Archiv
Lieben, bis es weh tut... von Bischof Heinz Josef Algermissen
01.09.16 - "In einem gutbürgerlichen Elternhaus kam Agnes Gonxha Bojaxhiu 1910 im damals türkischen, später jugoslawischen Skopje zur Welt. Ihre Jugendfotos zeigen ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit ein wenig träumerischen Augen. Agnes besuchte die Höhere Schule, zeigte große Begabung für Musik. Doch mit 18 Jahren entschloss sie sich zu einem Leben in der Bengalenmission. Sie trat bei den Englischen Fräulein ein, ließ sich in Dublin zur Lehrerin ausbilden. In der St. Mary’s High School in Kalkutta unterrichtete Schwester Teresa, wie sie jetzt hieß, jahrelang Erdkunde und stieg bis zur Direktorin auf. Die 500 Schülerinnen kamen aus der schmalen bürgerlichen Oberschicht Kalkuttas.
Aber gleich hinter den Mauern der High School erstreckt sich ein riesiger Slum, der Pestgeruch des Elends dringt in den College-Bezirk. Schwester Teresa nimmt ein paar Schülerinnen mit, greift zu Jod und Verbandszeug, hilft, wo sie nur kann, und hat ein schlechtes Gewissen, wenn sie in ihr schönes möbliertes Kloster zurückkehrt.
Mit 36 Jahren fasst sie 1946 den Entschluss, noch einmal neu zu beginnen. Teresa vertauscht die Ordenstracht mit dem Sari der Armen Indiens, macht einen Elementarkurs in Hygiene und Krankenpflege, mietet in Kalkutta, mitten im Slum, eine Hütte, sucht sich ein paar Kinder und bringt ihnen das Alphabet bei. Sie geht betteln, um halbverhungerten Familien Essen bringen zu können, pflegt Kranke, besucht die Spitäler. Vielleicht hätte Teresa nicht durchgehalten, wären da nicht die jungen Mädchen gewesen, die sich ihr anschlossen und genauso zäh gegen die Not kämpften. Die meisten von ihnen waren ehemalige Schülerinnen Teresas. Im Jahre 1950 wurde der neue Orden der Missionaries kirchlich anerkannt.
Wo kam die Energie dieser kleinwüchsigen, mageren, immer ein wenig gebeugt gehenden Frau her? Sie sprach leise, ohne Pathos, einfach wie eine alte Bäuerin über das Beten, die Armut und den guten Gott. Aber auch in Universitäten und Kongresszentren war ihr gebannte Aufmerksamkeit sicher. Ihre Gesprächspartner verblüffte sie durch Schlagfertigkeit. Einem amerikanischen Journalisten, der sie erschrocken beim Versorgen einer brandigen, stinkenden Wunde beobachtete und gestand: „Nicht für eine Million Dollar würde ich das tun!“, erwiderte sie lachend: „Ich auch nicht!“ Sie tat es für Gott. Zu ihm hatte Mutter Teresa eine Beziehung wie ein Kind zu seinem Vater. Sie fand ihn nicht in philosophischen Weltmodellen oder mystischen Erlebnissen, sondern hautnah in jedem Menschen, der ihr über die Weg lief. Das war wohl ihr Geheimnis. Und ihre absolute Sicherheit: „In der Heiligen Kommunion haben wir Christus in der Gestalt von Brot. In unserer Arbeit finden wir ihn in der Gestalt von Fleisch und Blut. Es ist derselbe Christus. Ich war hungrig, ich war nackt, ich war krank, ich war obdachlos…“ Ein paar Stunden oder Tage menschliche Zuwendung, Wärme, ein Lächeln nach einem freud- und trostlosen Leben ? für Mutter Teresa war das keine sinnlose Mühe, auch wenn viele mit ihren bürgerlichen Wertmaßstäben dieses Engagement gar nicht verstanden.
Als das Leben der kleinen Nonne am 5. September 1997 verlosch, 87 Jahre war sie alt geworden, war sie längst zu einem Symbol für die Konsequenz einer radikalen Glaubenspraxis geworden. Am 19. Oktober 2003, nur sechs Jahre nach ihrem Tod, wurde Teresa im schnellsten Verfahren der Neuzeit von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. An diesem Sonntag erfolgt ihre Heiligsprechung durch Papst Franziskus. Ihr Leben ist ein Licht in einer Welt voller Zwielichtigkeit und Schatten, ein Beispiel christlicher Barmherzigkeit."
Vorstehender Beitrag erscheint als „Wort des Bischofs“ in der Kirchenzeitung „Bonifatiusbote“ vom 4. September 2016. +++