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RHÖN Faszination Auerochsen

Wie die rückgezüchteten Ur-Rinder die Rhön pflegen

02.04.17 - Carmen Kronester ist Landwirtin mit Leidenschaft und einem Fable für eine außergewöhnliche Rinderrasse. Seit 2003 züchtet sie auf den Bergwiesen am Dreiländereck von Hessen, Bayern und Thüringen Auerochsen oder auch Heckrinder. Dabei leisten die Tiere einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege und liefern ein exzellentes feinmarmoriertes Rindfleisch. Carmen Kronester stellte ihre Erfahrungen mit der Zucht und Haltung der „Langhörner“ im Rahmen eines Vortrags auf der Wasserkuppe im Infogebäude des Biosphärenreservats vor. Dabei standen die typischen Verhaltensweisen dieser ganzjährig im Familienverbund gehaltenen Tiere im Mittelpunkt.

Auerochsen waren ursprünglich über ganz Europa und Nordafrika verbreitet. Zahlreiche Höhlenzeichnungen dokumentieren die Verbreitung der mächtigen Pflanzenfresser. Durch den Menschen wurden die Tiere immer weiter zurückgedrängt und galten schließlich ab Beginn des 17. Jahrhunderts als ausgestorben. Ab 1920 begannen die Gebrüder Heck, beide Zoodirektoren, mit Rückkreuzungen. Durch Kreuzung verschiedener alter Rinderrassen wurde versucht, den Ur wieder zum Leben zu erwecken. Allerdings waren die Tiere zunächst deutlich kleiner. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Zuchtbemühungen wiederaufgenommen. Es gelang, durch das Einkreuzen von Taurusrindern, größere Tiere zu züchten, die schon sehr nah am ausgestorbenen Original waren. Inzwischen werden die Tiere, die lange Zeit als Heckrinder bezeichnet wurden, wieder als Auerochsen in den Zuchtbüchern geführt. Typisch sind die langen gebogenen Hörner, das helle Mehlmaul und der helle Fellstreifen auf dem Rücken, der sogenannte Aalstrich.

Zurzeit beweidet die Kronesterherde rund 25 ha Bergwiesen auf der Hochrhön. Die Herde besteht aus 35 Tieren aller Altersstufen. Geführt wird die Herde von der ranghöchsten Kuh. Sie wacht über die Herde und führt sie. Erst an zweiter Stelle folgt der stärkste Bulle. Bemerkenswert ist die Erfahrung, das bei zwei nahezu gleich starken Bullen die Kühe entscheiden, wer sie deckt. Typisch ist ebenfalls, dass es eine Art Kronprinzessin gibt. Dies ist eine ranghohe Kuh, die das Leittier unterstützt und vertritt. Bei nahezu allen Aktivitäten bleibt die Herde als Verband zusammen. Kälber werden teilweise abgesondert und in einer Art Kindergarten von einer erfahrenen Kuh betreut. Bei Gefahr rücken die Kühe zusammen. Dabei werden die Kälber entweder in die Mitte genommen oder unter Bewachung separiert. Letzteres geschieht z. B., wenn Hunde auf die Weide kommen. Dann versuchen die Auerochsen den Störenfried einzukesseln und anzugreifen. Mit dieser Strategie dürfte es auch für Wölfe schwierig werden, ein Tier zu erbeuten.

Beeindruckend ist auch das hohe Alter der Tiere. Zurzeit sind 16jährige Kühe in der Herde. Ein Alter von 20 – 25 Jahren ist die übliche Lebenserwartung der weitgehend stressfrei und artgerecht gehaltenen Auerochsen. Während heute hochgezüchtete Milchkühe im Schnitt kaum älter als sechs Jahre werden, zeigt die extensive Haltung bei völligem Verzicht auf Kraftfutter, welch hohes Alter die Tiere tatsächlich erreichen können.

Auch den Unbilden des Winters trotzen die urtümlichen Tiere. Bäume, Gehölzinseln und größere Gebüsche bieten im Sommer Schutz vor der Sonne und im Winter Schutz vor kalten Winden. Dabei ist das Fell im Winter so dicht und gut isoliert, dass der Schnee darauf liegen bleibt. Kronester macht deutlich, dass die Wohlfühltemperatur der Tiere bei 7 Grad Celsius liegt. Auch der Winter in der Hochrhön ist für die Tiere bei entsprechender Fütterung kein Problem. Zugefüttert wird im Winter mit Bergheu. Bemerkenswert ist auch, dass die vergleichsweise kleinen Euter im Winter vollständig behaart sind und damit das Euter vor Kälte schützen. Wichtig ist der ganzjährige Zugang zu fließendem oder frischem Wasser.

Bemerkenswert ist, dass die Tiere kaum ausbrechen. Sie kennen ihr Areal und kontrollieren es täglich. Es besteht aber offenbar kein Bedürfnis, dieses zu verlassen. Selbst wenn das Weidezaungerät ausfällt oder umgefallene Bäume den Zaun beschädigen, bleiben die Tiere innerhalb der weitläufigen Koppel.

Die halbwilde Haltung der Tiere bringt auch eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Bei der Schlachtung müssen die Tiere auf der Weide geschossen werden. Da die Auerochsen als Haustiere gelten, müssen Ohrenmarken angebracht und Impfungen sowie regelmäßige Blutuntersuchungen vorgenommen werden. Während die Tötung in Zusammenarbeit mit einem Jäger erfolgt, kommen für die nötigen Untersuchungen der Tiere professionalisierte Cowboys zum Einsatz. Diese treiben möglichst ruhig und gelassen die Tiere zusammen und separieren einzelne zur Untersuchung anstehende Tiere. Und für das Anbringen der Ohrmarken kommt sogar das Lasso zum Einsatz.

Eine Schlachtung erfolgt frühestens nach drei Jahren. Das würzige marmorierte Fleisch der Auerochsen gilt als Delikatesse, weist kaum Adrealin auf und hat einen hohen Anteil an Omega 3-Fettsäuren. Familie Kronester vermarktet das Fleisch über ausgesuchte Gastronomiebetriebe und die Direktvermarktung.

Während Carmen Kronester für eine möglichst wilde Haltung eintritt und den menschlichen Kontakt auf das Nötigste beschränkt, verfolgt Willi Schmidt von Reulbach eine andere Philosophie. Der Kuh- und Bisonflüsterer der hessischen Rhön war extra zur Veranstaltung mit Kuh, Kalb und Bullen im Viehanhänger angereist. Seine rund 20 Auerochsen sind an den Menschen gewöhnt und weitgehend zahm. Aber auch er bestätigt, dass die artgerechte Haltung gesunde und ausgeglichene Tiere zur Folge hat, die viel Freude bereiten. +++


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