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ALSFELD Dreieinhalb Jahre Knast

Rentnerin (75) verscharrt Mitbewohnerin und kassiert Rente - VIDEO

06.04.16 - 67 Minuten hat sich Richterin Kathrin Knöß Zeit genommen, um ihr Urteil zu begründen: Marie-Luise S. (75) geht für drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Sie hat ihre ehemalige Mitbewohnerin Elise W., die bereits vor über zehn Jahren verstorben bist, im hauseigenen Garten in Grebenhain (Vogelsbergkreis) vergraben und insgesamt 135.000 Euro an Renten- und Versicherungsleistungen kassiert.

Ein kleines Gemüsebeet mit Tomaten pflanzte die Angeklagte auf dem 'Grab' im heimischen Garten. "Ich mag gar keine Tomaten. Deshalb habe ich die Früchte an die Nachbarn verschenkt", erzählt die 75-Jährige seelenruhig. Mit dem Geld der im Garten Verscharrten hat sie zudem eine Begräbnisversicherung abgeschlossen, um eine pietätvolle Beerdigung für sich zu finanzieren. Die makabren Fakten werden abgerundet durch den Straßennamen in Grebenhain: Marie-Luise S. wohnt in der Friedhofsfraße.

Vier Mal benutzte die Richterin das Wort „ruchlos“, denn in ihren Augen war das Motiv der Angeklagten klar: Sie wollte schon seit 1989, seitdem sie Elise W. bei sich aufgenommen hat, an das Geld der Seniorin. „Sie haben sich ein System der Abhängigkeit dieser hilfsbedürftigen Frau aufgebaut, das auch über den Tod hinaus noch funktioniert hat, und sie zeigen nicht den Hauch von Reue oder Bedauern.“

Seit dem Tod ihres Mannes Anfang der 80er hatte Marie-Luise S. Geldsorgen - der Gerichtsvollzieher war beinahe ein Stammgast. 1989 sprach sie Elise W. an, ob sie nicht zu ihr in ihr „Häuschen“ ziehen wolle. „Ich habe sie gepflegt. Natürlich hat sie auch hier und da mal 100 oder 200 Mark zum Haushalt beigetragen“, räumt die 75-Jährige während der Beweisaufnahme ein. Die meiste Zeit hält sie aber die Faust vor ihr Gesicht. Dass ihr leid tut, was sie getan hat, kam während der zwei Verhandlungstage nicht über ihre Lippen.

Fotos (4): Julius Böhm

Das Anwesen in Grebenhain Foto: Tobias Winge

Der Gesundheitszustand von Elise W. wurde im Laufe der Zeit immer schlechter, 2003 übernahm die Angeklagte offiziell die Pflegepatenschaft und auch die Vollmacht über die Finanzen. Im Januar 2005 verstarb die damals 81-Jährige - die Staatsanwaltschaft kann nur vermuten, dass es ein natürlicher Tod war. Vier verschiedene Geschichten, wie die Leiche begraben wurde, tischte Marie-Luise S. während der Verhandlungen auf. Ihr Bruder, der 2006 starb, soll ihr geholfen haben. Das Gericht bestreitet das, weil er an Lungenkrebs litt, und deshalb schwere körperliche Tätigkeiten unrealistisch waren. Die ständig wechselnden Geschichten der Angeklagten brachten auch Staatsanwalt Thomas Hauburger auf die Palme: „Ich finde es eine Unverschämtheit, was Sie uns für Lügen auftischen. So etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Er plädierte auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. „Ich war vor der Verhandlung fest davon überzeugt, dass ich mich für eine Bewährungsstrafe entscheiden würde. Aber mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass die Tat durch eine niedere Gesinnung begründet ist - faktisch wollte die Angeklagte an das Geld.“ Dennoch legte er auch dar, dass einen Teil der Schuld die drei betrogenen Versicherungsstellen haben: „Es handelt sich um ein Multiorganversagen, das niemand bei Rentenversicherung, Bundesausgleichsamt und der Pflegeversicherung Barmer (die drei Geschädigten, d.Red.) bemerkt hat, dass Frau W. seit Jahren tot ist.“

Zeuge Roland H. (76) war Krankenpfleger und überprüfte die Pflegestufe der Verstorbenen. Ganze fünf Mal bescheinigte er die Pflegebedürftigkeit, obwohl Elise W. bereits tot war: „Zwei oder drei Mal kann es passiert sein, dass ich im guten Glauben den Angehörigen vertraut habe - heute muss ich davon ausgehen, dass mir in den anderen Fällen ein Theater vorgespielt wurde.“ Auch Margarete K. bestätigte den Pflegebedarf einer Toten. Sie packte zumindest das schlechte Gewissen, woraufhin die Diakonie nach dem Befinden von Frau W. fragte - die Angeklagte sagte, sie sei weggezogen. In den Fällen Barmer Pflegeversicherung und Rentenversicherung handelte es sich nur um ein Unterlassen der Todesmeldung. Im Falle des Bundesausgleichsamt - einer Institution für Kriegshinterbliebene - wurde die Angeklagte jedoch aktiv und fälschte die Unterschrift der Toten, um an insgesamt 74.000 Euro zu gelangen.

Pflichtverteidigerin Daniela Elger gab den Kassen einen Großteil der Schuld: „Hätten die besser geforscht, wäre die Summen viel geringer ausgefallen.“ Zudem berief sie sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg, wonach die Angeklagte nicht die Pflicht gehabt hätte, den Tod zu melden - keine Garantenpflicht gehabt hätte und somit kein Betrug vorläge - sie forderte eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten.

Richterin Knöß aber entkräftete die Argumentation: „Seit 2003 trat die Angeklagte auch nach außen hin als offiziell Verantwortliche für die Verstorben, die immer mehr Hilfe benötigte, auf. Sie übernahm auch die finanziellen Angelegenheiten - das bringt auch rechtliche Pflichten nach dem Tod mit sich, auch das Melden des Todes.“ In zwei Verhandlungstagen wurde das komplizierte Verhältnis der beiden Seniorinnen bis ins Detail aufgearbeitet. „Es war die mindeste Ehre, die wir Elise W. als Gericht erbringen konnten, dass wir den Fall nicht schnell abgehandelt haben, sondern die ganze Geschichte aufgearbeitet haben.“ Marie-Luise S. sagte auch dann, als sie das letzte Worte hatte, nichts. (Julius Böhm) +++


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