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Ein ganz alter handgezeichneter Plan "Fulda im Mittelalter" ...
Der von Jestadt um 1920 gezeichnete Plan der Stadt Fulda mit der Situation um das Jahr 1770....
29.06.05 - Fulda
"Entwicklung Fuldas im Spiegel seiner Stadtpläne" - NEU im Vonderau Museum
Großen Zuspruch fand gestern Abend die Austellungseröffnung "Die Entwicklung Fulda im Spiegel seiner Stadtpläne" im Vonderau Museum. In der vollbesetzten Kapelle des Museums versammelten sich alle an Fuldaer Stadtgeschichte Interessierten - nicht nur die Mitglieder des Geschichtsvereins. Oberbürgermeister Gerhard Möller und sein Vorvorgänger im Amt und Vorsitzender des Geschichtsvereins Dr. Wolfgang Hamberger begrüßten auch zahlreiche Mitglieder der Familien Jestaedt zur Präsentation von historischen Stadtplänen.
Daran hatte ihr Vorfahr, Regierungslandmesser Aloys Jestaedt einen ganz wesentlichen Anteil: Unter Zugrundelegung eines Stadtplans von Fulda im Jahr 1727 fertigte er 1936 den Plan der Residenzstadt Fulda zu Beginn des 18. Jahrhunderts, den der Geschichtsverein eigens zur Ausstellung wieder aufgelegt hat. Zu einem "zivilen Preis" von 5 Euro ist der Nachdruck des Jestaedt-Katasters an der Kasse des Vonderau Museums zu erhalten - solange der Vorrat reicht.
Zur Ausstellungseröffnung sprach der Leiter des Fuldaer Stadt-Archiv, Dr. Thomas Heiler. Hier seine Rede im WORTLAUT:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
vor wenigen Wochen stellte der hessische Wissenschaftsminister Corts in Wiesbaden die ersten Bände des Hessischen Städteatlasses der Öffentlichkeit vor. Ziel dieses großangelegten und vom Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde verantworteten Projektes ist es, die Geschichte der ca. 140 Städte im Bereich des heutigen Landes Hessen, die bereits im Mittelalter bzw. in der Frühen Neuzeit entstanden sind und immer noch als Stadt bestehen in Form von Atlas-Mappen mit jeweils sechs separaten, überwiegend mehrfarbigen Blättern zur Siedlungstopographie von den Anfängen bis zur Gegenwart nachzuzeichnen und dieses Kartenwerk durch einen beigegebenen Textband zu erläutern. Ausgehend von den Urkatastern des 19. Jahrhunderts wird hierbei die Siedlungsentwicklung jeder Stadt minutiös aufgearbeitet, ein Projekt also, das für die hessische Stadtgeschichtsforschung von größter Bedeutung ist.
Mammutunternehmen nimmt Jahrzehnte in Anspruch
Wegen der aufwendigen Quellenrecherchen wird dieses Mammutunternehmen, für das nun gerade erst einmal vier Bände (Limburg, Wetter, Homberg/Ohm und Butzbach) vorliegen, noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Auf meine Frage an die Direktorin des Landesamtes, Frau Professor Braasch-Schwersmann, wann denn mit dem Fulda-Band zu rechnen sei, wurde mir schon vor längerem beschieden, dass man darauf lange warten könne und wahrscheinlich zu den letzten gehöre werde, die einen stadtgeschichtlichen Atlas bekämen, nicht weil man etwas gegen Fulda habe, sondern weil es dort mit dem Jestaedt-Kataster eine solch großartige Arbeitsgrundlage gebe, dass man Fulda nicht vordringlich bearbeite. Zwar wäre dies durchaus wünschenswert, da es zwischenzeitlich natürlich neue Erkenntnisse gebe, aber fast alle hessischen Städte seien derzeit viel schlechter dran als Fulda, da es bei ihnen nichts gebe, das der Arbeit von Jestaedt an die Seite gestellt werden könne.
