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25.09.06 - Lauterbach

Zu Besuch im Waldorfkindergarten - "Erziehung ist Selbsterziehung"

Seit zehn Jahren gibt es in Schloss Eisenbach bei der Vogelsberger Kreisstadt Lauterbach einen Waldorfkindergarten. Mit einer Feierstunde und mit einem Spielfest wurde die runde Zahl gefeiert. Osthessen-News wollte aus diesem Anlass von Kindergarten-Leiterin Gabriele Kynast wissen, was einen Waldorfkindergarten von einem gewöhnlichen Kindergarten unterscheidet.

Die Waldorf-Pädagogik legt in einem besonderen Maße Wert darauf, die Sinne der Kinder zu fördern. Deshalb werden sie mit Anfassbarem konfrontiert, und ihre Phantasie wird herausgefordert. So gibt es im Waldorfkindergarten kein vorgefertigtes Spielzeug wie Lego. Stattdessen können die Kinder verschiedene Holzstücke benutzen, die immer das sind, was sie sich gerade vorstellen. Ein Tisch wird laut Gabriele Kynast weniger als Tisch benutzt. "Die Kinder drehen ihn oft um und behängen ihn mit Tüchern. Dann ist er ein Schiff. Alles, was bewegt werden kann, darf auch bewegt werden."

Die Kinder spielen übrigens immer gemeinsam. Dabei kommt es laut Gabriele Kynast nie zu Auseinandersetzungen, denn jeder kann einmal der Bestimmer sein. Ein Kind mit Defizit wird nie aus der Gruppe herausgenommen. Auf das "Freispiel", bei dem die Kinder selbst entscheiden, was sie tun, folgt eine gemeinsame Runde mit verschiedenen Spielen: der "Reigen". Wenn beispielsweise ein Kind nicht richtig hüpfen kann, wird eine Hüpfübung in den Reigen eingebaut, die alle Kinder mitmachen. "So merkt das Kind gar nicht, dass es ein Defizit hat, und die anderen werden auch nicht darauf aufmerksam gemacht. Wenn ich dagegen das betroffene Kind herausnähme und Extra-Übungen machen ließe, würde ich das Defizit nur verschlimmern und das Kind aus der Gemeinschaft herausreißen", so Gabriele Kynast.

"Erziehung ist Selbsterziehung" - so lautet die Idee der Anthroposophie, der Weltanschauung, die hinter der Waldorf-Pädagogik steht; das heißt: Lernen ist Nachahmung. "Ich muss mich als Vorbild verhalten", betont die Kindergärtnerin. Auch Handwerk oder Backen lernen die Kinder kennen, indem sie es von den Kindergärtnerinnen gezeigt bekommen. Diese tun jeden Tag etwas anderes. Mittwochs wird gebacken. Die Kinder können, wenn sie Lust haben, mitmachen. Dabei lernen sie nicht nur das Backen, sondern auch, dass es in der Nähe des Ofens wärmer ist als am anderen Ende des Raumes. "So etwas müssen die Kinder erfühlen. Viele wissen das heute nicht mehr." Bei Arbeiten mit Holz sei es ganz entscheidend, dass die Kinder ertasten, ob ihr Stück Holz schon glatt genug ist oder nicht.

Klar ist: Wenn ein Holzofen im Gruppenraum eines Kindergartens steht, müssen klare Regeln gelten. Niemand darf direkt vor den Ofen gehen. "Die Kinder wissen, dass ich es zweimal sage. Beim dritten Mal gibt es ein Donnerwetter", so Kynast. Soweit sei es allerdings bisher nicht gekommen. "Dass die Kinder die Regeln ernst nehmen und akzeptieren, hängt damit zusammen, dass wir selbst ganz hinter dem stehen, was wir tun und was wir sagen." Dazu müsse man die Kinder natürlich ernst nehmen: "Manchmal kann ich auch etwas von den Kindern lernen." Ein Kind in eine Schublade zu stecken, hält Kynast schlichtweg für anmaßend.

Den Kindern müsse vor allem Eigeninitiative vorgelebt werden. "So, wie die Kinder jetzt erzogen werden, so, wie sie jetzt spielen, so sind sie in zwanzig Jahren." Grenzen müssten ganz klar aufgezeigt werden. "Die Kinder wollen ja wissen, wo diese Grenzen sind." Bestimmtheit sei auch notwendig, damit Konflikte nicht unausgetragen bleiben. "Sonst müssen diese Konflikte im nächsten Leben ausgetragen werden." Die Anthroposophie glaubt an die Wiedergeburt.

Dahinter stehen müsse man auch, wenn man ein Märchen erzähle. Die Grimm-Märchen hat Gabriele Kynast im alten Originaltext auswendig gelernt, und so trägt sie sie vor. "Wenn ich nicht bei der Sache bin und das Märchen nicht ganz und gar miterlebe, hören mir die Kinder nicht zu." Die alte Sprache sei kein Problem für die Kinder. "Die verstehen das." Auch die Sprache müsse gefördert und gepflegt werden, und das funktioniere über Finger-Bewegungen. Sprachsinn ohne Bewegungssinn funktioniere nur schlecht. Dankbar ist Gabriele Kynast dafür, dass der Vermieter des Kindergarten-Gebäudes, Baron Philipp Riedesel, so große Freiheiten erlaube. Den Schlosspark dürfen die Kinder nämlich auch benutzen. "Wir gehen bei jedem Wetter nach draußen", unterstreicht die Erzieherin. "Die Kinder wissen auch, dass sie keinen Müll in die Landschaft werfen dürfen. Manchmal tadeln sie auch erwachsene Spaziergänger, die etwas fallen lassen." In den Park dürfen die Kinder auch alleine gehen, denn laut Gabriele Kynast wissen sie, wie weit sie hinaus dürfen und dass sie zurück kommen müssen.

Stolz ist Kynast darauf, dass andere Kindergärten einen regen Austausch mit dem Waldorfkindergarten pflegen. In Freiensteinau habe sie sogar schon Fortbildungen für die dortigen Kindergärtnerinnen gehalten. Übrigens muss man kein Anhänger der Anthroposophie sein, um sein Kind in einen entsprechenden Kindergarten zu schicken. Viele schicken ihre Kinder einfach wegen des Erziehungs-Konzepts hin. Etwa die Hälfte der Kinder, die in einen Waldorfkindergarten gehen, gehen später auch auf eine Waldorfschule.

Übrigens laufen Verhandlungen, um in Eisenbach eine Schule für die erste bis vierte Jahrgangsstufe einzurichten, die unter der Obhut der Rudolf-Steiner-Schule Loheland stehen soll. Zahlreiche Eltern sind laut Gabriele Kynast an der Initiative beteiligt. Auch die Arbeit im Kindergarten wird von ihnen unterstüzt. Eine Mitarbeit der Eltern wird stets vorausgesetzt. In Schloss Eisenbach sind momentan 18 Kinder. (mgg) +++





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