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Ensemble Festspiele : Faust I Prolog im Himmel

Festredner Bundesfinanzminister Peer Steinbrück

10.06.07 - Bad Hersfeld

"Pas de deux" von HESSE & BÖHMER - STEINBRÜCK eröffnet 57. Festspiele

Mit einem "Pas de Deux" in akustischer Form haben am Samstagnachmittag Elke Hesse als Intendantin und Bürgermeister Hartmut H. Boehmer die diesjährigen 57. Bad Hersfelder Festspiele in der romanischen Stiftsruine unter den Augen zahlreicher, zum guten Teil geladener, Gäste eröffnet.

In dieser "Wechsel-Rede" bekräftigen Boehmer und Hesse, dass Stadt und Künstler sich immer wieder mit großer Leidenschaft dafür entschieden, "in diesem unverwechselbaren Raum unvergessliches Theater für ein breites Publikum" zu ermöglichen. Die "Befriedigung von Publikum, Feuilleton und Steuerzahler" gleiche der Quadratur des Kreises. Gerade in Zeiten wie den gegenwärtigen seien große Anstrengungen notwendig, damit die künstlerische Freiheit der Intendanz und wirtschaftliches Handeln nicht "zum unlösbaren Spagat" würden.

Hesse und Boehmer dankten den öffentlichen und "treuen privaten" Sponsoren, ohne die so manche Aufführung nicht möglich würden und betonten, dass auch künftig weitere Förderung nötig sei.

Als zukünftige Aufgabe - auch der Kulturpolitik - nannten beide, den hier lebenden Menschen aus anderen Kulturkreisen die kulturellen Voraussetzungen in einer neuen, selbst gewählten Heimat nahe zu bringen und sei in diese einzubinden. Eine integrative Kulturpolitik und integratives Theater könnten auch ein Mittel gegen Fanatismus und für mehr Toleranz sein.

Die "Doppel-Begrüßung" war zugleich der Auftakt für kürzere und längere Ansprachen der Festredner. Prof. Dr. Lothar Ehrlich von der Klassik Stiftung Weimar strich die Modernismuskritik in Goethes Spätwerk heraus, gerne und berechtigterweise als Legitimation für in der Textform so sperrig wirkende Stoffe wie den FAUST II herangezogen. In der detaillierten Darlegung erntete er jedoch nicht nur Zuspruch, wie das Mienenspiel einzelner Amts- und Würdenträger erkennen ließ.

Staatsminister Udo Corts, verantwortlich für Wissenschaft und Kunst in Hessen, versicherte den Anwesenden den mehrfach nachgefragten Fortbestand der finanziellen Unterstützung des Landes Hessen. Es gab höflichen Applaus – offenbar waren keine hessischen Studenten im Auditorium.

Da verstand es Bundesfinanzminister Peer Steinbrück als Festredner weitaus humoriger, sein persönliches Dilemma, dass er Alles und Nichts zu verteilen habe, in Worte zu kleiden. Eine Stadt mit ausgeglichenem Haushalt, wie ihm Bad Hersfeld von Bürgermeister Böhmer stolz vorgestellt wurde, bräuchte doch eigentlich keine Zuschüsse.

Dennoch sicherte er die Unterstützung des Bundes zu, wie es einem Politprofi geziemt. Die Parallelen zwischen politischer und künstlerischer Bühne wurden beleuchtet, verbunden mit einem Plädoyer für politische Kultur, die sich nicht auf die selbstgefassten Regeln der Politprofis, sondern auf die Wurzeln der Kultur in all ihren Formen stützen sollte.

