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Mit Transparenten und Trillerpfeifen durch die Stadt bis in die Fulda-Aue

Der Hauptredner und stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiter Berthold Balzer

01.05.07 - Fulda

Skandalthemen, Appelle und kritischer Witz - Maifeier der Gewerkschaften

Gutgelaunte Menschen jeden Alters, bunte T-Shirts, Strohhüte und Bermudashorts, Familien auf Fahrrädern, fähnchengeschmückte Motorräder, die ganz Kleinen im Kinderwagen, Hunde an der Leine und was die Redner und Rednerinnen sagten, wussten alle Zuhörer (eigentlich) schon. Was sich wie Zutaten zu einer großen Familienfeier anhört, war tatsächlich das Umfeld der diesjährigen "1.-Mai-Feier" des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Fulda. Rund 250 Menschen nahmen an dem Demonstrationszug durch die Stadt mit zwei Zwischenstopps am "Kurfürst" im Fuldaer Barockviertel und vorm Telekomgebäude teil und marschierten mit Transparenten und Trillerpfeifen in Richtung Naherholungsgebiet Fulda-Aue, wo in der grünen Mulde neben dem Katastrophenschutzzentrum die Abschlusskundgebung und der folgende Begegnungsnachmittag stattfand.

Ein 1.Mai eben und doch besonders. Denn die Gewerkschafter verbanden die Kritik an Unternehmern und Politikern sowie die Appelle zu Solidarität und Kampfesbereitschaft mit einer gehörigen Portion Humor und frechem Witz. So ließen sich beim Stadtmarsch einige, mit falschen Zottelbärten angetan, in Rollstühlen schieben - ein ironischer Hinweis auf die Verschiebung des Renteneintrittsalters. Vor dem Barockpalais des "Hotels Kurfürst" - seit kurzem Sitz der Firma des heimischen Finanzinvestors Dr. Lutz Helmig - und vor dem Telekomgebäude wurden Helmig und der neue Telekom-Chef Renè Obermann symbolisch an den Pranger gestellt: ein Gewerkschafter, mit Fotomasken vorm Gesicht, war in dem Holzgestell eingeschlossen.

Es gab bänkelgesangsmäßig gestaltet die "Moritat von Mackie Messer" - textlich auf die Telekom abgeändert -aus Brechts Dreigroschenopfer und nach den Maireden einen ebenso gelungenen wie originellen Sketch der Gruppe "Domspatzen", der im Zusammenspiel von Kasper, Räuber und Seppl die Austauschbarkeit der Telekom-Konzernspitze vorführte. Und so war es auch kein Wunder, dass der stellvertretende Landesbezirksleiter der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Hauptredner Berthold Balzer sagte: "Ich bin höchst beeindruckt über das, was ihr hier in Fulda auf die Beine gestellt habt."

Der Hauptredner der Kundgebung Berthold Balzer erklärte zum Motto des 1. Mai 2007 „Du hast mehr verdient“, Respekt bekämen die Arbeitnehmer nicht geschenkt, sondern müssten ihn sich selbst verschaffen: "Man muss der anderen Seite auch mal respektlos gegenübertreten, um etwas durchzusetzen". Balzer appellierte an die Gewerkschafter, den "Willen zur Veränderung der Verhältnisse" nicht aufzugeben. Heute gebe es viele "Skandalthemen", aber gemeinsam könnten Korrekturen verwirklicht werden. Solidarität sei mehr als eine Tugend oder persönliche Charakterstärke - Solidarität sei "organisierter Risikoausgleich".

Die größten Probleme heute seien die unverhältnismäßige Streichung von Arbeitsplätzen nur aus Profitgier, die Tarifflucht in fast allen Branchen ("mit tätiger Hilfe der Unternehmensverbände"), die Ausgliederung regulärer Stellen in prekäre Beschäftigung, ein Abbau von Arbeitnehmerrechten, die ständige Reduzierung von Sozialleistungen des Staates und eine gleichzeitige „Reichtumspolitik“ der Bundesregierung. Balzer sprach sich erneut für die Einführung von Mindestlöhnen aus. Scharfe Kritik übte der stellvertretende ver.di-Chef an der SPD und Franz Müntefering für ihr Verhalten zu sozialen Fragen innerhalb der Großen Koalition. Die "Reichtumspolitik" der CDU komme auch mit Hilfe der SPD zustande.

Die Arbeitnehmer und ihre Vertreter sollten sich auch bewusst machen, dass sich "Lohnzurückhaltung" nicht lohnt. Die Lohnquote am Volkseinkommen sei von 72 Prozent im Jahr 2000 auf jetzt 66 Prozent zurückgegangen. Zugleich sei die Profitquote der Unternehmen von 28 auf 34 Prozent gestiegen. Die Nettolöhne seien 2006 gegenüber 2004 um 2,7 Prozent gesunken. Deutschland habe im Euro-Raum die schwächste Lohnentwicklung und auch die schwächste Beschäftigungsentwicklung. Balzer sagte: "Es ist geradezu Bürgerpflicht, mit Streiks und Protest für Lohnerhöhungen zu kämpfen".

