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15.10.07 - Büdingen

"Leichpredigt" für Pfarrer PRAETORIUS - Kämpfer gegen Hexenprozesse & Folter

„Unter denjenigen aber, welche glauben, dass Hexen nicht mit der äußersten Strafe zu versehen seien, ist auch Anton Praetorius ...“ - Die Verfolgung von „Hexen“, ihre Folterung und Verbrennung fand nicht – wie häufig angenommen – im Mittelalter, sondern in der „Frühen Neuzeit“ statt, in einer Zeit, in der der Fortschritt in den Naturwissenschaften und neue Entdeckungen das alte Weltbild der Menschen veränderte. Der Höhepunkt der Hexenverfolgungen liegt am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts. Überall fragten die Menschen, wer an den Katastrophen der Pest, des Klimas und der Hungersnöte schuld sei.

Eine beispiellose Suche nach den vermeintlichen Tätern begann. Menschen wurden der „Hexerei“ beschuldigt: sie hätten sich einer geheimen Teufelssekte angeschlossen und Schadenszauber verübt. Besonders in Deutschland wütete der Hexenwahn. Weltliche Gerichte ließen die Beschuldigten foltern, um sie zu Geständnissen zu zwingen und sie dann hinzurichten. In evangelischen wie in katholischen Gebieten brannten die Scheiterhaufen gleichermaßen. Es fällt auf, dass Hexenprozesse in dieser Zeit häufig im Zusammenhang mit Reformationsbemühungen auftraten, hier in der Ysenburgischen Grafschaft Büdingen und Birstein mit der Durchsetzung des reformierten Glaubens in einer vorherig lutherischen Gegend.

Aufgrund von Forderungen der Bevölkerung zur Bestrafung des „Hexengeschmeiß“ begann 1597 in Birstein ein Hexenprozess. Dort wurde Anton Praetorius vom Grafen als Mitglied des Hexengerichts berufen. In dem Hexenprozess ertrug Praetorius es nicht, dass er erleben musste, wie unschuldige Frauen durch die Folter in den Tod getrieben wurden. Gebrochen durch die Folter nahmen sich mehrere der angeklagten Frauen aus Verzweiflung in der Zelle das Leben. Mit beispiellosem Ungestüm wie die alttestamentlichen Propheten begehrte Praetorius auf. Er war Christ, und sein Maßstab war die Bibel. Der Pfarrer wetterte derart gegen die Folter, dass der Prozess beendet und die letzte noch lebende Gefangene freigelassen wurde. Dies ist der einzige überlieferte Fall, dass ein Geistlicher während eines Hexenprozesses die Beendigung der unmenschlichen Folter verlangte - und Erfolg hatte.

Praetorius hatte Glück, dass er vom Grafen nicht selber als „Hexenbuhle“ vor Gericht gestellt, sondern lediglich entlassen wurde und das Land verlassen musste. Seine Erlebnisse in dem Hexenprozess in Birstein bedeuteten die Wende in seinem Leben. Er distanzierte sich von Calvins und Luthers Aufruf zur Verbrennung der Hexen und wurde ein glühender Verfechter der Menschenrechte in Zeiten des Hexenwahns, begründet in christlicher Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Unter dem unmittelbaren Eindruck des Hexenprozesses eröffnete Praetorius seinen literarischen Kampf gegen Hexenwahn und unmenschliche Foltermethoden. Im Jahr 1598 veröffentlichte er das Buch: „Gründlicher Bericht von Zauberey und Zauberern“. Auf jeder Seite spürt man die persönliche Betroffenheit des Verfassers. Er schrieb auf Deutsch, damit möglichst viele das Buch lesen konnten. In schonungsloser Direktheit und unerhörter Schärfe klagt Praetorius die Verantwortlichen an: In Gottes Wort findet man nichts von Folterung, peinlichem Verhör und Bekenntnis durch Gewalt und Schmerzen.

Leider sind seine Werke der Nachwelt, nicht zuletzt durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, nur in wenigen Exemplaren erhalten geblieben. Um sie einem breiteren Leserkreis zu erschließen, wurden mehrere dieser Originalschriften vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt und publiziert.

Leichpredigt für Pfarrer Anton Praetorius

Verstorbene mit einer gedruckten Leichenpredigt zu ehren, fand nach der Reformation rasch Verbreitung bis zur Zeit der Aufklärung. Übernommen wurde dies vor allem von Protestanten, in deutlich geringerem Maße von Katholiken. Die christliche Leichenpredigt wurde von einem Pfarrer am Grabe oder in der Kirche gehalten. Das einzig erhaltene Exemplar der Leichpredigt für Pfarrer Anton Praetorius findet sich heute in der Bayrischen Staatsbibliothek München.

Im Wirken von Praetorius stand der Kampf gegen den Aberglauben in seiner Gemeinde im Vordergrund. Dabei sind von Pfarrer Wolf jedoch kritische Untertöne zu hören: „In seinem Lehramt hat er seinem Gott und HERREN Glauben gehalten, wie es einem treuen Lehrer ansteht, mit Lehren, Strafen, Erinnern, und solches zur Zeit und zur Unzeit, mit einem großen Ernst und Eifer, dass er darüber auch oftmals in Not und Gefahr geraten ist.“ Pfarrer Wolf charakterisierte ihn als einen Menschen, der „seine großen Mängel gehabt, den Zorn sich bald überwinden lassen und der Sachen etwas zuviel getan“. Praetorius habe „bisweilen seine Affekte schießen lassen“, also seine Gefühle nicht unter Kontrolle gehabt und sei oft in Streit mit anderen geraten.

Stimmte Pfarrer Wolf mit den Ansichten von Praetorius in Bezug auf Hexenverfolgung nicht überein und schwieg deshalb lieber darüber an seinem Sarg? Drückt er damit indirekt Kritik an dessen Kampf gegen Hexenprozesse aus? Oder nahm er Rücksicht auf die Gemeinde, weil er um die Vorbehalte und Vorurteile der Dorfbewohner gegenüber diesem „Advokaten der Hexen“ wusste und dieses heikle Thema umgehen wollte? Sollte so noch im Tode Rache geübt werden an einem Kollegen, der es gewagt hatte, wider den Stachel des Massenwahns seiner Zeit zu löcken? Das Besondere der Persönlichkeit wird hingegen verschwiegen, Motive seines Handelns und Schreibens missdeutet. Doch das Verschweigen wesentlicher Argumente spricht selbst eine deutliche Sprache.

Die Ansprache des Hemsbacher Geistlichen ist für uns heutige Leser von unschätzbarem Wert, weil sie uns viele Einzelheiten über die Vita und das Privatleben des berühmten Gegners der Hexenverfolgung verrät, die der Nachwelt sonst verborgen geblieben wären. Praetorius kämpfte viele Jahre unter Einsatz seines Lebens gegen Folter und Hexenprozesse und trug so seinen Anteil zur späteren Überwindung der Hexenverfolgung bei. Obwohl er es in seinem Leben nicht leicht hatte, hat Praetorius das bewiesen, worum wir uns heute im Kampf um mehr Menschlichkeit immer wieder bemühen sollten: Glauben und Zivilcourage.

Die Broschüre ist erhältlich bei der Geschichtswerkstatt Büdingen, Joachim Cott, Schlossgasse 10, 63654 Büdingen, unter Tel. 06042-952334, im Buch-Shop unter www.geschichtswerkstatt-buedingen.de und in verschiedenen Geschäften in der Büdinger Vorstadt, Neustadt und Altstadt (Hellersche Buchhandlung, Bindernagelsche Buchhandlung, Zigarren-Puhl und Camelot). +++

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