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Margit Settan, Vorsitzende der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung (DFV) e.V. mit Sitz in Seckach (vorn, rechts) besucht die Selbsthilfegruppe in Bad Hersfeld. Gruppensprecherin Ulrike Prause (vorn, Mitte), die anwesenden Frauen und die Gründerin der Selbsthilfegruppe, Heidemarie Schott (ganz rechts) freuen sich über einen angeregten Erfahrungsaustausch. - Fotos: privat

BAD HERSFELD "Patienten werden oft als Simulanten abgestempelt"

Unheilbare Krankheit: Fibromyalgie als Ausschlussdiagnose

25.02.15 - “Es ist teuflisch, an einem Schmerz zu leiden, der keinen Namen hat. Gesegnet sind die, welche mit klassifizierten Krankheiten geschlagen sind“. Diese weisen Worte stammen von dem englischen Schriftsteller George Orwell, der damit vielen Schmerzpatienten aus der Seele spricht. Er meint damit nicht den akuten Schmerz als lebenswichtiges Warnzeichen, der zeitlich und örtlich begrenzt ist und in den meisten Fällen behandelt werden kann, er beschreibt den chronischen Schmerz, der als großflächig, fließend oder brennend beschrieben wird, für den keine Ursache gefunden wird und der Schmerz selbst die Krankheit ist, die zu komplexen Veränderungen im Hormonsystem, Nervensystem, Kreislauf und Motorik führt. Schmerz ist nicht messbar und nicht zu erklären und so leiden viele Betroffene nicht nur unter chronischen körperlichen Beschwerden, sondern auch am Unverständnis vieler Mitmenschen, die die Existenz des Schmerzes anzweifeln. Das bestätigt auch Ulrike Prause, die seit über zwei Jahren die Gruppensprecherin der Fibromyalgie-Selbsthilfegruppe Bad Hersfeld ist.

Schmerzen bekommen einen Namen

Die druckempfindlichen „Tender-Points“ sind punktuell markiert. Ein wichtiger ...

Nach einem Unfall und längerer Krankheit wollte die heute 60-Jährige 2001 wieder in den Beruf einsteigen. Als auch noch ihr Vater starb, bekam sie die ersten Schmerzschübe. In der Schulter-Arm-Muskulatur und in den Oberschenkeln verspürte sie „wellenartige Schmerzen“, die sie sich nicht erklären konnte. „Morgens war es am schlimmsten“, so Prause, die als medizinisch-technische Assistentin beim Gesundheitsamt beschäftigt war. Sie ließ sich bei verschiedenen Ärzten durchchecken und wurde schließlich von einem Radiologen auf Fibromyalgie (Faser-Muskel-Schmerz) hingewiesen. Nach der Diagnose, die in einer Rheumaklinik gestellte wurde, war Ulrike Prause erleichtert, dass ihre unerklärlichen Schmerzen endlich einen Namen hatten.

Symptomatik durch Befunde nicht nachweisbar

Viele Betroffene berichten von einer wahren Ärzte-Odyssee, lassen verschiedene diagnostische Maßnahmen über sich ergehen und doch dauert es derzeit rund sechs Jahre, bis die Diagnose Fibromyalgie gestellt wird. Der Verlauf und die Symptomatik der Erkrankung sind sehr unterschiedlich. Bei Verdacht auf ein Fibromyalgie-Syndrom ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner. Nach den Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Medizin sollten eine vollständige Anamnese durchgeführt, Beeinträchtigungen im Alltag und psychosoziale Stressoren erfragt, ein Ganzkörperstatus und obligate Laboruntersuchungen angeordnet werden. Die Leitlinien sind für Ärzte jedoch nicht bindend. Bestenfalls arbeiten sie zum Wohle der Patienten mit Fachkollegen, spezialisierten Schmerztherapeuten, Neurologen, Psychotherapeuten und Physiotherapeuten zusammen. Bildgebende Untersuchungen wie Röntgen, CT oder MRT-Untersuchungen liefern meistens keine Hinweise. Die Bilder zeigen bei Fibromyalgie normalerweise keine krankhaften Veränderungen. Auch die Blutuntersuchung ist bei Patienten mit Fibromyalgie meist unauffällig.

Druckempfindliche „Tender-Points“ als Hinweis

Die Fibromyalgie ist eine sogenannte Ausschlussdiagnose. Das bedeutet, dass alle anderen infrage kommenden Erkrankungen zunächst ausgeschlossen werden müssen, bevor eine Fibromyalgie-Diagnose gestellt werden kann. Aus diesem Grund wurde von medizinischen Fachgesellschaften eine Reihe von Diagnosekriterien entwickelt. In Deutschlang beruft man sich auch auf die Diagnosekriterien des „American College of Rheumatology (ACR)“. Neben den Schmerzen in verschiedenen Körperregionen, die seit mindestens drei Monaten bestehen müssen, spielen dabei sogenannte „Tender Points“ ebenfalls eine Rolle. Das sind Druckpunkte, an denen sich bei Patienten mit Fibromyalgie typischerweise Schmerzen auslösen lassen. Reagiert der Patient bei elf von achtzehn Punkten auf Druck mit Schmerz, ist dies ein Hinweis auf ein Fibromyalgie-Syndrom. Ebenfalls sollte immer ein Schmerzfragebogen ausgefüllt werden. Muskuloskelettale Schmerzen in mehreren Körperregionen über einen längeren Zeitraum eingehergehend mit Müdigkeit und subjektivem Beeinträchtigungsvermögen definieren das Fibromyalgiesyndrom.

