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FULDA Deutsche Bischofskonferenz

Fakten zum Thema Armut - Kardinal WOELKI, Margurit ASSMANN, Prälat NEHER, Prof. BUDE

21.09.16 - Beim heutigen Pressegespräch zum Studientag der Herbst-Vollversammlung äußerten sich zum Thema
„Gemeinsam mit Gott hören wir einen Schrei - Armut und Ausgrenzung als Herausforderung für die Kirche und ihre Caritas“  Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln), Vorsitzender der Caritaskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Prälat Dr. Peter Neher (Freiburg), Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Prof. Dr. Heinz Bude (Kassel), Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel und Marguit Assmann (Frankfurt), ehrenamtlich bei der Caritas Frankfurt tätig.


Daten und Fakten zum Thema Armut

• Risiko der Einkommensarmut Als armutsgefährdet gelten Menschen, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren  bedarfsgewichteten Einkommens (Median) der Bevölkerung auskommen müssen. Laut  Mikrozensus lag das Armutsrisiko 2014 bei 15,4 % (2010: 14,5 %). Die Armutsrisikoschwelle  lag für einen Einpersonenhaushalt bei 917 Euro (2010: 826 Euro). Die Armutsrisikoschwelle  einer Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag bei 1926 Euro. Besonders vom Armutsrisiko betroffen waren Alleinerziehende (41,9 %) sowie Alleinlebende  (25,6 %) und Familien mit drei und mehr Kindern (24,6 %). Kinder weisen mit 19 % ebenfalls  ein überdurchschnittliches Armutsrisiko auf. 57,6 % der Arbeitslosen und 30,8 % der gering  qualifizierten Menschen waren armutsgefährdet. Von den Erwerbstätigen waren 7,6 % armutsgefährdet. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind stärker armutsgefährdet:  Während 12,5 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund betroffen sind, sind es 26,7 %  der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und 32,5 % der Bevölkerung ohne deutsche  Staatsangehörigkeit.  (Datenquelle: Mikrozensus)

• Menschen in Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) Im Mai 2016 lebten 6,2 Mio. Menschen in Bedarfsgemeinschaften der Grundsicherung für  Arbeitsuchende. Insgesamt war jeder 10. Haushalt in Deutschland hilfebedürftig. Bei den  Einpersonenhaushalten waren es 13 %, bei den Alleinerziehenden 37 % und bei den Paaren  mit drei und mehr Kindern 17 %. Nur 3,3 % der Paare ohne Kinder, 5,8 % der Paare mit einem  Kind und 6,6 % der Paare mit zwei Kindern waren hilfebedürftig. Im Dezember 2015 lebten 1,9  Mio. Kinder unter 18 Jahren in Haushalten, die Leistungen der Grundsicherung für  Arbeitsuchende bezogen. Das waren 13,8 % aller Kinder unter 18 Jahren. Im Dezember 2015 bezogen 62 % der Grundsicherungsempfänger ihre Leistungen schon  länger als zwei Jahre. 44 % bezogen ihre Leistungen vier Jahre oder länger.  (Datenquellen: Bundesagentur für Arbeit, Statistik: Grundsicherung für Arbeitsuchende in Zahlen, August  2016 und Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, Kinder in  Bedarfsgemeinschaften, Dezember 2015)

• Wohnungslosigkeit Da es keine Wohnungslosenstatistik in Deutschland gibt, kann die Anzahl der wohnungslosen  Menschen nur geschätzt werden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt,  dass 2014 circa 335.000 Menschen ohne Wohnung waren. Rund 39.000 Menschen lebten laut  dieser Schätzung 2014 auf der Straße, ohne jegliche Unterkunft. Seit 2012 sind beide Zahlen  deutlich gestiegen. 

