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28.04.13 - NACHGEDACHT (17)
„Wir alle spielen Theater“ - Gedanken von Christina LEINWEBER
Licht aus, Kamera an, Vorhang frei und los geht’s: eine Runde Theater spielen! Jeder war schon einmal in einer Theateraufführung, weiß, dass dort ein Bühnenstück vorgespielt wird und die Schauspieler Rollen einnehmen. Nur was wäre, wenn wir dieses Szenario nicht nur anschauen, sondern selbst daran beteiligt wären – sogar jeden Tag. „Wir alle spielen Theater" – das sagte der Soziologe Erving Goffman und begründete damit eine interessante Gesellschaftstheorie: Jeden Tag nehmen wir bestimmte Rollen ein, zu diesen gehört ein gewisses Repertoire an Requisiten und Ausdrucksformen. Zum Beispiel beim Beruf Kellner: ein elegantes, gepflegtes Outfit, eine höfliche Umgangsform mit dem Gast, Wissen über die Menükarte und so weiter. Das alles gehört zu dieser Rolle.
Klar, dass ein Mensch dann eigentlich unendlich viele Rollen im Alltag einnimmt: die Rolle, die der Beruf erfordert, die Rolle, die das Hobby erfordert. Es gibt das Berufs-Ich, das Freizeit-Ich, das Sport-Ich und so weiter. Alle Rollen erfordern ihre eigene Performance. Bleibt aber nur die Frage: Wann sind wir denn dann nur „Ich"? Wann spielen wir keine Rolle und besonders: Bei wem oder für wen spielen wir keine Rolle? Dass man dem Chef sein bestes zeigt in seiner Rollendarstellung als engagierte Arbeitskraft ist wichtig und richtig. Und wer sind wir bei unserer Familie, bei unseren Freunden? Dürfen wir dort nur „Ich" sein oder erfordern die Menschen, die uns am nächsten stehen, auch eine Rolle von uns?
Es geht auf jeden Fall immer um Selbstdarstellung, wie inszeniere ich mich richtig. Meistens wollen wir unserem Gegenüber nämlich gefallen oder ihn nicht vergraulen. Unbewusst läuft das immer ab: Was kann ich zu welchem Zeitpunkt tun, sagen oder lassen, welche Situation erfordert welches Verhalten. Darum dreht sich nach Goffman das Leben eines Menschen – soziologisch gesehen. Umso schöner ist es dann doch, wenn man mal aussteigen kann aus dem Theater. Alles sagen darf, quasi frei ist – man selbst ist. Nichts vorlügen muss oder eine Maske trägt. Das sind dann wohl die Momente, die am authentischsten im Leben sind. Und ganz klar ist, dass es nur wenige „Mitspieler" gibt, die einem den Ausstieg aus der Rolle erlauben und das „Selbst" des Menschen so würdigen, wie es ohne Requisiten ist. (Christina Leinweber)+++
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ZUR PERSON: Christina Leinweber, 1988 geboren in der osthessischen Bischofsstadt Fulda, neun Jahre katholisch-private Schulausbildung – so war der Weg zum Theologiestudium für sie vorbestimmt und beschlossen. Es ging dann für vier Jahre Studium in die nächste Bischofsstadt Paderborn - inzwischen hat sie ihr 1. Staatsexamen in der Tasche. Gleichzeitig ist sie freie Mitarbeiterin bei osthessen-news.de, bezeichnet sich selbst als liberal-theologisch und kommentiert (seit 17 Sonntagen) in der neuen Serie "NACHGEDACHT" Dinge des Alltags aus ihrer persönlichen Sicht. +++