Sebastian Stöhrs Kick: die Alpen im Radsattel zu bezwingen
02.11.24 - Je oller, je doller: als Twen hatte er das Rennrad wieder zur Seite gestellt, Spielertrainer im Fußball sollte es damals sein. Vor wenigen Jahren, inzwischen Mitte 30, kehrte das Rennrad wieder ins Bewusstsein von Sebastian Stöhr zurück. Mit voller Wucht packte den Antrifttaler die Leidenschaft, mit dem Rad zu den Berggipfeln zu strampeln. Schnell steigerte sich sein Leistungspotenzial, außerdem animierte ihn seine Frau, Gas zu geben – er tat es, nun auch unterstützt vom starken Velolease-Rennsport-Team und einem Trainer, der alles aus ihm herauskitzelt.
Mit 37 erzielte Stöhr, hauptberuflich Kriminalbeamter in Alsfeld, in dieser Saison unglaubliche Erfolge in Einzel- und Teamwertungen wie dem legendären Ötztaler-Radmarathon. Für 2025 wurden die Ziele erneut nach oben geschraubt: Ein Traum wird wahr, das weiß Stöhr schon jetzt.
"Wer weiß, wie es gelaufen wäre, wenn ich nicht zehn Jahre vom Rad gestiegen wäre…", sinniert Stöhr in dem Gespräch in seinem Ruhlkirchener Wohnhaus, in dem er seine wundersame sportliche Entwicklung Revue passieren lässt. Die Radwettkämpfe Anfang 20 seien zwar okay gewesen, aber die Rolle als Fußball-Spielertrainer bei der FSG Ohmes/Ruhlkirchen behielt die Oberhand. Zusammen mit den damals noch kleinen Kindern und den oft unregelmäßigen Dienstzeiten bei der Kripo blieb das Radfahren auf der Strecke. Zehn Jahre später leckte Stöhr 2019 durch die Radfahrten zum Dienst wieder Blut. Seine irre Sportlergeschichte begann nun erst so richtig.
Mit dem Rad und reiner Muskelkraft die Alpen hoch - das fixt ihn an
Mit dem Rad und reiner Muskelkraft auf einen Berg strampeln – was für normale Menschen ein Albtraum ist, fixt ihn an. Mit Bergen sind wohlgemerkt nicht der Hoherodskopf oder die Wasserkuppe gemeint, sondern die Crème de la Crème der Alpengipfel. Vor zwei Jahren fuhr er bereits gut mit, doch ohne Teamunterstützung waren einfach Grenzen gesetzt. "Wenn du als einziger in einer 10-er Gruppe zur Streckenverpflegung anhalten musst, während die anderen von einem Team unterwegs versorgt werden, ist die Gruppe bis ins Ziel weg und du bist nach einer Stunde Alleinfahrt gefühlt tot. Meine Frau hat mich animiert, den nächsten Schritt zu gehen: wenn nicht jetzt, wann dann? Dabei habe ich mir eine Grenze gesetzt: mit 40 soll Schluss sein, zumindest auf dem Top-Niveau."Die Gründung des Velolease-Teams um Teamchef Stefan Eckert aus Siegen 2022/23 kam mit einem passenden Profil gerade recht: ausgewählte Rennen in Deutschland, aber auch Stöhrs geliebte Ultra-Bergrennen. Dolomiten, Alpen, Ötztaler – Stöhr war bei Velolease sofort in seinem Element, und Teamchef Eckert bezog Stöhr als seine rechte Hand auch schnell mit seinen Fähigkeiten jenseits des Rennsattels in das Organisatorische eines Rennstalls mit ein. Dazu die Rolle als Road-Captain, wenn es im Sattel, bei Vor- und Nachbesprechungen um die richtige Taktik der rund zwölf Aktiven des Teams geht, zu denen auch Leistungsträger Johannes Schäfer aus Lauterbach gehört.
Großartige Erfolge in 2024 - erster Sieg beim Klassiker Eschborn-Frankfurt
Das Jahr 2024 brachte großartige Erfolge. In der Einzelwertung erzielte Stöhr am 1. Mai beim Klassiker Eschborn-Frankfurt seinen ersten Sieg, und dann auch noch bei einem Heimrennen. Stöhr: "Wenn im Ziel ein Teamkollege zu mir kommt, mich umarmt und sich noch mehr freut als ich selbst – das ist mega! Und es ist ein Erfolg des ganzen Teams, denn ich hatte in entscheidenden Phasen des Rennens eine Unterstützung der anderen, ohne die ich wohl nicht gewonnen hätte!"Diese Gänsehautmomente sollten sogar beim Saisonhöhepunkt, dem Ötztaler Radmarathon, noch getoppt werden. "Bei dieser inoffiziellen Weltmeisterschaft sind auch die Familien und Freunde dabei, jeder bringt sich ein, um mehrere Verpflegungsstationen zu besetzen. Wenn du dann als Team auf Platz 1 stehst, ist das der pure Wahnsinn!"
Moment auf dem Siegerpodest vor innerem Auge
Man sieht es ihm an: Stöhr genießt den Moment auf dem Siegerpodest mit Johannes Schäfer, André Reinlein, Florian Christ und Philipp Stratmann noch einmal vor seinem inneren Auge. "Allein das Erklimmen eines Berges setzt bei mir schon unbeschreibliche Glücksgefühle frei; wenn das dann auch noch mit dem Wettkampf-Kick und Erfolgen einhergeht, wird man im Ziel direkt belohnt und weiß, warum man sich so schindet. Ich bekomme gerade schon beim Gedanken daran wieder feuchte Augen!"Bemerkenswert: die gesetzten Ziele wurden sowohl in seiner Einzel- als auch in der Team-Wertung pulverisiert. Basti wollte möglichst unter 7h 50min und die Top 100 kommen. "7 Stunden, 43 Minuten und 42 Sekunden" kommt es auswendig, Platz 81. Er muss Wochen später fast noch ungläubig lachen. "Das hat mich bestätigt, im kommenden Jahr nochmal einen draufsetzen zu wollen!"
Ganz oben mit dem Velolease-Team, zu dem auch Johannes Schäfer gehört
Mit dem Team wollte man aufs Podest, am Ende stand man als Sieger ganz oben. Folgerichtig werden die Ziele für 2025 neu justiert. Konzentrieren will sich das personell um zwei weitere Leistungsträger verstärkte Velolease-Team, in dem mit dem Schrecksbach-Holzburger Manuel George und dem aus dem Raum Fulda stammenden Maurice Mack weiteres regionales Blut fließt, auf die Alpen-Marathons und ein paar große Rennen in Deutschland.Der kleine Traum Trans Alp - zusammen mit Philipp Stratmann Stöhr lächelt verschmitzt: "Plus mein kleiner Traum, der in Erfüllung gehen wird: die Tour Trans-Alp, und zwar mit sechs Startern. Dieses mehrtägige Etappenbergrennen quer durch die Alpen werde ich als Duo zusammen mit dem saustarken Philipp Stratmann bestreiten. Zusammen sind wir beide über 80 Jahre alt und können als Duo in der Masters-Klasse starten." Mit weiterhin bis zu 25 Stunden Wochen-Training wird er sich seinem Traum entgegenschinden und -strampeln, auf der Straße und in seinem Fitnessraum im Keller. Stöhrs Selbstbewusstsein, vielleicht auch seine Gier, wuchsen mit seinen Leistungen: "Unser ambitioniertes Ziel lautet schon jetzt: Podium!" (goa) +++