Stundenlanges Telefonieren für monatelanges Warten: Mangelware Facharzt

18.09.17 - Cornelia Weigert ist verzweifelt: Vor ein paar Tagen brach sich die 55-Jährige bei der Gartenarbeit das rechte Bein, die Erstversorgung sowie eine anschließende Operation fanden in einem Krankenhaus statt. Bei der Entlassung sagte man der Kassenpatientin, sie möge sich zur weiteren Behandlung an einen ortsansässigen Orthopäden wenden. Zu diesem Zeitpunkt ahnte die gelernte Bürokauffrau noch nicht, dass dies gar nicht so einfach werden würde.

Stundenlanges Herumtelefonieren für monatelanges Warten: Wer im Raum Osthessen schon einmal einen Termin bei einem Facharzt machen wollte, kennt sicher das Problem. Zumindest, wenn er Kassenpatient ist. Natürlich können lange Wartezeiten auch andere Ursachen haben. Etwa, dass der Arzt einfach viel zu tun hat. In der Regel hat der Stau im Wartezimmer allerdings versicherungstechnische Gründe. „Regelleistungsvolumen“ heißt das System, welches Kassenpatienten für niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten finanziell nicht wirklich interessant machen. Die Summen, die die Mediziner für ihre Dienste erhalten, sind alles andere als üppig. Pro Patient und Quartal wird abgerechnet, egal ob der Patient in dieser Zeit nur einmal vorbeischaut, oder gleich zehnmal.

Cornelia Weigert, die im ländlichen Raum lebt, wählte sich fast die Finger wund, um einen Termin bei einem Orthopäden zu bekommen. „In zwei Praxen fragte man mich erst, ob ich Privat- oder Kassenpatientin bin. Als ich geantwortet hatte, teilte man mir mit, dass sie im Moment keine neuen Patienten aufnehmen würden.“ Bei weiteren Ärzten, so berichtet die Frau weiter, hätte sie Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr hinnehmen müssen. „Ich war wirklich verzweifelt.“

Nach dieser Aussage hat OSTHESSEN|NEWS einen Selbstversuch gestartet und versucht, bei verschiedenen Arztpraxen unterschiedlicher Fachrichtungen einen Termin zu bekommen. Einmal als Privat- einmal als Kassenpatient. Das Ergebnis ist ernüchternd. Nicht nur bei den Orthopäden ist die unterschiedliche Terminvergabe, was Privat- und Kassenpatienten betrifft, frappierend. Während der Selbstzahler nur bis zu 14 Tage warten muss, braucht der Kassenpatient viel Geduld. Entweder erhielten wir die Antwort, dass das Patientenkontingent erschöpft sei, oder, dass man sich auf lange Wartezeiten einrichten müsse.

Ungerecht? Mit Sicherheit. Um auch die Kassenpatienten schneller zu einem Facharzttermin zu bringen, hat sich die Kassenärztliche Vereinigung (KV) vor nicht allzu langer Zeit etwas einfallen lassen: Bei „besorgniserregenden“ Beschwerden hilft die KV Patienten telefonisch über Terminservicestellen, innerhalb von vier Wochen einen Termin zu bekommen. Seit 1. April 2017 gilt das auch für Psychotherapeuten. Das Wichtigste in Kürze: Um den Terminservice in Anspruch zu nehmen, wird eine Überweisung mit einem Dringlichkeitsvermerk des Hausarztes benötigt. Wer zum Augenarzt, Frauenarzt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Hautarzt, Neurologen, Urologen, Chirurgen oder zum Orthopäden möchte, muss einen maximal 30-minütigen längeren Weg als zum nächstgelegenen Mediziner dieser Fachrichtung in Kauf nehmen. Für bestimmte Spezialisten, etwa einem Radiologen, gilt die Zeit bis zum nächstgelegenen Kollegen plus 60 Minuten Fahrzeit. Ein weiteres Manko: wer den Service nutzt, verwirkt damit das Recht auf freie Arztwahl.

Cornelia Weigert hat sich nun über die KV einen Termin bei einem Orthopäden vermitteln lassen. Ganz ideal, so findet die 55-Jährige, sei diese Lösung allerdings nicht „Durch den Gips am Bein kann ich kein Auto fahren und der öffentliche Nahverkehr ist bei uns schlecht ausgebaut.“ Wie sie den Arzt, der in rund 50 Kilometern Entfernung ansässig ist, erreichen soll, weiß sie noch nicht. „Wahrscheinlich“, so sagt sie, „wird das eine unheimlich teure Taxifahrt.“ (Miriam Rommel) +++