Archiv

15.04.08 - RHÖN

„Es war einmal – die deutsch-deutsche Grenze“: Alte Erinnerungen wurden wach

BAD KÖNIGSHOFEN. „Es war ein äußerst interessanter Abend ... Vieles habe ich nicht gewusst ... Das habe ich mir so nicht vorgestellt wie das bei den Grenztruppen war ...“ So lauteten einige Stimmen aus dem Publikum nach der knapp zweistündigen Gesprächsrunde zum Thema „Es war einmal – die deutsch-deutsche Grenze“.

Erinnerungen wurden wieder wach, als Günter Krämer aus dem thüringischen Mendhausen zum Beispiel aus seiner Kinderzeit erzählte: In Mendhausen gab es damals einen Aushang, auf dem ein altes Bauernhaus und eine von Ruß geschwärzte Küche zu sehen war und eine alte, ärmlich gekleidete Frau. Da machte sich der 11-Jährige auf den Weg, um selbst nachzuschauen ob das stimmt. Damals gab es noch Felder an der Grenze und hier war nach der Ernte Stroh aufgeschichtet. Der kleine Günter schlich von Strohbüschel zu Strohbüschel und gelangte über die damals noch unverminte Grenze in den Westen.

„Da habe ich dann schnell festgestellt, dass das gar nicht stimmte“, berichtete er. Drei Tage blieb er im Westen wurde dann an der Grenze bei Rothausen wieder seinen Eltern übergeben. In der Schule gab es später eine Art Abmahnung. „Aber trotzdem habe ich immer wieder heimlich erzählt, dass das mit dem Aushang und den Bildern gar nicht stimmt“, lachte er beim Gesprächsabend.

Das Bild zeigt Bürgermeister Clemens Behr, Berndt Ritschel aus Dresden, Rüdiger Kuhn, ehemals Grenzpolizist, Günter Krämer aus Mendhausen, Marianne Völkl, Journalistin aus Oberstreu, und Thomas Helbling, einst Zollbeamter in Bad Königshofen.

Erinnerungen wurden auch bei Rüdiger Kuhn wach, der bei der Grenzpolizei Bad Königshofen und dann in Maroldsweisach war. Er berichtete von Spionen und davon, dass es diese eigentlich leicht hatten, in den Westen zu kommen. Bei einem Verhör habe ein junger Mann aus der damaligen DDR einmal berichtet, wie unkompliziert es für ihn war, über die Grenze in den Westen zu kommen. Er sei direkt auf Grenzposten im Westen gestoßen, die ihn jedoch gar nicht beachteten. „Ihr seid nicht misstrauisch genug," Rüdiger Kuhn erzählte aber auch vom Grenzdienst und von den Bemühungen, mit den DDR-Soldaten Kontakt aufzunehmen. Das aber war unmöglich. In Seminaren erfuhr man dann auch, dass diese, sollten sie Handzeichen geben oder gar antworten, mit Strafen zu rechnen hatten.

Berndt Ritschel aus Dresden, einst Soldat an der Demarkationslinie, der konnte genau dazu eine Antwort geben. Einmal sei er Streife gegangen, als man den beiden Soldaten von westdeutscher Seite zurief: „Kommt doch rüber zu uns!“ Natürlich habe man weder geantwortet noch die Leute angeschaut, sagte Ritschel. Als die beiden dann Meldung über „besondere Vorkommnisse“ an der Grenze machen mussten, und nichts von dem Vorfall erzählten, gab es eine Strafpredigt: „Ihr seid doch bei eurem Grenzgang zur Fahnenflucht aufgefordert worden“, sagte der damalige Kommandant.

Die Gäste der Gesprächsrunde zum Thema „Es war einmal ...“ erfuhren, teils sicher zum ersten Mal, dass es auf DDR-Seite an der Grenze die „Freund- und die Feindseite“ gab. Ritschel erzählte von der Vergatterung, bei der indirekt auf eine Schussfreigabe bei Flucht verwiesen wurde.