Steinbrück resümierte aus seinem kulturellen Vorleben als Entscheidungsträger des Schleswig Holstein – Musifestivals und seinem im Alter stärker werdenden Kindheitstrauma, nie ein Instrument gelernt zu haben. Als seine Mutter ihm im Vorfeld eines Kindergeburtstages eine vieldeutige zehnfingrige Geste bedeutete und der kleine Peer sich bereits als Adept eines großen Klavierlehrers wähnte, beschenkte ihn die Mutter mit einer Reiseschreibmaschine. (hhd)

Hier können Interessierte den bemerkenswerten "Pas de Deux" von Intendantin Elke Hesse und Bürgermeister Hartmut H. Boehmer nachlesen - IM WORTLAUT:

Bürgermeister Hartmut H. Boehmer:

Hochverehrter Herr Bundesfinanzminister Steinbrück aus Berlin,

sehr geehrter Herr Minister Corts aus Wiesbaden, hochverehrte Damen und Herren Abgeordnete des Bundestages und des Hessischen Landtags, hochgeschätzte Ehrengäste!

Intendantin Elke Hesse:

Liebes Publikum,

liebe Freunde des Theaters, die Sie aus allen Teilen dieses Landes und aus dem Ausland hierher gekommen sind, um Schauspiel und Musical zu erleben.

Liebe Bad Hersfelder, ich begrüße Sie bei Ihren Festspielen, die Ihnen - wie ich in dieser Stadt immer spüren kann - sehr am Herzen liegen.

Boehmer:

Zum 57. Mal veranstalten wir die Bad Hersfelder Festspiele, eine lange Zeit, vergegenwärtigt man sich, wie sich die Kunst und im speziellen das Theater in dieser Zeit gewandelt hat.

Hesse:

Auch unser Theater ist auf der ständigen Jagd nach Zuschauern, die bereit sind, sich immer wieder aufs Neue auf das Erlebnis Literatur, Schauspiel und Musik einzulassen.

Boehmer:

Dabei ist Tribut zu zahlen an Mode und Zeitgeist. In glücklichen Fällen kann unser Theater aber auch neue Wege aufzeigen und beschreiten.

Hesse:

Deshalb entscheiden sich die politisch Verantwortlichen dieser Stadt immer wieder mit großer Leidenschaft dafür, in diesem unverwechselbaren Raum unvergessliches Theater für ein breites Publikum zu ermöglichen.

Boehmer:

Dabei wissen wir, dass die Befriedigung von Publikum, Feuilleton und Steuerzahler der Quadratur des Kreises gleicht, vor allem in Zeiten wie diesen, in denen manch potentielles Theaterpublikum für sich andere Prioritäten ausmacht.

Deshalb und vor allem deshalb sind große Anstrengungen notwendig, damit künstlerische Freiheit der Intendanz und wirtschaftliches Handeln nicht zum unlösbaren Spagat werden.

Hesse:

Immer wieder muss auch unser Theater die Legitimation seiner öffentlichen Förderung erkämpfen. Aber den brennenden Fragen, die das Theater dieser Tage beschäftigen und quälen, ist nicht beizukommen mit alten Vorschriften und ein bisschen Wächtertätigkeit.

Zu groß sind die Sorgen der Theaterleute und -freunde, zu unsicher der Bestand der Bühnen, zu strittig die Ursachen der Verunsicherung, zu kurzsichtig bis dilettantisch die Lösungsversuche.

Boehmer:

Die Akteure deutschen Theaters, die die Fahne der Kunst und der Kultur hoch halten, befinden sich in einer schwer lösbaren Lage: Opulent soll es sein, was Abend für Abend zu besichtigen ist, nur bitte nicht zu teuer.

Hesse:

Und die Künstler? Sie erwarten eine angemessene Honorierung ihrer Arbeit. Ihr Drang zur Selbstverwirklichung steht häufig im umgekehrten Verhältnis zu den Budgets und alles zusammen geht nicht.

Boehmer:

Da ist es gut, dass wir uns auf unsere treuen Zuschussgeber von Bund, Land und Kreis verlassen können. Und deshalb danke ich Ihnen, hochverehrter Herr Bundesfinanzminister Peer Steinbrück für das Engagement des Bundes.

Darüber hinaus bedanke ich mich für die vorzügliche Rede, die Sie am Aschermittwoch vor dem Bonner Kulturrat zum Thema Politik und Kunst gehalten haben und die im Rheinischen Merkur abgedruckt wurde. Sie haben den Finger auf die Wunde gelegt. Sie wünschen sich Denker, die Flagge zeigen und, wie wir alle, Politiker, die mehr Bücher als Parteiprogramme lesen.