• Regelbedarf in der Grundsicherung für Arbeitsuchende Die Regelbedarfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende liegen derzeit bei 404 Euro für  Alleinstehende, 364 Euro für Paare, 306 Euro für Kinder zwischen 14 und 17 Jahren, 270 Euro  für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren und 237 Euro für Kinder zwischen 0 und 5 Jahren.  Derzeit befindet sich ein Referentenentwurf zur Neubemessung der Regelbedarfe im  politischen Abstimmungsprozess. Der Entwurf sieht – abgesehen von einer veränderten  Berechnungsweise der Bedarfe für Mobilität – keine größeren Änderungen in der Bemessung  vor.  Der Deutsche Caritasverband übt an der Berechnung der Regelbedarfe in mehreren Punkten  Kritik. Alleine wenn die Ausgaben für Strom nach den tatsächlichen Bedarfen der  Grundsicherungsempfänger berechnet werden würden, ergäbe sich für Alleinstehende eine  Erhöhung des Regelbedarfs um etwa zehn Euro. In einer älteren Berechnung, die sich auf die  derzeitig geltenden Regelbedarfe bezieht, würde eine Berücksichtigung sämtlicher  Forderungen der Caritas einen zusätzlichen Bedarf in Höhe von etwa 60 Euro im Monat  ergeben. 

Statement von Kardinal Rainer Maria Woelki (Köln) zum Studientag „Gemeinsam mit Gott hören wir einen Schrei – Armut und Ausgrenzung als Herausforderung für die Kirche und ihre Caritas“ 

„Die deutschen Bischöfe wissen viel über Armut, über ihre Ursachen und über ihre Bekämpfung. Wir tun viel für Arme – das könnte man in Heller und Pfennig belegen. Wir sind Dienstgeber eines großen katholischen Wohlfahrtsverbandes und die katholischen Hilfswerke helfen weltweit dort, wo die Not am größten ist. Aber – so müssen wir selbstkritisch fragen – was haben wir mit Armen wirklich zu tun? Der heutige Studientag befasst sich aus vielen Perspektiven mit der Lebenslage  Armut. Ziel dieser Befassung ist, die Armen nicht nur als Empfänger unserer  Hilfe zu sehen und uns selbst als mildtätig. Die Deutsche Bischofskonferenz  ist ja kein Charity-Verein, sondern der Zusammenschluss von Bischöfen, die  u. a. Beim Empfang ihrer Bischofsweihe versprochen haben, den Armen,  Heimatlosen und Notleidenden wirklich zu helfen. Diese Hilfe wird von den Mitarbeitenden der katholischen Wohlfahrtspflege und den katholischen Hilfswerken hervorragend geleistet; aber das darf für uns Bischöfe kein Freifahrt-Schein sein, bereits alles in unserer Macht Stehende getan zu haben. Es gibt – wie der Heilige Vater mit unüberhörbarer Deutlichkeit betont – viele  Arten von Mittäterschaft. „… Die Hände vieler triefen von Blut aufgrund einer  bequemen, schweigenden Komplizenschaft“ (EG 211). Was, frage ich mich, heißt das für uns? Befinden wir uns in bequemer,  schweigender Komplizenschaft? Die Antwort muss wohl jeder für sich geben. Aber, eines ist sicher: Die Art und Weise, wie wir hier in Deutschland wirtschaften, konsumieren und produzieren, hat Auswirkungen auf die 
Lebensmöglichkeiten von Menschen auf dem ganzen Erdball. Wir sind herausgefordert. Haben die Armen in unserem Verständnis tatsächlich einen bevorzugten Platz im Volk Gottes? Nehmen wir wahr, was die Armen uns lehren? Lassen wir uns wirklich von ihnen evangelisieren? Es geht bei der Lebenslage Armut nicht nur um ein Thema, von dem „andere“ betroffen sind – es geht auch um uns und unsere Haltung im Umgang mit und im Zugang auf
und in der Beziehung zu Armen. Solange Arme nur Hilfeempfänger sind, mit denen niemand etwas zu tun haben will, bleiben sie: Ausgeschlossene. Bei diesem Studientag setzen wir Bischöfe uns mit einer Lebenslage auseinander, die sich niemand freiwillig ausgesucht hat und die zu wenden neben aller Hilfe auch bedeutet, die Wundmale Christi in den Ausgeschlossenen und sie als wirkliche Brüder und Schwestern zu erkennen.