Gewaltige Leistung von Aloys Jestaedt
Nichts unterstreicht, so glaube ich, die gewaltige Leistung von Aloys Jestaedt mehr als diese Aussage einer ausgewiesenen Kennerin der fuldischen Geschichte, die zugeben muss, dass die über ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Forschungen eines Einzelnen nach wie vor als Grundlagenwerk den hohen Ansprüchen eines modernen siedlungsgeschichtlichen Forschungsinstituts gerecht werden.
Die drei Bände des Jestaedt-Katasters, bestehend aus der Edition der einschlägigen Güter- und Katasterbände des 18. und 19. Jahrhunderts, sowie den beigegebenen Karten, insbesondere jene von 1727 in der Jestaedtschen Bearbeitung von 1936 bilden tatsächlich immer noch den maßgeblichen Ausgangspunkt für alle topographischen und demographischen Arbeiten im Bereich der Stadt Fulda für die Zeit vom Spätmittelalter bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Popularisierung der Kartographie
Insofern war es naheliegend, die Vorstellung der neuaufgelegten Jestaedt-Katasterkarte nicht einfach nur in einer kleinen Pressenotiz zu verstecken, sondern diesem Ereignis einen würdigeren Rahmen zu verschaffen. Hierfür schien nichts geeigneter zu sein, als eine Ausstellung, welche den Plan in den Kontext der fuldischen Kartographie stellt und dabei seine Ausnahmestellung noch einmal besonders deutlich macht, denn im Gegensatz zu anderen Territorien und Städten des Alten Reichs ist die Überlieferung an aussagekräftigen Karten und Plänen für die Zeit vor 1800 in Fulda nicht sehr günstig.
Dies änderte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in kurhessischer und nach 1866 in preußischer Zeit. Für das rapide Anwachsen der Planüberlieferung nach 1800 gibt es vor allem vier Gründe: Zum einen erlaubten die Fortschritte auf dem Gebiet des Vermessungswesens erstmals die Ermittlung exakter Werte, die in Grundrisskarten (Rutenrissen) niedergelegt wurden. Zweitens erforderte eine gerechte Besteuerung des Grund und Bodens in den neu zu Kurhessen gekommen Territorien eine landesweite Vermessung nach einheitlichen Kriterien, eine Forderung, die schließlich zum kurhessischen Kataster führte. Drittens nahm im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch das Baurecht feste Formen an und mündete in gesetzliche Vorgaben wie etwa die den Städten und Gemeinden verbindlich vorgeschriebene Erstellung von Fluchtlinenplänen für Bauten und Straßen oder aber die später hinzugekommene Verpflichtung zur Aufstellung von Bebauungsplänen. Wie andere Städte auch stellte Fulda zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals Fachpersonal für das Grundstücks- und Vermessungswesen ein, das nun seinerseits zur Vermehrung der Planüberlieferung beitrug. Viertes schließlich hatte auch der beginnende Fremdenverkehr einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Popularisierung der Kartographie. Die ersten Rhön- wie auch Fuldaführer aus dem späten 19. Jahrhundert gaben den Lesern als Service einen kleinen Stadtplan bei, der schon bald mit Werbung versehen wurde. Der Plan wurde fortan auch zum Werbeträger und war nicht mehr nur ein amtliches Produkt.
Erster Planausschnitt Fuldas aus 1552
Die Ausstellung stellt all diese verschiedenen Erscheinungsformen der Pläne von der Rekonstruktion des mittelalterlichen Fulda über den Jestaedt-Plan des Jahres 1727, die Katasteraufnahmen des 19. Jahrhunderts bis hin zum modernen geographischen Informationssystem, das weltweit abgerufen werden kann, in ihrer zeitlichen Abfolge zusammen. Die Befolgung des chronologischen Prinzips ist zwar nicht sonderlich originell, dafür aber sehr aussagekräftig. Ersichtlich wird hieraus einerseits die unterschiedliche Motivation zur Abfassung der Pläne. Im Gegensatz zu heute, in dem Stadtpläne allgemein zur Planung, Verwaltung und Orientierung dienen, war früher die Zeichnung einer Karte stets mit einem im Einzelfall klar definierten Zweck verbunden. So findet sich der erste Planausschnitt, den wir für Fulda haben, er stammt aus dem Jahre 1552, in einem Prozessakt des Reichskammergerichts und diente den Richtern zur Orientierung in einem Rechtsstreit, in dem der Hornungsmüller die Stadt Fulda verklagte, da sie sein Mahlwasser angeblich umgeleitet hatte. Die Karte ist hier sozusagen ein Beweismittel.
