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- Symbolbild: Axel Hoffmann / pixelio.de

REGION 30 Jahre nach Tschernobyl

Vier Osthessen erinnern sich an die schreckliche Nuklearkatastrophe

26.04.16 - Auf den Tag genau 30 Jahre ist es her, dass eine der größten Nuklearkatastrophen der Welt die Menschheit erschütterte. Wir wollten von vier Osthessen wissen, mit welchen Gedanken sie sich an den 26. April 1986 erinnern.

Thomas Budde (51):

„,In einem sowjetischen Atomkraftwerk ist es zu einem schweren Störfall gekommen …' Mit dieser Meldung weckte mich mein Radiowecker. Spontan dachte ich: ,Mal sehen, wie die Russen das wieder hinbekommen, und was bedeutet das für uns?' Ich studierte in dieser Zeit in Köln. In den nächsten Tagen bekam ich mit, dass die Stadtverwaltung Strahlenproben auf Spielplätzen und bei Lebensmitteln nahm. Manchmal mit dem Unverständnis einiger Bürger. Die Tschernobyl-Katastrophe hatte für mich drei Auswirkungen: Den für 1987 geplanten Polen-Urlaub habe ich verschoben, bei Lebensmitteln aus der Ukraine sind wir bis heute vorsichtig, und meine Skepsis gegenüber der Atomkraft hat sich zu einer klaren Ablehnung entwickelt."

Andreas Hoffmann (48):

"1986 lebte ich in Nordthüringen und arbeitete in einer Werkstatt für ukrainische Autos. Dort gab es ein altes Röhrenradio, auf dem die meiste Zeit hr3 lief. (Ja Westradio!) So haben wir von Tschernobyl erfahren. Zunächst war das ja alles weit weg. Irgendwo in der Sowjetunion. Auffallend war, dass es so eine Meldung überhaupt gab; war doch die Informationspolitik im Ostblock und insbesondere in der Sowjetunion alles andere als transparent. Den Radiomeldungen war zu entnehmen, dass es sich um ein ganz außergewöhnliches Ereignis handeln musste. Aber erst in den folgenden Tagen wurde die Sache in ihrer Bedeutung so richtig klar. Hohe Radioaktivität in Bayern. Radioaktivität in hessischen Lebensmitteln. Und dazwischen, also in Thüringen? Nichts! In den Ostmedien hieß es, dass hier und da und ganz gering und wenn, dann kaum zu messen. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass atomarer Niederschlag über "Bruderstaaten" hinweg zieht.

Es gab tatsächlich große regionale Unterschiede der Belastung. Die DDR-Nachrichten waren aber so abwegig, dass sie wenig glaubhaft erscheinen konnten. Mir persönlich ist im Frühjahr 1986 neben der Tatsache, dass Atomkraft keine sichere Energiequelle ist, auch ganz deutlich klar geworden, welche Bedeutung freie und unabhängige Medien haben. Mit dieser Erfahrung schmerzt das Naziunwort ,Lügenpresse' um so mehr."

Ute Riebold (57): 

Foto: Walter M. Rammler

"Wie ich den 1. GAU-Tag des Atomkraftwerks Tschernobyl , also den 26. April 1986, erlebt habe, ist mir nicht in Erinnerung geblieben, da die Katastrophe ja erst am Abend des 28. April 1986 bekannt wurde. Förmlich eingebrannt in mein Gedächtnis hat sich mir jedoch, wie ich davon erfuhr: Ich saß zu Hause (damals lebte ich am Aschenberg) und war froh, dass meine älteste und damals einzige Tochter schlief. Ich machte den Fernseher an, schaltete durch die verfügbaren Programme (das ging damals ja recht flott) und freute mich, dass auf einem Sender gerade eine Nachrichtensendung anfing. Die Nachricht von einer ,Havarie an einem sowjetischen Kernkraftwerk' ließ mich geradezu erstarren. Der Nachrichtensprecher schien ziemlich irritiert – ich sah förmlich, dass er genau wie ich die „Havarie“ insgeheim in ,GAU = Größter anzunehmender Unfall' übersetzte. In Schweden war bereits erhöhte Radioaktivität gemessen worden – es brauchte nicht viel Phantasie, um zu befürchten, dass das Zeug ja dann wohl auch in Kürze Deutschland erreichen würde. 

Die nächsten Tage habe ich nur verschwommen erlebt – ich hatte so eine schreckliche Angst um meine damals zehn Monate alte Tochter. Das folgende Wochenende war für viele derjenigen, die sich das beruflich einrichten konnten, ein ,langes', das mit Donnerstag, 1. Mai begann. Meine Schwester kam mit ihrem Sohn zu Besuch aus Kassel. Sebastian ist nur 20 Tage älter als Natascha. Für einen der Tage dieses ersten Maiwochenendes hatten sich einige Leute unseres Grünen-Kreisverbandes – schon lange vor dem GAU - zu einem Picknick im Grünen verabredet. Mittlerweile hatte es bereits geregnet – die Wiesen hatten also schon eine Portion radioaktiven Fallout abbekommen – und meine Schwester und ich hatten total Angst, dass unsere beiden Kinder mit dem Gras in Berührung kommen. Mit gut zehn und grade elf Monaten waren die beiden natürlich sehr entdeckungsfreudig. Es war ein wunderschöner sonniger Frühlingstag auf einer wunderschönen Wiese – und wir hatten totale Angst. Das werde ich nie vergessen. Ich weiß nicht, wie wir den Tag rumgekriegt haben.