Statement von Margurit Assmann, Caritasbeauftragte im Pfarrgemeinderat von St. Johannes Apostel (Frankfurt-Unterliederbach)

"Unsere Pfarrei, das ist sie noch bis 2018, hatte schon immer ein großes Herz für caritative Anliegen und für Menschen in Notlagen. Wir liegen im Frankfurter Westen und nach den Kriegen wurden immer große Siedlungen gebaut. Menschen aus verschiedenen Standorten, Konfessionen und Religionen wurden wahllos zusammengepfercht, was oft zu Problemen führte. Unterliederbach wurde durchzogen von sozialen Brennpunkten. Gott sei Dank liegen unsere Pfarrkirche, das Gemeindehaus und die Kita mittendrin. Ein einschneidendes Erlebnis für den Pfarrgemeinderat war die Abmeldung eines eifrigen Kommunionkindes. Wir merkten, dass die Mutter Angst vor der Feier und der Ausstattung hatte. Mit vereinten Kräften und sehr sensibel haben wir es geschafft, dass dieses Mädchen bis heute, jetzt erwachsene Frau und Mutter, gern in St. Johannes ist. Der Caritasverband und der damalige Pfarrer erkannten die Chance, den Pfarrgemeinderat einzubinden in feste Beschlüsse und Verbindlichkeiten, sich den Menschen zuzuwenden. Seit 1992 nach einem Pfarrgemeinderat-Wochenende in Tiefenthal ist das Thema Caritas auf jeder Tagesordnung der Pfarrgemeinderatssitzungen. Zu Beginn hatte ich Angst, dass man laut aufstöhnt, weil andere Themen gefälliger und beliebter sind. Aber wir haben es geschafft, einen Verein gegründet, der uns Freiheit gibt, Geld auszugeben und Geldspenden zu bekommen. Die Satzung ist mit der Gemeinde verankert. Wir genießen hohes Ansehen, die Lebensberatung gibt es 17 Jahre, das Ehrenamt in den Kleiderläden seit 2001, ebenso das Hilfenetz. Das Feriendorf Hübingen belegen wir mit sogenannten Caritasfamilien nach Empfehlung der Seelsorger oder Erzieher für eine Woche mit pädagogischem Programm. Unsere Ehrenamtlichen werden begleitet und fortgebildet, wann immer es notwendig ist.Die Caritasverbände in Frankfurt und auf Diözesanebene kümmern sich gut. Alle Zelebranten in unserer Pfarrkirche gestatten, dass wir vor dem Segen caritative Vermeldungen, bekannt 
geben dürfen, das sind kurze Wege und die Gemeinde trägt alles mit. So sind wir in St. Johannes froh, nah bei den Menschen zu sein.

Statement von Prälat Dr. Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes

"Armut und Ausgrenzung sind zentrale Herausforderungen unserer Zeit. Und eine Gesellschaft zeigt ihre Humanität gerade im Umgang mit den Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Die Hilfe für diese Menschen ist ein zentrales Handlungsfeld kirchlicher Caritas, sei sie gemeindlich, verbandlich, ehrenamtlich oder beruflich organisiert. Ein Weg, Armut zu erfassen, ist die Zahl derjenigen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, das sogenannte Hartz IV und die Grundsicherung im Alter. Sieben Millionen Menschen sind derzeit darauf angewiesen. Hartz IV soll von der Idee her vorübergehend unterstützen, bis der Einstieg oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gelungen ist. Aber es gibt mehrere Hunderttausend Menschen, die schon seit Jahren arbeitslos sind.Mit Arbeitslosigkeit ist das höchste Armutsrisiko verbunden. Nötig sind daher Initiativen, die verhindern, dass Menschen, die schon lange nicht mehr im Arbeitsprozess sind, abgeschrieben werden. Auf dieses Schicksal macht beispielsweise die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (IDA) mit ihrer Kampagne „Stell mich an, nicht aus!“ aufmerksam. Die Biografien dieser Menschen sind so unterschiedlich wie die Gründe für deren Langzeitarbeitslosigkeit. In vielen Fällen sind deshalb individuelle Lösungen notwendig. Politisch setzt sich der Deutsche Caritasverband (DCV) für eine Weiterentwicklung der öffentlichen Beschäftigung ein, um hier mehr Chancen auf soziale Teilhabe durch Arbeit zu eröffnen.