Erste Fuldische Landvermessungen im 17. Jahhundert
Auch der Plan von 1727 entstand im Rahmen der Behebung eines verwaltungstechnischen Problems. Die direkten Steuern im Alten Reich wurden nämlich in der Regel nicht nach dem Einkommen, sondern nach dem Wert des Immobilienbesitzes bemessen. Eine gerechte Besteuerung von Grund und Boden bedurfte daher verlässlicher Unterlagen über die Grundstücksgrößen. Als die Vermessungstechnik im Laufe des 17. Jahrhunderts soweit fortgeschritten war, dass sie eine einigermaßen brauchbare Landesaufnahme ermöglichte, schritt man auch in Fulda zur Tat. Im Jahre 1718 wurde Johann Thomas Kleinschmidt zum fuldischen Landgeometer ernannt. Zusammen mit seinen Mitarbeitern führte er die erste fuldische Landvermessung durch. Als Ergebnis dieser Arbeit entstand zum einen ein Grundriss mit den Parzellennummern zu den jeweiligen Grundstücken, zum anderen eine „Spezifikation“, in der zu den Nummern die Besitzer aufgelistet wurden. Von dieser immensen Arbeit, die sich auf das gesamte Fuldaer Land erstreckte, hat sich für die Residenzstadt Fulda nur noch der mutmaßlich von Johann Konrad Kircher geschaffene Plan des Jahres 1727 samt der Spezifikation erhalten, während der Rest wohl einem Brand im Stadtschloss im Jahre 1797 zum Opfer fiel.
Stadtpläne spiegeln politische Großwetterlage wieder
Sichtbar werden aus der Abfolge der Pläne aber nicht nur die gewandelte Motivation der Herstellung, sondern auch die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten für einen Stadtplan, der sich erst im 19. Jahrhundert zu einem reinen Grundriss wandelte, während er zuvor die Stadt meist aus der Vogelschau im Aufriss wiedergab. Augenfällig wird schließlich vor allem die Entwicklung der Stadt Fulda selbst, die im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und dem Anschluss an das Bahnnetz den alten ummauerten Siedlungsraum, so wie ihn der Plan von 1727 in aller Deutlichkeit zeigt, verlässt.
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass sich in den Stadtplänen auch die politische Großwetterlage widerspiegelt, sei es, dass im Vorfeld der sogenannten Arisierungen auf der Grundlage eines Fuldaer Stadtplans von 1930 von einem unbekannten Verfasser all jene Grundstücke rot markiert wurden, die jüdischen Eigentümern gehörten; oder sei es, dass einige Fuldaer Straßen für die Zeit von 12 Jahren einen anderen Namen trugen, so die Bahnhofstraße als Hindenburgstraße, der Gerloser Weg als Rudolf-Jordan-Straße oder Teile des Heinrich-von-Bibra-Platzes als Karl-Weinrich-Straße. Einen zweimaligen Namenwechsel erlebten der Friedrichsmarkt (über Adolf-Hitler-Platz zum Unterm Heilig Kreuz) und der Kaiserplatz (über Platz der SA zum Universitätsplatz).