Hesse:

Wir sind gespannt, was Sie uns im Zusammenhang mit der Eröffnung dieser Festspiele zum Thema Politik, Kunst und Geld zu sagen haben. Dies in Zeiten, in denen angeblich auch die Bundesförderung zur Disposition stehen soll.

Boehmer:

Namens der Stadt und ihrer Bürger danke ich auch dem lieben und treuen Gast der Bad Hersfelder Festspiele, Ihnen, sehr geehrter Herr Minister Corts vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, als treuem Verfechter der Landesförderung unseres kulturell ambitionierten Engagements.

Schließlich darf ich mich sehr herzlich bei Herrn Landrat Dr. Schmidt und dem Landkreis Hersfeld-Rotenburg für die Förderung bedanken.

Hesse:

Wir brauchen die öffentlichen Sponsoren wie die Luft zum Atmen. Besonders herzlich wollen wir uns auch bei unseren treuen privaten Sponsoren und ihrem wesentlichen Beitrag zu diesen Festspielen bedanken. Das Theater kann auf das Mäzenatentum als eine der nobelsten Haltungen des Menschen nicht verzichten.

Boehmer:

Ohne unsere Sponsoren wäre manches, was wir auf der Bühne erleben werden, nicht möglich, ohne Sponsoren wäre unser Rahmenprogramm nicht so reichhaltig. Ohne die Menschen, die uns so wohl gesonnen sind, gäbe es keine Sonne im Faust und kein neues Licht, keine Hubbühnen und nicht so wunderschöne Kostüme.

Unsere Gegenleistung ist schlicht und einfach: Freilichttheater von internationalem Rang in dieser traumhaft schönen Kirchenruine.

Hesse:

Wo sonst finden Sie in einer derartigen Umgebung eine Aufführung von beiden Teilen Goethes Faust, noch dazu an einem Abend? Wo finden sie ein Musical wie Les Miserables, das über 150 Mitwirkende auf die Bühne bringt und damit alles übertrifft, das bisher auf diesen Brettern zu sehen war?

Boehmer:

In der Tat: Wir sind stolz darauf, was wir Ihnen ab heute Abend bieten können. Neben Faust I und 11, neben Les Miserables auch die Shakespeare-Komödie "Wie es euch gefällt".

Torsten Fischer und Helmuth Lohner, er nach Jahren wieder zurückgekehrt, sind Garanten für großartiges Theater. Gespannt sind wir auch auf den dritten im Bunde: Philipp Kochheim, Oberspielleiter im Staatstheater Darmstadt, der dort immer wieder für Aufsehen gesorgt hat.

Hesse:

Spannend wird auch sein, wie Regisseur Torsten Fischer den für den Leser oft so sperrigen Stoff des Faust II auf die Bühne bringen wird. Goethe hat dieses Werk ja selbst als "unspielbar" bezeichnet. Hier bedurfte es des klugen Einfühlungsvermögens und des mutigen Schnittes im Sinne des Gesamtwerkes und seiner Verständlichkeit.

Boehmer:

Darüber hinaus sollen das Kinderstück und unsere zweite Spielstätte im Eichhof, die sich großer Beliebtheit erfreut, nicht unerwähnt bleiben, außerdem unsere zahlreichen Initiativen in der Stadt, denen Sie auf Schritt und Tritt begegnen können und die Sie zum Mitmachen einladen.

Hesse:

Lassen Sie uns aber auch einen Blick in die Zukunft tun. In drei Jahren werden wir hier die 60. Bad Hersfelder Festspiele feiern. Die Festspiele konnten in dieser Zeit die Zahl ihrer Besucher verzehnfachen. Bad Hersfeld selbst rückte von der Randlage nahe der Zonengrenze in die geographische Mitte des neuen Deutschlands.

