Warum Silvia Steinebach trotz all der Probleme Landärztin sein will

01.08.17 - Nicht nur junge Leute und Unternehmen zieht es zunehmends vom Land in die Stadt, auch Hausärzte sind dort eine aussterbende Spezies. Die Gründe sind naheliegend: immer weniger Patienten auf dem Land und somit Probleme, wirtschaftlich arbeiten zu können und ein Medizin-System, das nicht gerade Anreize für die sogenannten "Landärzte" schafft. Silvia Steinebach (39) hat dennoch vor vier Jahren eine Praxis in Hosenfeld-Hainzell übernommen. Und seit Juli 2017 eine weitere in Fulda-Sickels.

Zwei junge Ärztinnen, Dr. Julia Demuth (36) und Swetlana Wolf (37), sind aus dem Klinikum Fulda in ihr Team gestoßen und beerben in Sickels das jahrzehntelang niedergelasse Ärztepaar Vera und Giso Feussner, die die Praxis aus Altersgründen abgegeben haben. Ein entscheidender Grund für die Übernahme: In Sickels ist nicht nur ein Hausarztsitz, sondern auch ein Sitz für den Facharzt des Kardiologen.

Kardiologieausbildung, ohne sie anwenden zu dürfen

"Ich habe eine achtjährige Ausbildung zur Kardiologin hinter mir, konnte meine Kenntnisse bei meinen Patienten hier in Hainzell aber nicht anwenden", so Silvia Steinebach, die Internistin, Kardiologin und Notärztin ist, im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS. Hintergrund: Hausärzte dürfen ihren Patienten keine fachärztlichen Therapien anbieten oder berechnen, auch wenn sie die entsprechende Ausbildung und das Equipment dafür besitzen. "Ich kann sie nur Patienten zur Prophylaxe gegen eine Gebühr anbieten. Patienten mit Beschwerden muss ich zum Facharzt überweisen, weil ich bei diesen keine Gebühr verlangen darf", so Steinebach weiter.

Das macht nicht nur ihre Ausbildung gegenstandslos und ihre Praxis unwirtschaftlicher, sondern verschlechtert auch noch die Therapie der Patienten. "Nicht selten sind Wartezeiten von sechs bis acht Monaten bei Kardiologen normal. In Fulda gibt es nicht so viele Kollegen. So kommen wir mit der Behandlung nicht voran." Warum also dürfen Hausärzte nicht gleichzeitig Facharztleistungen anbieten? "Das hängt mit der Bedarfsplanung zusammen, die der Gesetzgeber vorschreibt", Petra Bendrich, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Demnach werden nach bestimmten Verteilungsschlüsseln für jede Region Hausarzt- und Facharztsitze verteilt. "Ein Niederlassungsfreiheit gibt es nicht. Damit sich ein Arzt niederlassen kann, muss ein Sitz frei werden", so Bendrich weiter.

Im kommenden Jahr soll es eine neue Bedarfsberechnung geben, wie Bendrich verriet. In die Berechnungen einbezogen seien auch demografische Veränderungen. Hoffnung also für Landärzte wie Silvia Steinebach, dass sich die Versorgungssituation mit zusätzlichen Sitzen auf dem Land verbessern könnte.

"Nicht nur Arzt, auch Arbeitgeber"

Mit rund 2.000 Patienten pro Quartal läuft die Praxis in Hainzell "sehr gut", durch die Hinzunahme der beiden Sitze in Sickels erhofft sich Steinebach zunächst eine schnelle Facharztbehandlung für ihre Patienten auf dem Land, aber auch nachhaltig wirtschaftlich sicheres Fahrwasser. Denn: "Ich bin in erster Linie Ärztin, aber inzwischen auch Arbeitgeberin", so die 39-Jährige. Allein sechs Ärzte stehen auf der Gehaltsliste und ein siebter wird noch gesucht. Insgesamt gehören 20 Mitarbeiter in beiden Praxen zum Team. "Auch wir sind ein Unternehmen, das wirtschaftlich arbeiten muss, um überleben zu können." 

Seit nunmehr vier Jahren ist Silvia Steinebach niedergelassene Landärztin. Die Entscheidung hat sie bisher nicht bereut. "Klar hast du als Notarzt oder auf der Intensivstation mehr Adrenallin bei der Arbeit, aber hier darfst du nicht weniger konzentriert und aufmerksam sein - bei bis zu 100 Patienten am Tag", so die Ex-Notärztin. Außerdem machten die Arbeitszeiten und -bedingungen in einer Klinik ein Familienleben nur bedingt möglich. Auch deshalb haben sich Julia Demuth und Swetlana Wolf dem neuen Team in Fulda-Sickels angeschlossen. (Julius Böhm) +++