Patienten werden oftmals als Simulanten abgestempelt

Ulrike Prause ist verheiratet und wohnt in dem Bad Hersfelder Stadtteil Kohlhausen. ...

Schon 1994 wurde das Fibromyalgie-Syndrom in die Liste der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen als Erkrankung des Muskel- und Bindegewebes (M 79.7), eine schwere chronische Erkrankung ohne entzündliche Werte, die mit Schmerzen in der Muskulatur einhergeht. 2 – 4 % der Bevölkerung in Deutschland sind betroffen, davon 80 % Frauen und 20 % Männer und Kinder. Die Fibromyalgie ist eine klassische chronische Schmerzkrankheit, die sich dadurch auszeichnet, dass sie körperliche Komponenten hat, aber auch von psychischen und sozialen Einflüssen geprägt wird. Sie verändert das Leben der Patienten gravierend. Chronische Schmerzerkrankungen dringen in alle Lebensbereiche ein, beeinflussen die Partnerschaft und die Berufstätigkeit, die Selbstwahrnehmung, das Selbstwertgefühl, auch die Fähigkeit, am normalen Leben teilzunehmen.

Zusätzlich zu den starken Schmerzen in der Muskulatur, den Extremitäten und des Rumpfes leiden die Betroffenen oftmals unter vegetativen Beschwerden wie funktionelle Atembeschwerden, Herzrasen, Taubheitsgefühlen, Zittern, Schwindel, Reizblase, Wassereinlagerungen und vielen mehr. Dazu kommen Konzentrationsschwierigkeiten, Morgensteifigkeit und Schlafstörungen, aber auch seelische Beeinträchtigungen, vor allem Depressivität und innerer Rückzug. Ist dieses Stimmungstief erst einmal erreicht, werden die Beschwerden oft als psychisch abgetan, die Betroffenen als Simulanten abgestempelt. „Es gibt auch Ärzte, die sagen, diese Krankheit gibt es gar nicht“, beteuert Ulrike Prause und fügt an: „Fibromyalgie wird oft als Krankheit von Frauen mittleren Alters angesehen, die nicht mehr arbeiten wollen und eine Verrentung anstreben“.

Selbsthilfegedanken steht an erster Stelle

Nach ihrem Aufenthalt in einer Fachklinik für Rheumaerkrankungen ist die jetzige Gruppensprecherin auf die Fibromyalgie-Selbsthilfegruppe in Bad Hersfeld aufmerksam geworden. Die Gruppe wurde 2000 von Heidemarie Schott aus Bad Hersfeld gegründet und bis 2012 geleitet. Etwa 70 Mitglieder haben sich der Gruppe angeschlossen, die der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung (DFV) mit rund 5.500 Mitgliedern bundesweit angehören. 20 bis 25 Frauen nehmen an den regelmäßigen Gruppentreffen teil. Dabei stehen die Information und der Austausch über schmerzlindernde physikalische und medikamentöse Therapien und gemeinsames Funktionstraining in der physikalischen Abteilung des Klinikums Bad Hersfeld im Vordergrund. Die Gruppentreffen werden getragen von Gemeinschaftsgefühl, gegenseitiger Wertschätzung und Akzeptanz aufgrund der gleichen Probleme. Aber auch gemeinsame Unternehmungen kommen nicht zu kurz. „Wir sind keine Jammertruppe“, betont Prause in dem Wissen: „Lachen ist die beste Medizin“.

Herausfinden, was gut tut

Ulrike Prause informiert die Frauen in der Gruppe, aber auch bei öffentlichen Vorträgen über die Erkrankung, deren Behandlung schwierig und für jeden Patienten individuell ist. „Ich versuche, so zu leben, wie ich es immer getan habe“, macht Ulrike Prause den Betroffenen Mut und ergänzt: „Man darf sich nicht hängen lassen, seine Hobbys aufgeben oder sich einigeln“. Sie empfiehlt, als Patient die Krankheit in das eigene Leben zu integrieren und bei der Behandlung der Schmerzerkrankung eigenverantwortlich aktiv zu werden. Trotz der großen Beeinträchtigung der Lebensqualität ist diese positive Grundeinstellung bei den meisten Mitgliedern der Gruppe spürbar. Ulrike Prause nimmt heute keine Medikamente mehr und ist fast schmerzfrei.

Gäste willkommen  

Die Gruppentreffen finden jeden 2. Montag im Monat ab 18.00 Uhr im Gasthof Jägerhof in Bad Hersfeld, Homberger Straße, statt. Gäste sind herzlich willkommen. Ulrike Prause bietet dienstags von 19-21 Uhr eine Telefonsprechstunde unter der Tel.-Nr. 06621/73753 an. Heidemarie Schott ist ebenfalls dienstags von 18-20 Uhr unter der Tel.-Nr. 06621/76869 für Hilfesuchende erreichbar.(Gudrun Schmidl)+++


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