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Dr. Wolfgang Hamberger - Fotos: Hans-Joachim Stoehr
30.05.11 - Fulda
Plünderungen mit Kriegsgeschrei und Prozessionen - Fuldaer „Köpfe“ lasen
Dr. Alessandra Sorbello Staub, Bernd-Uwe Herchen, Dr. Thomas Heiler und Dr. Wolfgang Hamberger lasen am vergangenen Dienstag im Garten der Fuldaer Domdechanei Texte aus drei Jahrhunderten. Die Chroniken, aus denen Fuldaer Persönlichkeiten Texte vortrugen, sind alle im Besitz der Bibliothek des Fuldaer Priesterseminars. Organisiert hatte die Veranstaltung der Leiter der Bibliothek im Fuldaer Priesterseminar, Dr. Berthold Jäger. Die Lesung des Dommuseums fand in der Reihe „Ein Tag für die Literatur“ des Hessischen Rundfunks statt.
Den Anfang der Rezitationen machte Dr. Sorbello Staub, die ab 1. Juli die Bibliothek des Fuldaer Priesterseminars leitet, als Nachfolgerin von Dr. Jäger. Die Historikerin hat für ihren Vortrag die Chroniken Texte des Fuldaer Stiftsdechanten Apollo von Vilbel (1480 – 1538) aus dem Lateinischen übersetzt. Die Niederschrift ist allerdings nicht vollständig. „Sie beginnt mitten in einem Satz“, so die Historikerin.
Apollo von Vilbel war nicht nur Chef des Stiftskapitels, sondern auch Propst in Petersberg. Der Geistliche schildert die Geschehnisse dort zur Zeit der Bauernkriege. Als „Vorzeichen für die Ankunft der Bauern“ deutet der Geistliche, dass die Propstei in Petersberg von einem Schwarm Heuschrecken und Käfer heimgesucht wurde. Die Bauern raubten Petersberg aus, zwangen die Mönche, die Schätze der Propstei herauszugeben. In der Kirche „schütteten sie das Sakrament der Eucharistie“ aus. In Fulda öffneten sie das Grab von Abt Ratgar, dem Erbauer der gleichnamigen Basilika an der Stelle des heutigen Doms und schändeten es. Sie warfen die Knochen heraus und zerteilten die Kleider des Abts. Apollo von Vilbel vergleicht den Vorgang mit der Passage in der Passion Christi, wonach die Soldaten die Habseligkeiten Jesu unter sich aufteilten.
Ebenfalls Greueltaten, aber etwa 100 Jahre später standen im Mittelpunkt der Lesung von Dr. Thomas Heiler, Leiter des Stadtarchivs Fulda. Der Fuldaer Bürger Gangolf Hartung hat die Ereignisse des Dreißigjährigen Kriegs (1618 -1648) in seiner Heimatstadt in einer Chronik festgehalten. So rückte 1621 der „tolle Christian“ genannte Herzog Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel und Administrator von Halberstadt gegen Fulda vor. „Heute würde man so jemanden als ,durchgeknallt’ bezeichnen“, so Dr. Heiler. Die Truppen wüteten vor allem in den Dörfern außerhalb der Stadtmauern von Fulda. So berichtet Hartung in seiner Chronik von einem Bauern in Rodges (heute Stadtteil von Fulda), dem eine Hand abgehauen wurde.
Hartung berichtet auch vom Besuch der schwedischen Königin im Jahr 1632. Drei Jahre (1631 bis 1634) war Fulda von schwedischen Truppen besetzt. Die Herrscherin ließ einen lutherischen Prädikanten predigen. Dies war für Hartung bemerkenswert, weil die Bevölkerung in den Jahren der Reformation zum großen Teil protestantisch geworden, später aber wieder zur katholischen Konfession zurückkehrten. Ab 1571 waren es vor allem die Jesuiten, die im Auftrag der Fürstabte die Rekatholisierung der Bevölkerung betrieben. Hierzu las Uwe-Bernd Herchen, langjähriger Chefredakteur der Fuldaer Zeitung, Texte aus den Jahresberichten der Fuldaer Jesuiten vor. Darin präsentieren die Ordensleute Zahlen von Menschen, „die wieder zum katholischen Glauben zurückgeholt wurden“. Darunter waren auch Patienten in Krankenhäusern. Mit Predigten auf den Dörfern hätten sie erreicht, dass die Bevölkerung wieder katholisch wurde. Unverhohlen schreiben die Jesuiten in den Jahresberichten: Die Menschen hatten die Wahl, entweder dem Unglauben abzusagen oder die Heimaterde zu verlassen. Herchen erinnerte daran, dass die Chroniken der Jesuiten von Prälat Dr. Eduard Krieg in jahrzehntelanger Arbeit übersetzt und veröffentlicht wurden. „In der Quarta war Dr. Krieg mein Lateinlehrer“, fügte der Journalist hinzu.
Der langjährige Fuldaer Oberbürgermeister, Dr. Wolfgang Hamberger, rezitierte als letzter Texte des Fuldaer Gymnasialprofessors Joseph Joannis. Dieser beschreibt die Geschehnisse beim Bonifatiusjubiläum 1854. Damals wurde in Fulda der 1100. Todestag des heiligen Bonifatius begangen. Aus den Berichten, die Dr. Hamberger vortrug, war zu entnehmen, dass zum Jubiläum der Dom, Domplatz sowie die Michaelskirche erneuert wurden. So erhielt der Dom neue Fenster. Zur Vorbereitung fanden 14 Tage vor dem Fest zudem Gemeindemissionen in den Pfarreien statt. Türme und Häuser wurden mit päpstlichen gelb-weißen und hessischen rot-weißen Fahnen geschmückt. Chronist Joannis vermerkt zudem, dass „schwerlich in Fulda ein Haus zu finden war, in dem nicht mindestens ein Gast einquartiert war“. Ein Tag vor dem Fest, so heißt es in dem Bericht des Lehrers, wurde der päpstliche Nuntius am Paulustor empfangen. Zum großen Festgottesdienst am 5. Juni kamen Gruppen aus der Region nach Fulda. Joannis vermerkt, dass die Wallfahrer Herbstein (Bistum Mainz) von ihrem damaligen Bischof, Wilhelm Emmanuel von Ketteler, in Fulda begrüßt wurden. Von Ketteler ist als Bischof bekannt geworden, der sich im 19. Jahrhundert für die Anliegen der Arbeiter einsetzte. In der Chronik ist zudem nachzulesen, dass am Abend „die Stadt illuminiert war- mit vielen bunten Lichtern“.
Die Feierlichkeiten im Jahr 1854 dauerten eine ganze Woche an. Die Feierlichkeiten endeten mit einer Schlussandacht. Zum Te Deum läuteten die Glocken des Doms und wurden Böllerschüsse abgegeben. Um das von Dr. Hamberger Gesagte zu untermauern, ertönte vom Turm des Doms der tiefe Klang einer Glocke. (Hans-Joachim Stoehr) +++
Dr. Berthold Jäger
Uwe-Bernd Herchen
Dr. Alessandra Sorbello Staub