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FULDA Tabubrüche im Sekundentakt

Flotte französische Komödie "Der Vorname"

05.02.14 - Ein international boomendes Boulevardstück aus Frankreich begeisterte gestern Abend auch die Besucher im Schlosstheater. Mit der 2010 in Paris uraufgeführten Komödie „Der Vorname" landete das Autorenduo Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière einen veritablen Bühnenerfolg, der ab 2012 verfilmt, auch in französischen und deutschen Kinos für volle Kassen sorgte. Das auf der Guckkastenbühne aufgestellte, gutbürgerliche Wohnzimmer (mit einem irritierend schief hängenden Gemälde – Absicht oder Versehen?) bildet den Rahmen für rasante Dialoge, Wortwitz und manchen schnellen Gag, der häufig im Gelächter der Zuschauer untergeht. Der linke Literaturprofessor Pierre und seine unterrichtende Frau Elisabeth erwarten alte Freunde zum zwanglosen Essen.

Jugendfreund Claude ist noch im Frack von einem Auftritt als Posaunist gekommen, Vincent, Bruder von Elisabeth entschuldigt seine verspätete Frau Anna. Deren Abwesenheit hindert ihn aber nicht, mit der Präsentation eines Ultraschallbildes ein Ratespiel über den geplanten Vornamen seines ungeborenen Sohns zu beginnen. Jetzt nimmt die temporeiche Komödie noch einmal an Fahrt auf.

Sich über Namen lustig zu machen, sei das ungebildetste Gebaren überhaupt, befand einst Goethe. Werdende und gewordene Eltern können ein Lied von der Unmöglichkeit singen, einen Konsens über Wohlklang, Passform mit dem Nachnamen und mögliche Assoziationen herzustellen: Vornamen sind irreversibel emotional besetzt – da hilft keine Diskussion.

Dennoch geben unsere Freunde auf der Bühne lautstark ihrer Erregung über Vincents Vorliebe für den Namen Adolphe Ausdruck. Sein Kind zu nennen wie den größten Massenmörder aller Zeiten, ist für alle Anwesenden außer dem werdenden Vater ein absolutes No-go - „ph" statt „f" hin oder her. Mit der flammenden Rhetorik eines Salonsozialisten und gelernten Linksintellektuellen versucht Pierre das Vorhaben seines Schwagers als zutiefst unredlich und verwerflich hinzustellen. Doch der hält mit vielerlei Beispielen von Joseph bis Paul wacker dagegen. Denn Joseph sei zwar als Stiefvater Jesu in Ordnung, seit Stalin dann aber untragbar und Paul – französisch ausgesprochen - erinnere phonetisch zu stark an das Schreckensregime Pol Pot. Auch der Name der Familienkatze „Ida" ist laut Vincent nicht länger hinnehmbar, denn Idi Amin zeige in diesem Namen seine schreckliche Fratze.

Die ehrliche, politisch so überaus korrekte Empörung Pierres wird gnadenlos durch den Kakao gezogen. Auf dem Gipfel der leidenschaftlichen Auseinandersetzung besitzt Vincent die Frechheit, seine zweifelhafte Namenswahl als blanken Fake zu enttarnen. Der Titel seines Lieblingsromans „Adolphe" von Benjamin Constant habe ihn zu dem völlig unernsten Diskurs inspiriert, erklärt er und führt seinen Schwager einmal mehr als humorlosen Eiferer vor.

Von Hundemord bis Impotenz – Tabubrüche im Stakkato

Und jetzt brechen alle Dämme: wie in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf" zieht ein Tabubruch den nächsten zwingend nach sich – hier allerdings nicht mit tödlichem Ernst. Absurde Anklagen und Geständnisse folgen dicht an dicht – der Zuschauer japst diesem Galopp atemlos hinterher. Es geht um Jugendsünden, Hausfreunde, einen ominösen Hundemord, Geiz, Diebstahl geistigen Eigentums, Impotenz, geschlechtsspezifische Rollenklischees und unterstellte Homosexualität. Doch der so verdächtigte Claude, der sich unverhofft mit dem Spitznamen „Reineclaude" (Pflaume und Königin-Claude) konfrontiert sieht, wehrt sich tapfer und verbissen. Er hat durchaus eine Beziehung zu einer Frau, doch zu welcher, hat er bisher diskret verschwiegen. Jetzt so provoziert, lässt er die Bombe platzen und seinen Herausforderern die Brocken um die Ohren fliegen.

Dass das Konzept des Stücks so amüsant aufgeht, steht und fällt mit der darstellerischen Präsenz und präzisen Intonationsfähigkeit der fünf Schauspieler. Während die beiden Frauen (Anne Weinknecht und Julia Hansen) mit ihrem Dauergezicke konkurrieren, ist die Rolle des Vincent mit dem trocken-unmoralischen Martin Lindow bestens ausgefüllt. Seine männlichen Widerparts Christian Kaiser als Moralapostel Pierre und Benjamin Kernens befrackter musischer Claude steigern sich im verbalen Dauerfeuer zu Hochform. Das Publikum honoriert diese Stimulierung seiner Lachmuskeln mit heftigen Applaus im Stehen. Einmal mehr ein Glanzlicht des Euro-Studio Landgraf.+++Carla Ihle-Becker

Fotos Bernd Böhner


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