http://www.welt.de/politik/deutschland/article131805630/Das-Getto-im-zweitreichsten-Landkreis-Deutschlands.html

Wer lieber helfen, statt motzen will, findet hier einen guten Überblick zu Spendenkonten: http://www.tagesschau.de/spendenkonten/spendenkonten-irak-syrien-101.html +++


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