Im Hinblick auf die Vorschläge des Innenministers Schäuble warnte Balzer vor den großen Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat: der Horrorkatalog von Schäuble würde zu einem autoritäten Kontrollstaat führen, in dem „kein Furz mehr gelassen werden kann, der nicht registriert wird“. Berthold Balzer appellierte an die Gewerkschafter, zusammen zu stehen und "die solidarische Gegensteuerung zu organisieren", um die Lage der abhängig Beschäftigteni wieder zu verbessern. "Heute ist unser Feiertag - aber morgen ein ganz normaler Mittwoch und da geht der Terz wieder los".

Ewald Gerk von der Gewerkschaft der Polizei kritisierte die Streichung von 1.000 Stellen im hessischen Polizeidienst: bei nur 400 Einstellungen sei das "Minusgeschäft" klar. Wenn der freiwillige Polizeidienst von der Landesregierung herausgestrichen werde, sei dies "vorgegaukelte Sicherheit". Denn Sicherheit für die Bürger sei nur durch die ausreichende personelle und sächliche Ausstattung der Polizei gewährleistet. Auch das Polizeipräsidium Osthessen habe für die Region - entgegen den Erwartungen - keine Aufwertung oder Verbesserung gebracht. Denn während Stellen abgezogen würden ("28 Vollzugsstellen gestrichen - das ist eine ganze Polizeistation"), müssten weniger Polizisten mehr administrative Aufgaben erledigen, die vom Innenministerium zugeteilt würden.

Die Studentin Claire Weiss von der Hochschule Fulda kritisierte die Einführung der Studiengebühren, die "Bildung zur Ware machen" und rief Gewerkschafter und Bevölkerung auf, mit ihrer Unterschrift die Verfassungsklage gegen Studiengebühren zu unterstützen. Gabi Wolf trug den Erfahrungsbericht eines Leiharbeiters vor, dessen Erfahrungen mit Druck, schlechten Bedingungen, fehlender Mitsprachemöglichkeit, aggressiver Stimmung zwischen Stammbelegschaft und Leihkräften in der Einschätzung gipfelte, er fühle sich "wie ein Mensch zweiter Klasse".

Michael Diegmüller, der seit 27 Jahren bei der Kali + Salz AG in Neuhof beschäftigt und seit 6 Jahren Betriebsratsvorsitzender ist, sprach sich für die geplante Salzwasserleitung von Neuhof nach Philippsthal zur Entsorgung der Kaliabwässer aus. Es sei möglich, Industrie und Umwelt in Gleichklang zu bringen. Diegmüller wies darauf hin, dass in Neuhof 700 Arbeitsplätze und im Werk Werra 4.000 Arbeitsplätze von der Entsorgungslösung abhingen - und dass das Produkt Kali als Dünger für die Ernährung der Weltbevölkerung wichtig sei. Er selbst wünsche sich eine Versachlichung der Diskussion ("Wir Bergleute sind nicht die Dreckschleudern der Nation") und appellierte an die Kollegenschaft, mit ihm und anderen Mitgliedern der Fachgewerkschaft das Gesrpäch über die Details der Kalientsorgung zu suchen.

Die Maikundgebung endete mit Live-Musik, Gesprächen an Infoständen von Einzelgewerkschaften und gesellschaftlichen Gruppen wie attac oder dem Dritte-Welt-Laden sowie einem familiären Freiluftfest. +++


Bei der Abschlusskundgebung waren es 300 Zuhörer ...

...die sich im Rund der grünen "Veranstaltungsmulde" verteilten


Der erste Zwischenstopp beim Demonstrationszug vor dem "Hotel Kurfürst"

Symbolisch wurde der Finanzinvestor Dr. Lutz Helmig an den Pranger gestellt


Die Kritik der Gewerkschafter: bei den von Helmig übernommenen Firmen werde Tarifflucht betrieben

Die "Morität von Mackie Messer", umgetextet auf die Telekom von den "Domspatzen" ...


...amüsierte die Teilnehmer - auch hier stand der neue Telekom-Chef Renè Obermann am Pranger

Durch die Fulda-Aue führte der Zug


...einige Teilnehmer - mit falschen Zottelbärten - ließen sich im Rollstuhl schieben

Ewald Gerk von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte die Stellenstreichen für die hessische Polizei


Eine Versachlichung der Diskussion um die Salzwasserleitung der Kali + Salz AG wünschte sich Betriebsratsvorsitzender Michael Diegmüller


Seppl, die "austauschbaren Räuber" Ricke und Obermann, Kasper - die "Domspatzen" machten humorvoll klar: trotz Chefwechsel bei der Telekom bleibt die Konzernstrategie die gleiche

Gebratenes gab es an den Gewerkschaftsständen ebenso wie Kuchen, Kaffee ...


...oder Informationen

Die Gewerkschafter der IG BCE erläuterten ihre zustimmende Haltung zur Salzwasserleitung den Interessierten im Detail


Auffallende Kritik, mit einem Augenzwinkern: "Hessen ist pleite" steht hinten...

... "und ich bin schuld" auf der Vorderseite



Zahlreiche SPD-Politiker waren auch da - wie der "frischgebackene" Landtags-Ersatzkandidat Rainer Götz




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