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Die Ampel blinkte in der betroffenen Nacht "Gelb"... - Fotos: Hans-Hubertus Braune
...und nicht "Rot"...
24.10.12 - FULDA
„Vor dem Gesetz sind alle gleich" - Polizisten wegen Falschaussage verurteilt
Ein ebenso brisanter wie außergewöhnlicher Fall wurde gestern Vormittag vor dem Amtsgericht Fulda verhandelt. Es ging um eine Autofahrerin, die um 4 Minuten nach Mitternacht an der Ecke Nikolausstraße – Lindenstraße angeblich „verbotswidrig" trotz roter Ampel ohne anzuhalten abgebogen war. Protokolliert und angezeigt hatten diese Ordnungswidrigkeit zwei Polizisten, die rund 50 Meter hinter der Frau hergefahren waren. Der Vorfall hatte sich bereits am 15. September 2010 ereignet und die Verhandlung fand im April 2011 vor dem Amtsgericht Fulda statt. Überraschenderweise wurde die Frau aber vom Vorwurf, bei Rot gefahren zu sein, freigesprochen – und zeigte nun ihrerseits die beiden Polizisten an. Zu deren Pech handelte es sich bei dieser Ampel um ein Exemplar, das pünktlich jede Nacht um 23 Uhr auf einen Gelb-Blink-Warn-Modus umgeschaltet wird.
Falls eine Störung vorgelegen hätte, wäre dazu ein automatisches Computerprotokoll erstellt worden – die Beweislage gegen die beiden Polizisten war also erdrückend – die Ampel war nachweislich gelb und nicht rot. Doch trotz der eindeutigen Sachlage blieben der 44-jährige Polizist und sein 23-jähriger Praktikant auch gestern vor Gericht bei ihrer Falschaussage. Das Motiv für diese „Verfolgung Unschuldiger" - so heißt der betreffende Straftatbestand - liegt für den Vorsitzenden Richter Szymon Mazur und die anderen Prozessbeteiligten völlig im Dunkeln. Die 24-jährige Fahrerin kannte keinen der beiden Angeklagten – und umgekehrt. Zu vermuten ist, dass der „untergeordnete" 23-Jährige nicht den Mut hatte, der Falschwahrnehmung – oder -aussage seines Vorgesetzten zu widersprechen, obwohl ihm das Gericht durchaus die Möglichkeit zum „geordneten Rückzug" gegeben hatte.
Statt aus falsch verstandener Loyalität auf seiner Aussage zu beharren, hätte er ohne weitere Strafverfolgung erklären können, sich doch nicht mehr sicher zu sein. Doch das Beharren auf der offensichtlich falschen Behauptung führte für beide Angeklagten zu einer Verurteilung: der Ältere muss eine Geldstrafe von 11.200 Euro, der jüngere 4.200 Euro bezahlen. Schlimmer dürfte für beide aber das noch anhängige Disziplinarverfahren werden: Der Praktikant wird sicher nicht in den Polizeidienst übernommen und der 44-Jährige muss vermutlich eine Degradierung hinnehmen. „Das Urteil ist hart, aber gerecht", urteilte ein Kollege vom Polizeipräsidium über den Fall. Offiziell wollte niemand vom PP Osthessen dazu Stellung nehmen.
„Kein Richter verurteilt gerne einen Polizisten", erklärte Mazur nachträglich. Gerade weil die Aussage eines Polizisten vor Gericht gewöhnlich so viel Gewicht zugemessen werde, sei eine Falschaussage besonders brisant. Denn wenn die Ampelschaltung nicht zufällig eindeutig per Computerprotokoll nachweisbar gewesen wäre, hätte die unschuldig angezeigte Fahrerin mit Sicherheit ein einmonatiges Fahrverbot und eine Geldstrafe hinnehmen müssen. Der Aussage zweier Polizisten hätte nahezu jeder Richter mehr geglaubt, als der der 24-Jährigen.
„Als junger Richter mache ich noch viele Fehler – das ist ganz normal", sagt Richter Mazur freimütig. „Doch dazu muss ich auch stehen – und soviel Rückgrat muss ich bei einem Polizisten auch voraussetzen können." Er fand den Fall außergewöhnlich und bedauernswert, hatte aber keinerlei Bedenken, die beiden Angeklagten zu verurteilen: „Vor dem Gesetz sind alle gleich – das sagt unser Grundgesetz", sagt er. Zum Glück.+++Carla Ihle-Becker
Die Ampelanlage...
...an der Ecke Nikolausstraße/Lindenstraße in Fulda.