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Hochsensibel oder hochbegabt? Verena ANDERS: "Erleben statt Erleiden"
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28.07.15 - Kein anderer bemerkt etwas davon. Die vielen Gäste des Straßencafés plaudern munter weiter – die aufmerksam umherschweifenden Augen von Verena Anders sind an etwas hängen geblieben. Mitten in der intensiven Unterhaltung konzentriert sich ihr Blick auf einen Autofahrer, der seinen Mercedes so nah an einer eisernen Baumeinfassung parkt, dass er seinen Wagen beschädigt.
Wahrscheinlich eine alltägliche Situation. Aber es geht ihr oft so, sie verarbeitet einfach sehr viele Informationen. Geräusche, Temperaturen, vorbeilaufende Passanten, die Stimmung am Nebentisch, das Gegenüber, das Gespräch – die meisten Menschen filtern den Großteil der auf sie einströmenden Informationen heraus. Das menschliche Hirn portioniert sich selbst quasi aus Notwehr verträgliche Häppchen.
Hochsensibilität betrifft 20 Prozent der Menschen
Bei 20 Prozent der Menschen lässt dieser Filter sehr viel mehr Daten durch: Hochsensible bzw. hochsensitive Menschen verarbeiten sehr viel mehr Eindrücke als ein „Durchschnittsdenker“. Durch unterschiedliche Wahrnehmung und Beurteilung kommt es immer wieder zu zwischenmenschlichen Situationen, die Beteiligte vollkommen verschieden erleben und bewerten.
Manchmal scheint ein Mensch nicht mit seinem Gegenüber kompatibel zu sein – er oder sie fühlt sich unter Umständen in der Gegenwart seiner Mitmenschen nicht so richtig wohl, er benimmt sich irgendwie anders, Kommentare wirken deplatziert. Augenrollen, Unverständnis, gar Ablehnung können Resultat dieses Zusammentreffens sein.
Irritiert von unerwarteten Interaktionen werden Hochsensible oft bei ihrem Gesprächspartner missinterpretiert – im Grunde sympathische Personen landen da schon mal in der Schublade „arrogant“ oder „abweisend“. Dabei ist es denen vielleicht gerade einfach viel zu viel – sie zerdenken kleinste Details und werden dadurch schneller überreizt. Das kann einen ganz naheliegenden Grund haben.
Fallstricke im eigenen Verhalten
„Hochsensible verarbeiten ständig ihre Eindrücke von der Umwelt und versuchen, sich anzupassen oder darauf zu reagieren, um möglichst ‚normal’ zu wirken“, erklärt Verena Anders, Beraterin und Coach. Aus eigener Erfahrung kennt die Hochsensible Fallstricke ihrer alten Verhaltensmuster. Einer Veränderung im eigenen Verhalten müsse jedoch das Bewusstsein für das eigene Innenleben vorangehen. „Ist man sich erst einmal seiner besonderen Fähigkeiten bewusst, kann man sie positiv nutzen“, so Anders.
Oft ergibt sich aus Erziehung und erlebten Gesellschaftszwängen ein Ungleichgewicht mit dem eigenen Gefühl, das Innen und Außen lässt sich nur unter größter Anstrengung miteinander vereinbaren. Die Folge sind Erschöpfung, Reizbarkeit oder für andere missverständliche Rückzugstendenzen.
Durch unterschiedlichste Gründe, die nicht selten in Lebens- oder Sinnkrisen zu finden sind, dringen Betroffene zur entscheidenden Frage vor. Zähle ich mich zu den Hochsensiblen, gar den Hochbegabten? Zwanzig Prozent der Menschen sind Hochsensible, nur zwei Prozent Hochbegabte. Letztere sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt – was für ihr Image nicht immer von Vorteil war. Hochsensibilität und Hochsensitivität ist ein bislang unbekannteres Phänomen.
"forum für neue möglichkeiten"
Verena Anders ist nach einigen Jahren in München und Spanien nach Fulda zurückgekehrt. In ihrer Heimatstadt hat sie sich im Frühjahr 2015 mit ihrer Passion wieder selbständig gemacht. Sie coacht neben Unternehmern auch hochbegabte und hochsensible/hochsensitive Privatpersonen im "forum für neue möglichkeiten". Sie berät Betroffene und bietet „Come together“-Treffen an, gibt Seminare. Nicht selten sind es Frauen um die 60, die ihr eigener Leidensdruck auf die Suche geschickt hat. Aber beispielsweise auch Eltern mit Schulverweigerern, Studenten mit Prüfungsblockaden, junge Frauen mit Beziehungsproblemen oder Männer, die beruflich feststecken, suchen Hilfe bei ihr.
Doch auch für Unternehmen sind diese 20 Prozent der Menschheit interessant: „Warum sollte deren großes Potential ungenutzt bleiben? Mit vernetzten Denkstrukturen, visionären Ideen, extremer Kreativität und hohem Gerechtigkeitssinn bieten Hochbegabte und Hochsensible Soft Skills, auf die kein Arbeitgeber verzichten kann. Wenn diese Angestellten ein optimiertes Arbeitsumfeld vorfinden, bringen sie dem Unternehmen ungeheuer viel“, sagt Anders. Und sie weiß, wovon sie spricht.
Prozess- und lösungsorientiertes Coaching
NLP-Business-Master, Diplom-Ingenieurin für Innenarchitektur und Montessori-Pädagogin ist sie – der wandelnde Beweis, was alles möglich ist. Hochsensibilität sei ein aktuelles Thema, das nach und nach bekannter werde. Problematisierung oder Stigmatisierung ist nicht ihr Ding: „Beim Coaching arbeite ich prozess- und lösungsorientiert. Andere Ansätze im Denken bringen neue Möglichkeiten für das Fühlen und schließlich auch für das Handeln. Ich möchte Menschen für Wandlung begeistern – weg vom Erleiden hin zum Erleben!“
Eine Karussellfahrt der Über- und Unterforderung, immer eine Spur zu schnell, sodass die Fliehkräfte an der eigenen Spur zerren – so muss es nicht sein. Hochbegabte und Hochsensible haben tolle Möglichkeiten. sie müssen nur lernen, mit ihnen umzugehen.
So ein Potential sollte genutzt werden – getreu dem Motto des "forum für neue möglichkeiten": Sie können auch Anders. (Anna Medlin)+++