Boehmer:

In diesen langen Jahren hat sich auch die Stadt Bad Hersfeld gewaltig verändert. Mit unseren Festspielen sind wir von einer netten Kleinstadt durch den Ausbau unserer Infrastruktur und Parkanlagen sowie durch die geglückte Ansiedlung und Förderung bedeutender Wirtschaftsunternehmen wie Libri, Amazon, Grenzebach und Linde zu bundesweiter Bedeutung angewachsen.

Dies war nicht nur durch den Fleiß unserer Mitbürger möglich, sondern bedurfte auch des Zuzuges von vielen Menschen aus anderen Kulturkreisen, die heute mit uns leben und arbeiten.

Hesse:

Eine zukünftige Aufgabe und Herausforderung der Politik und im speziellen der Kulturpolitik in dieser Stadt - nicht anders übrigens als überall in Mitteleuropa - wird es sein, diese Menschen nicht nur in ihren persönlichen Grundbedürfnissen zu versorgen, sondern ihnen auch die kulturellen Voraussetzungen ihrer neuen, selbst gewählten Heimat nahe zu bringen und sie in diese einzubinden.

Denn nur so kann es Integration geben, die unser Zusammenleben auch in der Zukunft sichert.

Boehmer:

Wir sollten deshalb über eine neue Facette dieser Festspiele auch in diese Richtung nachdenken. Die Bühnen, gerade die bestehenden und vielleicht zukünftigen Spielstätten, könnten hier Aspekte anbieten. Aspekte für eine integrative Kulturpolitik und damit auch für ein integratives Theater.

Hesse:

Es ist jedoch der Fanatismus im Allgemeinen und auch der religiöse Fanatismus im Speziellen nicht nur ein Thema unserer Zeit. Immer schon haben sich Literaten und Stückeschreiber mit diesem Thema von den verschiedensten Ausgangspositionen her und mit den verschiedensten Lösungsansätzen auseinandergesetzt.

Boehmer:

In der Tat spannt sich ein weiter Bogen von Lessing über Goethe und Schiller bis weit hinein in die moderne Theaterliteratur. Gerade hier, wo wir stehen und leben, finden wir ringsum Zeugnisse sonder Zahl von religiösem und politischem Fanatismus, von der Vorzeit bis hin zur aktuellen Gegenwart.

Hier, und gerade hier sollten wir ein Zeichen setzen und einen Aufbruch wagen. Auch wenn es uns kritische Stimmen einbringen mag.

Hesse:

Wir nehmen Kritiken und Anregungen ernst und studieren sie ernsthaft. Die Kunst ist frei, auch wenn das manchmal nicht so gerne akzeptiert wird. Jeder von uns empfindet das, was auf der Bühne gespielt wird,anders.

Boehmer

Wir sind sicher, dass die große Faszination der Bad Hersfelder Festspiele auch in diesem Jahr erstrahlt, in diesem wunderbaren Theaterraum romanischer Baukunst.

Hesse:

Mit Goethes Tragödie Faust II beginnen wir heute Abend, mit einem Goethe-Zitat zur beglückenden Kraft des Theaters soll diese Begrüßung abgeschlossen werden:

Boehmer.

Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst und was nicht noch alles! Wenn alle diese Künste und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend zusammenwirken, so gibt es ein Fest, das mit keinem anderen zu vergleichen ist.

Beide:

Herzlich willkommen." +++


- Alle Fotos: Hans-Hermann Dohmen, Fulda






Blechbläserensemble der Staatskapelle Weimar

Intendantin Hesse (rechts) mit Landrat Dr. Schmidt und dessen Gattin (Mitte)


Prof. Dr. Lothar Ehrlich, Klassik Stiftung Weimar


Grußwort der Hessischen Landesregierung Staatsminister Udo Corts

Bürgermeister Boehmer und Intendantin Hesse


Festredner Bundesfinanzminister Peer Steinbrück


Ensemble Festspiele : Faust I Prolog im Himmel


THE EDGE (Gewinner Faust-Band-Contest 2006): Faust-Song



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