Mit dem Stromsparcheck haben wir bundesweit ein Erfolgsmodell etabliert, das von der Caritas Frankfurt entwickelt wurde. Ehemalige Langzeitarbeitslose beraten Haushalte bei der Energieeinsparung. Der Haushalt gewinnt unmittelbar durch geringere Energiekosten, der ehemals Langzeitarbeitslose hat eine sinnstiftende Tätigkeit und ein Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung ist es zudem. Die verbandliche Caritas sucht immer nach wirksamen Wegen der Armutsprävention und probiert Neues aus. Derzeit bemühen sich der DCV und der katholische Krankenhausverband als einer seiner Fachverbände, ein Angebot der Frühen Hilfen in den katholischen Geburtskliniken aufzubauen. Paare und alleinstehende Mütter sollen so bereits während der Zeit der Geburt erreicht und motiviert werden, Hilfen anzunehmen, wenn sie in Not sind. Wir wollen dazu beitragen, dass der Sozialstaat stärker auf Prävention ausgerichtet wird, dass es ihm besser als heute gelingt, Notlagen zu vermeiden. Besonders das Bildungssystem muss mehr Chancengerechtigkeit verwirklichen. Die CaritasBildungsstudie erfasst jährlich die Zahl derjenigen Jugendlichen, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Wir werten dies bis auf die Kreisebene aus. Dabei zeigen sich ganz erstaunliche Unterschiede zwischen Kreisen, in denen jedes 10. Kind, und Kreisen, in denen nur jedes 50. Kind die Schule ohne Abschluss verlässt. Man kann also wirklich vor Ort hadeln; politischer Wille ist die alles entscheidende Ressource. Es besteht hoher Handlungsbedarf, will man die Quote der Schulabgänger ohne Schulabschluss weiter verringern. Als erfolgreich haben sich Kooperationsstrukturen zwischen den Beteiligten, frühe, präventive Unterstützung der Kinder und ihrer Familien, verlässliche Schulsozialarbeit, intensive Begleitung schulmüder Jugendlicher sowie eine frühe Berufsorientierung erwiesen. Dort, wo Verantwortliche an einem Strang ziehen, gelingt es weit besser, den Kreislauf der Vererbung von Bildungsbenachteiligung zu durchbrechen.

Die Aufgabe des DCV als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege besteht auch darin, gesellschaftliche Veränderungen aufzugreifen, politische Entwicklungen zu begleiten und sich für diejenigen einzusetzen, die von Armut und Not betroffen sind. So setzen wir uns auch für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Grundsicherungssystems ein. Es ist entscheidend, dass die Grundsicherung fair berechnet wird. Der DCV ist aufgrund eigener Berechnungen der Auffassung, dass die Beträge derzeit zu niedrig sind. Der Regelbedarf für Erwachsene sollte um rund 60 Euro pro Monat erhöht werden. Auch dann wäre das Leben der Grundsicherungsempfänger weiterhin von Knappheit geprägt, aber die Erhöhung würde ihnen ein wenig mehr Spielraum in ihrem Alltag verschaffen und den Stress mildern, der aus materiellem Mangel folgt.

Es bleibt eine dauerhafte Aufgabe für die Kirche und ihre Caritas, sich mit ihren Analysen und Lösungsvorschlägen für eine gerechtere und menschenfreundlichere Gesellschaft einzusetzen, diese in die Politik einzubringen und in der Öffentlichkeit zu vertreten. Dabei wird es auch immer wieder notwendig sein, sich dort einzusetzen, wo staatliche Regelungen nicht greifen. „,So ist also die Caritas der Dampf in der sozialen Maschine.‘ Sie ist ‚Trägerin der sozialen Versöhnung und Pfadfinderin für staatliche und gesetzgeberische Maßnahmen.‘“ So Lorenz Werthmann, dessen „Caritasverband für das katholische Deutschland“ am 23. August 1916, also vor nunmehr 100 Jahren, von der Fuldaer Bischofskonferenz als legitime Zusammenfassung aller katholischen Sozialeinrichtungen anerkannt wurde. In dieser Tradition steht der DCV bis heute und fühlt sich seinem Gründungsimpuls verpflichtet."+++


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