Monatelang hatte ich Furcht vor Regen. Regenkleidung hatte ich immer dabei. Diese säuberte ich stets sorgsam, wenn sie nass geworden war. Straßenschuhe haben wir natürlich konsequent vor der Wohnungstür stehen gelassen.
In den Lebensmittelabteilungen stand ich oft ziemlich ratlos. An Milchprodukte traute ich mich kaum ran. Bioprodukte waren damals lang noch nicht so weit verbreitet wie heute – und biologischer Anbau schützt ja auch gar nicht vor dem Fallout. Also versuchte ich die Herkunft der Lebensmittel zu ergründen. Zum Beispiel schienen mir Milchprodukte aus Süddeutschland problematischer als hessische, da Bayern mehr Fallout abbekommen hatte.

Ich hatte seit Beginn der Anti-Atombewegung – also seit über die Gefahren der ,friedlichen' Nutzung der Atomkraft berichtet wurde – große Angst vor dieser Technik – dennoch hatte ich nicht gedacht, dass die Folgen eines solchen Unfalls mich tatsächlich so unmittelbar treffen würden. Als ich knapp 25 Jahre später, am 11. März 2011, die erste Nachricht aus Fukushima hörte, war mein erster Gedanke ein sehr egoistischer: Wo ist Sebastian? Mein Neffe ist überaus asien-affin und war auch einige Male in Japan. Zum Glück befand er sich zu der Zeit in Deutschland.

Ich bin sehr froh, dass Deutschland dabei ist, aus dieser Technik auszusteigen – doch eigentlich beginnen die Probleme ja erst richtig. Die Lagerung der Rückstände aus dieser sechs Jahrzehnte währenden sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie wird die Menschheit noch viele, viele Jahrtausende vor Herausforderungen stellen. Und die Atommeiler unserer Nachbarländer und darüber hinaus bedrohen uns ja auch weiterhin. All das sollte uns doch genug Mahnung und Ansporn sein, unsere Energieversorgung auf Techniken umzustellen, die uns und unsere Lebensgrundlagen nicht schaden und auch ohne große Probleme wieder rückgebaut werden können." 

Lothar Jestädt (48)

"Ich kann mich noch vage an die erste Meldung über erhöhte Strahlungswerte in Schweden und Finnland erinnern, aber dank google und youtube kann man diese Erinnerungen auffrischen. Jedenfalls gab es erst über 60 Stunden nach dem Unfall von Tschernobyl die erste Meldung: Es hieß, dass es ein Problem geben "könnte". Und auch drei Tage nach dem Unfall wurde von offizieller Stelle eine Gefährdung für die Bevölkerung in Deutschland ausgeschlossen. Aber noch heute müssen im Bayrischen Wald und weiten Teilen von Deutschland, Wild und Pilze auf Radioaktivität aus Tschernobyl untersucht werden. Für zu stark belastete Lebensmittel werden Entschädigungen gezahlt, und die Lebensmittel müssen entsorgt werden. Auch hier werden Grenzwerte bewusst hoch gehalten und vieles kleingeredet und verschwiegen.

Leider hat sich diesbezüglich nicht viel geändert. Wenn ich an die Meldungen zu den Belgischen Reaktoren Doel und Tihange denke. Es gibt bekannte Risse im Druckbehälter, Störmeldungen werden heruntergespielt etc.
Kernenergie ist weder sicher, noch umweltfreundlich, besonders wenn ich an die Gewinnung von Kernbrennmaterial denke, und wir sind zu 100% von Import von Uran abhängig, und preiswert ist es auch nicht. Es wurden hunderte von Milliarden Euro Steuermittel in die Forschung und Entwicklung gesteckt, Steuererleichterungen und Haftungsbeschränkungen beschlossen, und mit den noch zu erwirtschaftenden Gewinnen für die Entsorgung sieht es bei den großen Kraftwerksbetreiben mehr als schlecht aus. Aber auch hier kommt aus der Politik nur Beschwichtigendes, obwohl es für jeden offensichtlich ist, dass der Steuerzahler mal wieder der Dumme sein wird.

Mit unserer Lebensweise sind wir von elektrischer Energie sehr abhängig. Glücklicherweise zeigen erste Energieeffizienzmaßnahmen Wirkung, und der Stromverbrauch geht seit dem Höchstwert in 2008 mit 542,2 TWh auf 2014 mit 511,5 TWh leicht zurück. Dazu werden inzwischen über 30% des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen und machen immer mehr Kernkraftwerke und auch Kohlekraftwerke überflüssig. Die Errichtung von Kraftwerken und Speichern zur Nutzung erneuerbaren Energien verbraucht für die Errichtung zwar auch reichlich Ressourcen, aber für den Betrieb und die Stromerzeugung ist der Bedarf marginal. Es sind aber auch im Bereich Verkehr und Wärme viel größere Anstrengungen erforderlich, um Energie einzusparen und weniger Ressourcen zu verbrauchen." (Suria Reiche) +++


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