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Vor einigen Tagen: Simon (15) mit seiner Mutter Petra Metzner

Vor 15 ´Jahren: Petra Metzner mit dem gerade erst geborenen Simon

09.11.04 - Fulda/Sonneberg

Das erste "gesamtdeutsche Baby" ist inzwischen ein Punk

Mit seiner Popularität und Medienpräsenz ist Simon heute so wenig einverstanden wie zur Zeit des Mauerfalls. Zu seinem 15. Geburtstag am kommenden Donnerstag (11.11.) will er eine große Fete wie die meisten in seinem Alter - und von dem "ganzen alten Mauerscheiß" mag er nix mehr hören. Den Jungen mit der Punkfrisur hat ja niemand je gefragt, ob er denn das erste "gesamtdeutsche Baby" sein wollte. Simon hätte bestimmt nein gesagt.

Seine Eltern, Petra und Stephan Metzner haben ihn aber nicht gefragt. Sie hatten anderes im Kopf als den Zwerg im Bauch, als sie die Nachrichten im November 1989 sahen. "Da hat der Schabowski doch wahrhaftig im Fernsehen gesagt, dass die Grenze ein Loch hat. Wir konnten das einfach nicht glauben", erinnert sich der gelernte Puppenmacher aus Sonneberg in Thüringen. Bis zum nächsten Morgen völlig ungläubig, habe er sich dann beim Bäcker vorgedrängelt , um die Meldung in der Zeitung schwarz-auf weiß zu lesen. Da stand tatsächlich etwas von Reisefreiheit für alle DDR-Bürger, nicht nur für die Rentner. Petra Metzner war zwar schon ziemlich schwanger, der Geburtstermin war für den 12. November errechnet worden. Aber darauf konnte das aufgeregte Paar keine Rücksicht nehmen: "Wir mussten doch einfach wissen, ob es stimmt, dass man plötzlich legal in den Westen konnte". Also packten Metzners kurzerhand die beiden Söhne Marcus, 4 und Johannes ein Jahr alt, in den Wartburg-Kombi und fuhr gen Westen.

"Ich habe eigentlich die ganze Schwangerschaft mit Simon nur so nebenbei erlebt", sagt Petra Metzner aus heutiger Rückschau. "Es passierten damals ja andauernd so aufregende Sachen wie mein ganzes Leben vorher nicht." Über den nahen Geburtstermin habe sie sich keinerlei Gedanken gemacht: "Ich wusste doch, dass die drüben auch Krankenhäuser haben". An die Fahrt zur Grenze kann sich der heute 22-jährige Sohn Marcus noch gut erinnern, weil auch mit vier die Aufregung der Eltern deutlich zu spüen war. "Und es hat immer so geholpert." Vielleicht hatte diese Fahrt über die Buckelpiste Wehen auslösende Wirkung - oder Simon wollte auch wissen, was da draußen seine Mutter so in Erregung versetzte: jedenfalls kaum im Westen angekommen, setzten in Fulda die Wehen ein.

Im Klinikum der Domstadt kümmerten sich Ärzte und Hebammen um die werdende Mutter, die allerdings auf die Frage, wo sie versichert sei, keine Antwort wusste. Die Einheitskrankenkasse der DDR sagte dem Personal wenig. An die Umstände kurz vor der Entbindung kann sich Petra Metzner noch gut erinnern: "Ich durfte rumlaufen, was mir während der Wehen gut geholfen hat." Bei den älteren beiden Söhnen sei sie von der Hebamme zum Liegen vergattert worden. "Überhaupt hatte ich das Gefühl: im Westen kannst du dein Kind auch im Kopfstand kriegen, wenn du das willst".

Die Geburt verlief auch andersrum problemlos, um kurz vor fünf hielt die junge Mutter ihren 52 Zentimeter langen und 3.570 Gramm schweren Simon Matthias im Arm. "Er war ein ganz braves Baby, der hat fast nur geschlafen und kaum geweint. Ganz anders als heute", sagt sie. Die Fürsorge des Personals sei angenehm gewesen. "Und eine Speisekarte für die Patienten und mehrere Wahlmöglichkeiten gab es in Ost-Krankenhäusern auch nicht." Ansonsten war die junge Mutter von dem Rummel um das "erste gesamtdeutsche Baby" völlig überrumpelt.

Eine Krankenschwester hatte die allererste Geburt eines "DDR-Bürgers auf westdeutschem Boden" der Lokalzeitung gesteckt. Der bebilderte Bericht rief weitere Journalisten und Kamerateams auf den Plan. "Ich glaube, meine Mitpatientinnen waren ganz schön genervt von dem ständigen Hin und Her und Blitzlichtgewitter." Auch der damalige Fuldaer Oberbürgermeister Hamberger besuchte den neuen Erdenbürger im Klinikum, übernahm seine Patenschaft als "Onkel Wolfgang" und überbrachte das aufgestockte Begrüßungsgeld in bar. Mit einem Sparbuch - wie es die anderen Patenkinder üblicherweise bekamen - hätten Metzners in der DDR nichts anfangen können - und von einer Währungsunion ahnte im November 1989 wohl noch niemand. "Von diesen 400 D-Mark hat Marcus eine rotgefütterte Jeansjacke aus dem Westkaufhaus gekriegt - und Johannes einen Nuckel", erinnert sich Stephan. Aufregender als das neue Brüderchen fand Marcus damals den Fahrstuhl im Fuldaer Krankenhaus: "Das war mein allererster Aufzug - und ich musste mich erstmal übergeben".

Simon lässt die Erinnerung seiner Eltern und Brüder an die damaligen Umbrüche und die aufregenden Umstände seiner Geburt reichlich kalt. Ihn beschäftigt anderes als der Mauerfall und Ost-West-Vergleiche. " Ich kenn mich nicht aus mit dem ganzen Kram, aber das mit den Arbeitsplätzen war in der DDR schon besser", heißt sein Statement zum Thema. Den fast 15-Jährigen spannt die Musik von Marilyn Manson mehr als die alten Geschichten und ihn nervt ganz aktuell, dass die Lehrer an seinen Klamotten und seinem Haarschnitt rummäkeln. "Die reden da gleich zu zehnt im Lehrerzimmer auf mich ein und wollen mich umerziehen", beklagt er sich.

Seine Mutter, die an der selben Schule im benachbarten Coburg unterichtet, mag das nicht glauben und kriegt ein "Mutter, hör doch auf mit dem Scheiß" um die Ohren. Marcus und Johannes schütteln über die Auslassungen des kleinen Bruders den Kopf. Die wenigen Jahre Altersunterschied bedingen eine andere Sichtweise. Beide Metznersöhne wurden in der "Westschule" - in Bayern - als Ossies - aus dem 5 Kilometer entfernten Thüringen geoutet und gehänselt.

"Mich haben sie immer gefragt, ob es wirklich stimmt, dass wir in der DDR keine Bananen hatten", berichtete der 22-jährige Student Marcus. Wie hat er auf diese Provokation reagiert? "Ich habe denen gesagt: nee, hatten wir wirklich nicht. Aber dafür haben wir eure Kühlschränke entwickelt." +++




Der Vater des bald 15 jährigen

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