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Gedenkstätte für die Opfer der Hexenverfolgung im Hochstift Fulda erweitert
04.06.17 - Ein strahlend schöner Junimorgen in Fulda. Auf dem ehemaligen dompfarrlichen Friedhof haben sich rund hundert Menschen eingefunden, von denen nicht wenige trotz der sommerlichen Temperaturen eine Gänsehaut bekommen. Das liegt an den grauenhaften Geschehnissen, die vor rund 400 Jahren nicht weit entfernt am Zehntplatz in der Lindenstraße und dem so genannten Hexenküppel 270 Menschen - die allermeisten davon Frauen - den Tod auf dem Scheiterhaufen brachten.
"Geschichte tritt aus dem Abstrakten heraus, wenn sie mit konkreten Namen verbunden wird", konstatiert Oberbürgermeister Heiko Wingefeld zu Beginn der Gedenkveranstaltung. Dank der Forschungen und Veröffentlichungen von Ingrid Möller-Münch und ihrer Mitstreiterinnen vom Frauenzentrum kennt heute in Fulda und Umgebung jeder den Namen Merga Bien und weiß, auf welch schrecklich Weise die junge Frau als Hexe denunziert, gefoltert und schließlich öffentlich verbrannt wurde. Doch ihr schlimmes Schicksal teilten weitere Menschen, an die auf Initiative des Fördervereins des Frauenzentrums die heute enthüllte Gedenktafel erinnert. Den 270 unschuldig hingerichteten Opfern soll auf diese Weise ihre Würde zurückgegeben werden.
"Ich erinnere mich noch gut an einen von Frau Möller-Münch geführten Stadtrundgang an die historischen Orte der Hexenverfolgung in Fulda. Das Schicksal von Merga Bien und ihren Leidensgenossinnen ist mir damals sehr nah gegangen", berichtete die heutige Frauenbeauftragte Katharina Roßbach. Ingrid Möller-Münch beschrieb in ihrem kurzen Abriss über die Geschichte der Fuldaer Opfer auch den naturgeschichtlichen Hintergrund der Exzesse: heute weiß man, dass um 1600 eine kleine Eiszeit herrschte, die für Hungernöte, Viehsterben und das Wiederaufflammen der Pest mit vielen Todesopfern sorgte. Für all diese Naturkatstrophen, die der damalige Klimawandel verursacht hatte, musste ein Sündenbock gefunden werden - und in Gestalt unschuldiger Frauen, die angeblich mit dem Teufel im Bunde waren, auch gefunden.
Die Hexenverfolgung habe in Fulda um 1600 begonnen und sich mit der 2. Amtszeit des Fürstabtes Balthasar von Dermbach im Jahre 1602 intensiviert. Schon zu Beginn des darauf folgenden Jahres habe der kirchlich-weltliche Herrscher Balthasar Nuß zum Zentgrafen und zum Hexenrichter berufen. Zu jener Zeit hätten die Menschen "alles Übel auf der Welt", von Pest über Hungersnöte, Kriege und Kindersterblichkeit bis Viehseuchen, den so genannten „Hexen“ zugeschrieben. Man war überzeugt, alles Elend bringt der Teufel durch diese Frauen auf die Erde. Diese so genannten „verderbten Weiber“ zu finden, war Aufgabe des Hexenrichters Nuß.
In nur drei Jahren ließ Balthasar Nuß rund 250 Frauen und zwei Männer wegen Hexerei hinrichten. 20 Menschen waren schon zuvor um 1600 verbrannt worden. Um so viele Menschen vor Gericht bringen zu können, brauchte es ein "Klima der Angst" und die Bereitschaft, andere zu denunzieren. Zudem erreichte Nuß mit seinen unmenschlichen Foltermethoden, dass die Gemarterten andere Frauen und sogar eigene Verwandte der Hexerei bezichtigten. Selbstverständlich waren es nicht nur Fuldaer Bürgerinnen, die dieses schreckliche Schicksal ereilte, sondern Frauen aus dem gesamten Hochstift waren betroffen. Im Süden reichte das Stift bis Hammelburg, im Osten gehörten Teile von Thüringen dazu, im Westen größere Gebiete vom Vogelsberg.
Nach den Hinrichtungen presste Nuß aus den Hinterbliebenen enorme Geldsummen heraus: das Holz für den Scheiterhaufen, die Ladung der Schöffen, die üppige Verpflegung der Folterknechte und Landsknechte wurden in Rechnung gestellt. Dass er einen Großteil dieser Gelder in seine eigene Tasche steckte, führte zu seiner Inhaftierung. Denn als Balthasar von Dermbach 1606 starb und sein Nachfolger, Fürstabt Friedrich von Schwalbach nicht mehr schützend seine Hand über Nuß hielt, wagten es die Fuldaer Bürger gegen den Hexenrichter zu klagen. Nach einem 12-jährigen Prozess wurde er auf dem Gerichtsplatz (das Areal zwischen dem heutigen Heinrich-von-Bibra-Platz und der Christuskirche) enthauptet.
Die Verbrennungen der "Hexen" fanden unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt. Einerseits war die Bürgerschaft aus Gründen der Abschreckung dazu verpflichtet, andererseits dürfte es die Schaulust der Leute befriedigt haben. Damit verbunden war sicher auch die große Hoffnung, dass Unglück und Elend mit dem Verschwinden der vermeintlichen Hexen nun ein Ende haben müssten. Vermutlich war diese Hoffnung auch der Grund, dass nach den Verbrennungen die Aschenreste der Hingerichteten ins vorbei fließende Wasser geworfen wurden, damit nichts von ihnen übrig blieb. Diejenigen, die während der Folter starben, wurden auf dem Schindacker außerhalb der Stadt vergraben. Sterbegottesdienste waren nicht erlaubt. All diese unschuldigen Opfer wurden dadurch über den Tod hinaus "aus der Stadt verbannt."
Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung mit drei Duetten aus "Merga Bien" von Mitgliedern des Musical-Ensembles Virtuoso aus Petersberg.(Carla Ihle-Becker)+++