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Die Alsfelder Delegation im Bundestag vor der „Fetten Henne“, dem Bundestags-Adler.

07.11.11 - Alsfeld

Auf „Du“ mit dem Staatsoberhaupt - Schülerinnen trafen den Bundespräsidenten

Der Bundespräsident steht für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Damit gehören interkulturelle und interreligiöse Fragen zum Alltag des Staatsoberhauptes. Dies erläuterte Amtsinhaber Christian Wulff etwa 120 Jugendlichen aus ganz Deutschland im Kuppelsaal der Berliner Synagoge Oranienburger Straße. Als einzige Gruppe aus Hessen waren neun Schülerinnen der Alsfelder Max-Eyth-Schule ausgewählt, an der Tagung am vergangenen Donnerstag teilzunehmen. Jüdische, christliche und islamische Dachverbände hatten in die Bundeshauptstadt eingeladen, um ihr Trialogprojekt „Weisst du wer ich bin“ feierlich abzuschließen. Seit 2007 gehört auch der „Weltreligionentag“ an der Alsfelder Schule zu den geförderten lokalen Maßnahmen. Mit der Zielgruppe Berufsschüler stellt das Alsfelder Projekt eine Besonderheit im bundesweiten Reigen der lokalen Trialog-Projekte dar. Auch die inzwischen fünfjährige Kontinuität führte zur Einladung nach Berlin.

Höhepunkt der fünfstündigen Veranstaltung war für die 17- und 18jährigen Schülerinnen sicher das zweistündige Gespräch mit dem Bundespräsidenten. Enttäuscht bis verärgert reagierten die jungen Frauen dann auch darauf, dass die Veranstalter von Erstklässlern bis hin zu angehenden Abiturientinnen in die vergoldete Kuppel der Synagoge in Berlin-Mitte eingeladen hatten. Die Sechsjährigen scherten sich wenig um protokollarische Gepflogenheiten und redeten das Staatsoberhaupt statt mit „Herr Bundespräsident“ schlicht mit dem kindlichen „Du“ an. Schlimmer war jedoch, dass sie sich altersgemäß mehr für den Dienstwagen und die Anzahl der Leibwächter Wulffs interessierten als für die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des interkulturellen Miteinanders.

Dennoch kam es auch zu eindeutigen Positionierungen des Bundespräsidenten: Er stamme aus Osnabrück, erzählte Christian Wulff den Schülerinnen und Schülern. Politisches Engagement sei ihm bereits in der Familie nahe gebracht worden: mit dem „SPD-Vater“ und der „CDU-Mutter“ seien viele Kontroversen auch innerhalb der Familie ausgetragen worden. Wulffs eigenes politisches Engagement sei jedoch durch einen rechtsradikalen Anschlag in seiner Heimatstadt hervorgerufen worden: „Dass die neue Synagoge in Osnabrück von einem Jugendlichen mit einem Hakenkreuz beschmiert worden ist, das hat mich politisiert.“ Seine junge Zuhörerschaft forderte auf, an der Integration von Migranten mitzuwirken: „Wir müssen von allen etwas erwarten, nicht nur von den Zugezogenen.“

Still wurde es, als eine junge muslimische Frau den Bundespräsidenten um Hilfe bat: Als religiöse Muslima trage sie Kopftuch. Sie verstehe nicht, warum das Kopftuch ihr den Zugang als Lehrerin an staatlichen Schulen verbaue. Wulff versuchte keine Ausflüchte: „In Ihrem Fall ist das eine persönliche Härte“, leitete das Staatsoberhaupt seine Stellungnahme ein. Er sehe, dass seine junge Gesprächspartnerin mit dem Kopftuch weder missionieren noch eine Ideologie verbreiten wolle. Er sei sich sicher, dass für diese junge Frau das Kopftuch schlicht zu ihrer Alltagsreligion gehöre, zu ihrem persönlichen Lebensentwurf. Dennoch müsse der oberste Repräsentant des Staates auf die obersten Richter des Staates verweisen: Das Bundesverfassungsgericht habe geurteilt, dass sich staatliche Schulen weltanschaulich neutral verhalten müssen. Lehrerinnen und Lehrer sollen für diese Neutralität stehen. „Die Religionsfreiheit ist ein hoher Wert unserer Gesellschaft. Die Neutralität des Staats ist ein ebenso hoher Wert“, kommentierte Wulff. Diese beiden Werte seien nicht miteinander vereinbar. So beschloss das Staatsoberhaupt die Anfrage der jungen Frau mit der klaren, schlichten Antwort: „Ich kann Ihnen nicht helfen.“

War die Diskussion hiermit bei den echten Problemen der politischen Gestaltung der interreligiösen und interkulturellen Gesellschaft angelangt, zeigte Wulff sich sichtlich bemüht, im Fortgang des Gesprächs lieber die Fragen der Grundschülern nach Automarken und Leibwächtern zu beantworten, als mit den älteren Schülerinnen und Schülern die politischen Kernfragen im Zusammenleben der Kulturen zu diskutieren.

Eigene Fremdheitserfahrungen machten die Alsfelder Schülerinnen am Folgetag: Neben dem üblichen Besuch des Bundestages besuchten sie am Abend einen jüdischen „Kabbalat-Schabbat“-Gottesdienst in der Synagoge Pestalozzistraße. Beeindruckt zeigten sie sich nicht nur von der großen Anzahl der Gläubigen, sondern auch vom Miteinander der hebräischen und deutschen Sprache in der Liturgie. Der Gottesdienst folgte dem Ritus der „liberalen Juden“. Orgelmusik und eine Frau, die während des Gottesdiestes vom Tora-Schrank aus ein Gebet liest, wären in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde nicht möglich gewesen. Dies erläuterten Christine Schellhaas, Schulpfarrerin an der Max-Eyth-Schule und Ralf Müller vom Evangelischen Dekanat, die als Organisatoren der Alsfelder Weltreligiongentage die Schülerinnen nach Berlin begleiteten. +++


Gruppenfoto mit dem Bundespräsidenten

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