Originalpläne in miserablem Zustand
Diesen inhaltlichen Aspekten, unter denen die Pläne betrachtet werden können, ist aus archivischer Sicht noch ein völlig anderer Gesichtspunkt hinzuzusetzen. Pläne waren und sind als Gebrauchsgegenstände der Verwaltung ständiger Beanspruchung ausgesetzt. Durch ihre nicht normierten Formate bereitete ihre Lagerung in der Vergangenheit Schwierigkeiten, so dass sie in der Regel erheblich geschädigt wurden. Das Original des heute vorzustellenden Katasterplans befindet sich ebenso wie die angesprochene Zeichnung des Jahres 1552 in einem solch miserablen Zustand im Marburger Staatsarchiv, dass eine Benutzung aus konservatorischen Gründen nicht mehr zu verantworten ist. Ein Teil der Pläne, die sie in der Ausstellung sehen können, wurde bereits restauriert, um sie der Nachwelt als Quelle zu erhalten.
Sofern es sich um weniger bedeutsame Stücke aus der Massenproduktion von Bauplänen handelt, ist die Verfilmung oder Digitalisierung der Unterlagen auch für die Archive kein Tabuthema mehr, zumal ein Teil der heutigen Pläne nur noch auf elektronischem Wege produziert wird. Angesichts der langen Aufbewahrungsfrist von Planunterlagen, die 100 Jahre oder mehr betragen kann, solange eben das Gebäude steht, ist allerdings zu bedenken, ob – unabhängig von der Haltbarkeit digitaler Datenträger sowie der Gefahr des Datenverlusts durch den ständigen Hard- und Softwarewechsel – die Digitalisierung auf Dauer wirklich der günstigere Weg ist. Der sächsische Landesrechnungshof, der erst vor kurzem aus Kostengründen die Digitalisierung und anschließende Vernichtung der Original-Archivunterlagen in den sächsischen Staatsarchiven angeregt hatte, musste sich schnell eines Besseren belehren lassen und zog angesichts der unermesslichen Investitions- und Folgekosten reumütig sein Ansinnen zurück und plädiert nun wieder für die Aufbewahrung der Originaldokumente.
Pläne ergänzen aktenmäßig überlieferte Historie
Egal unter welchem Blickwinkel man die Pläne betrachtet, sie bieten in jedem Fall eine wertvolle und leicht zugängliche Ergänzung zu der aktenmäßig überlieferten Historie, vielleicht eröffnen sie sogar einen ersten Einstieg in die Beschäftigung mit der Geschichte Fuldas. Insofern ist es erfreulich, dass sich bereits morgen früh eine dritte Klasse der Astrid-Lindgren-Schule angemeldet hat, um sich über den Verlauf der Fuldaer Stadtmauer, die derzeit im Unterricht behandelt wird, zu informieren. Es bleibt zu hoffen, dass andere Schulen diesem Beispiel folgen und der Jestaedt-Plan von 1727 in möglichst viele Klassenzimmer als Poster Eingang findet.
Eine kleine Einschränkung möchte ich zum Schluss noch machen. Angesichts der knappen Vorbereitungszeit von vier Wochen konnte es von Anfang an nicht unser Bestreben sein, das Thema umfassend zu behandeln. Gerade die Beschäftigung mit der Kartographie und der Landesvermessung hat in den letzten Jahren einen wahren Forschungsboom ausgelöst und den Blick auf neue Fragen gelenkt, so z.B. auf die Wichtigkeit der Raumerschließung mittels der Kartographie im Rahmen der frühmodernen absolutistischen Staatsbildung. Inwiefern der Plan von 1727 in einem solchen Kontext steht und die herrschaftliche Durchdringung des Fuldaer Landes tatsächlich förderte, muss späteren Spezialforschungen, etwa der derzeit im Gange befindlichen wissenschaftlichen Ausgabe der fuldischen Stadtgeschichte vorbehalten bleiben. Die heute zu eröffnende Schau ist somit längst noch nicht das letzte Wort zum Thema, sie soll ganz im Gegenteil zu einer intensiveren Beschäftigung mit diesem Aspekt der fuldischen Geschichte anregen."+++