Der Fall HEILIGER - neutraler Journalismus: Fehlanzeige!

30.08.16 - Der Leser sehnt sich nach Glück, Leid, Sensationen und Skandalen - das beweisen regelmäßig die Zugriffszahlen. Letzteres erfüllt die Geschichte rund um Niklas Heiliger und seine "Stellungnahme" zu seinem Ex-Club SV Neuhof. Was da am Freitagabend von zwei osthessischen Fußball- und Sportportalen ungefiltert veröffentlicht wurde, hat mit professionellem Journalismus nichts zu tun. Neutrale Berichterstattung setzt voraus, mit allen beteiligten Parteien zu sprechen - gerade, wenn es um Vorwürfe und Anschuldigungen geht.

Der Fußball- und Medienzirkus rund um Fulda und Bad Hersfeld ist recht einzigartig. Mit mehreren Fußball- und/oder Sportportalen aus der Region und seit knapp zwei Jahren auch ON|Sport von OSTHESSEN|NEWS herrscht ein regelrechtes Überangebot an Fußball-Nachrichten. Der Konkurrenzdruck sorgt dafür, dass beinahe jede Kleinigkeit, die rund um Fußballvereine aus sechsten, siebten und achten Ligen - teils sogar noch darunter - zu einem echten Thema aufgeblasen wird. Ob wirklich jeder Kreisoberliga-Wechsel eine Meldung wert ist und ob man über zwei Spiele Sperre nach der Notbremse von Gruppenliga-Spieler XY berichten muss, kann nur der Leser mit seinem Leseverhalten entscheiden.

Was aus der "Stellungnahme" von Niklas Heiliger gemacht wurde, übertritt aber sämtliche Grenzen - auch Konkurrenzdruck oder der Zwang, die Gazette mit Nachrichten zu füllen, rechtfertigt diese Unverantwortlichkeit nicht!

Zunächst ist da der Leser, der mit ungefilterten und ungeprüften Informationen und in diesem Fall mit heftigen Vorwürfen und Anschuldigungen eines Einzelnen gefüttert wird - ohne Recherche oder Überprüfung auf den Wahrheitsgehalt. Als zweites gibt es den Adressaten der Vorwürfe, der keine Chance hat, zu diesen direkt Stellung zu nehmen oder sich zu erklären und einfach in der Verlierer-Ecke stehen gelassen wird. Nicht nur die der SV Neuhof als Verein, vor allem die Ehrenamtlichen, die sich dort engagieren, haben unter Vorverurteilungen zu leiden. Und als Letztes bringt man auch noch den Protagonisten selbst, in diesem Fall Niklas Heiliger, in Gefahr, der sich der Tragweite seiner Worte und der möglichen Lawine, die dadurch ausgelöst werden kann, (wohl) nicht bewusst war. Das Finanzamt wird nicht nur bei SV Neuhof anklopfen und überprüfen, ob gemauschelt wurde - auch Heiliger selbst rückt in den Fokus der Behörden. Zudem hat der FC Germania Ober-Roden verlauten lassen, dass sie Niklas Heiliger nicht mehr verpflichten wollen. Heiliger wird es vor allem in Osthessen schwer haben, je wieder einen Verein zu finden.

Einfach "raushauen" und auf möglichst große Wellen hoffen, hat mit seriösem Journalismus nichts zu tun - vielmehr mit Sensationsgier. Wie kommt man eigentlich auf den Begriff "Stellungnahme"? Zu welcher Aussage hat Heiliger denn Stellung bezogen oder war es eher ein Leserbrief? Eine Nachricht á la "Heiliger erhebt schwere Vorwürfe gegen seinen Ex-Club - wir versuchen in Neuhof jemanden zu erreichen, um Stellung zu nehmen", wäre temporär vertretbar gewesen. Ganz korrekt ist eine neutrale Gegenüberstellung aller Parteien.

Unabhängig davon, welcher Verein Bestandteil solcher "Berichte" ist: Die Nachricht, "Verein XY zahlt mit Schwarzgeld und beleidigt Spieler", ist im Kopf des Lesers. Das Image ist längst beschädigt, obwohl der Wahrheitsgehalt der "Nachricht" noch lange nicht bestätigt ist. Persönliche Fehden haben in der journalistischen Arbeit aber rein gar nichts zu suchen. Die Aufgabe lautet, neutral über die Sport- und Fußballereignisse zu berichten.

Und zum Abschluss: Fulda gilt als "verdorbene Region", was die Zahlung von Aufwandsentschädigungen und Gehälter im Amateurfußball angeht. Wer ernsthaft daran glaubt, dass jeder einzelne Euro steuerlich erfasst ist und nichts mal hier, mal da via Briefumschlag-Methode - auch über Privatpersonen - abgerechnet wird, glaubt auch an den Weihnachtsmann... (Julius Böhm/Tobias Herrling) +++