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Minister Michael Boddenberg und Uta Thofern... - Fotos: Hans-Hubertus Braune

13.08.10 - POINT ALPHA

Junge Generationen wissen nichts über Grenzschicksale - Pflicht in Schulen?

"Du bist tot", entfuhr es Bernhard Fey, als er davon hörte, dass zu seinem Gedenken ein Birkenkreuz aufgestellt wurde. Es war der 23. Dezember 1975 als sich der in Weilar geborene Fey zusammen mit einem Freund auf den Weg machte, um in der kommenden Nacht über den damaligen Grenzzaun im Geisaer Land aus der ehemaligen DDR in den Westen zu flüchten. Es war bereits sein zweiter Fluchtversuch des damals 19-jährigen Mannes, nachdem er zusammen mit 16 weiteren Berufsschülern zuvor gescheitert war und eine Jugendhaftstraße auf einem Gutshof in der Nähe von Bad Langensalza absitzen musste. Fey wollte sich mit dem kommunistischen System nicht abfinden und misstraute von jungen Jahren an den Vorgaben, die auch er zu befolgen hatte und dem damit verbundenen Feindbild Bundesrepublik Deutschland.

Nachdem auch in jener kalten Dezembernacht 1975 der Plan von der Flucht in den Westen schiefging, machte sogar das - wie sich viele Jahrzehnte später herausstellen sollte - falsche Gerücht die Runde, dass Bernhard Fey bei seinem Fluchtversuch gestorben sei. In Wahrheit wurde er von elf Schüssen einer Selbstschussanlage getroffen. Seinen Kumpel schickte er indessen zurück, damit sie wenigstens ihn nicht erwischten. Grenzer fanden Fey, er kam ins zunächst in ein Krankenhaus und anschließend in den "Ausreißerknast" nach Suhl. Währenddessen bekam man auf der anderen Seite der ehemaligen Grenze vom Fluchtversuch mit. Was genau geschehen war, allerdings nicht - nur, dass ein Flüchtling an der Grenze ums Leben kam.

Hermann-Josef Hahn war damals Gemeindeverbandsvorsitzender der Jungen Union Deutschland und kümmerte sich darum, dass ein Birkenkreuz aufgestellt und jeweils an Heiligabend den Flüchtlingsopfern gedacht wurde. Viele Jahre später kam die Wiedervereinigung und Fey erfuhr von einer misslungenen Flucht im Raum Geisa an Weihnachten 1975 - ein Mann sei ums Leben gekommen. Er recherchierte und fand heraus, dass es seine eigene Geschichte war. Doch tot - nein, das war er zum Glück nicht. "Die müssen sich doch veräppelt vorkommen, wenn die hören, dass ich noch lebe", dachte Fey zunächst. Das Birkenkreuz steht heute an Point Alpha und soll an die nahezu 1.000 Flüchtlinge erinnern, die tatsächlich nicht überlebten.

Seitdem hat er schon oft davon erzählt - so auch am heutigen Freitag im Regimentsraum des ehemalige US-Camps Point Alpha zwischen dem hessischen Rasdorf und dem thüringischen Geisa gelegen. Wenn man Bernhard Fey zuhört, kann man seine Geschichte förmlich greifen und ist zugleich betroffen. Und sie trafen wieder einmal zusammen: Bernhard Fey sowie Hermann-Josef Hahn. Der Hessische Minister für Bundesangelegenheiten, Michael Boddenberg, war zusammen mit dem heimischen Bundestagsabgeordneten Michael Brand und dem Landtagsabgeordneten Dr. Norbert Herr gekommen, um mehr von beiden Zeitzeugen zu hören. Es sei wichtig, dass die Erinnerung an das Leid deutscher Trennung nicht nur an "Jubiläumstagen" wach gehalten werde. Heute ist so ein geschichtsträchtiger Tag - vor 49 Jahren wurde die Mauer gebaut. "Wir haben eine Daueraufgabe", sagte Brand und betonte, dass die Bundesregierung seit 2005 Point Alpha und seine Initiativen unterstütze. Dies sei "ein Quantensprung gewesen".

Uta Thofern und ihr Team engagieren sich seit Jahren, um diesen Teil deutscher Zeitgeschichte anschaulich und hautnah zu dokumentieren. Die Gedenkstätte am ehemaligen "gefährlichsten Punkt", dort wo sich die beiden Weltmächte Auge in Auge gegenüberstanden, erlebt seitdem steigende Besucherzahlen. Allerdings beobachten die Fachleute, dass das Wissen auf diesem Gebiet erheblich abnimmt. "Die hätten doch einfach unter dem Zaun durchkrabbeln können", lautete beispielsweise der Kommentar eines Schülers beim Anblick des ehemaligen Grenzzauns. Von Selbstschussanlagen, weiteren Zäunen und bewaffneten Grenzschützern war ihm bis dato wohl nichts bekannt.

Die Point Alpha Stiftung möchte diesen Bildungslücken entgegenwirken. Und auch Minister Boddenberg sagte seine Unterstützung zu. Einzig die Art und Weise, wie die Schulen künftig die Nahkriegsgegschichte in ihren Lehrplänen verankern sollen, ist weiter ungewiss. Norbert Herr kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Bildungsstandards zu schwach thematisiert seien. Vieles sei bisher zu sehr vom Engagement der einzelnen Lehrer abhängig. Vorbildlich sei die Unterstützung im Landkreis Fulda, hier werde für jeden Schüler mindestens einmal pro "Schullaufbahn" ein Point Alpha-Besuch angeboten. Boddenberg unterstrich indes, dass gerade in weiter entfernt liegenden Regionen die Aufklärungsarbeit intensiviert werden müsse. "Die Menschen an der ehemaligen Grenzen haben einen viel stärkeren Bezug zur damaligen Zeit", sagte Boddenberg.

Die beiden Zeitzeugen sehen sich übrigens nicht als "Opfer vom Dienst". Sie wollen mit ihren Lebenserfahrungen helfen, dass die schmerzhaften Jahre der deutschen Teilung nicht in Vergessenheit geraten. Und wer kann dies anschaulicher verkörpern als ein Mann, der seinen Fluchtversuch mit elf Gewehreinschüssen am eigenen Leib geradeso überlebt hat. (Hans-Hubertus Braune) +++



Zeitzeugen Hermann-Josef Hahn (links) und Bernhard Fey.



Pressegespräche am Vormittag im Regimentsraum am Point Alpha.





Hermann-Josef Hahn, Michael Boddenberg, Dr. Norbert Herr, Bernhard Fey und Michael Brand (von links).


Haben sich viel zu erzählen...

...und sind froh, dass sie dies ohne Grenze tun können.


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