Thomas Helbling einst Zollbeamter an der deutsch-deutschen Grenze erinnerte sich an so manche Begebenheit, zum Beispiel daran, dass einst ein amerikanischer Hubschrauber den Grenzzaun kontrollierte und plötzliche in der Luft stehen blieb. Er drehte sich in Richtung DDR-Gebiet und von dort tauchte dann plötzlich ein riesiger sowjetischer Hubschrauber auf. „Der war sicher doppelt so groß wie der der Amerikaner“, erzählte Helbling. Da habe man schon einen Schrecken bekommen und natürlich seien dann die Drähte der Telefone und die Funkgeräte „heiß gelaufen“. Gott sei dank habe sich dann aber alles wieder zerstreut und die beiden Hubschrauber seien, jeder auf seiner Seite, weggeflogen.

Ansonsten sei der Dienst an der Grenze oft langweilig gewesen, was vor allem die Streifengänge betraf. Helbling hatte in der Nacht, als die Grenze sich öffnete Dienst und erinnert sich daran, dass es irgendwie schon komisch war, vor allem, als Tage später dann plötzlich Bürger aus der DDR auftauchten und in den Westen kamen.

Marianne Völkl, Journalistin aus Oberstreu, hatte eigentlich recht wenig Kontakt mit der Grenze. Sie war mit ihr aufgewachsen und der Zaun und das alles gehörte dazu. Sie erinnert sich aber an einen Besuch in Ostberlin und dort an die scharfen Kontrollen. Vor allem in den Abendstunden sei es aufgefallen, dass die hellen Lampen im Westen doch alles freundlicher machte, als die gelben Ost-Straßenlampen, die wenig Licht abgaben.

Probleme habe man gehabt, wenn man den Zwangsumtausch ausgeben wollte. An einen Besuch in Ostberlin erinnerte sich auch Peter Gehret aus Bad Neustadt, der hier allerdings keine guten Erfahrungen machte. Man habe ihn durch eine Türe geschickt, auf der BRD stand. Dann sei er wieder im Bahnhof gelandet und dort vor einer großen Glasscheibe. Dahinter, das erfuhr er später erst, saßen die Stasileute, die alles beobachteten.

Bad Königshofens Bürgermeister Clemens Behr erinnerte an die jahrelangen Bemühungen der Stadt, die Partnerschaft mit Römhild in Gang zu bringen, was dann 1990 auch gelang. Einen Festzug gab es durch die thüringische Stadt und man habe sich im Kulturhaus getroffen. Ein Jahr später wurde die Urkunde offiziell in Bad Königshofen unterzeichnet. Heute sei diese Partnerschaft nicht so lebendig, wie man es sich gewünscht hat, aber es gebe gute Kontakte zu den Vereinen, zur Feuerwehr und auch zur Stadt. Behr selbst erinnerte sich an die Grenzöffnungstage, als er, damals Angestellter der Sparkasse, mit einem Koffer voller Geld – rund 100.000 Mark – nach Mellrichstadt fuhr, um dort dieses Begrüßungsgeld abzugeben. „Es waren turbulente Tage, die man sicher nie vergessen wird,“ fügte er an.

So sah es auch Stadtpfarrer Linus Eizenhöfer, der an Wolfmannshausen erinnerte, eine katholische Gemeinde mitten im evangelischen Thüringen. Hier seien die Pfarrer immer aus dem Westen gekommen und zwar von der Diözese Würzburg. Heute sei leider dieser enge Kontakt, der zunächst bestanden habe, nicht mehr so lebendig wie einst unter Pfarrer Alfred Rind. Eizenhöfer sprach einen Pfarreraustausch an, als er einmal in Suhl und der dortige Geistliche in Bad Königshofen war. In Suhl fielen Eizenhöfer vor allem die vielen jungen Leute auf, die zum Gottesdienst kamen. Er berichtete davon, dass er früher als junger Pfarrer auch einmal mit anderen in der DDR war und ein DDR-Soldat zu ihm sagte, dass er eine Uniform trage, was nicht erlaubt sei. Heute schmunzle man darüber, aber damals sei alles ein bisschen anders gewesen, lachte Eizenhöfer.

Die todbringende Grenze wurde angesprochen. Hier ging es um die Selbstschussanlagen, die SM 70, es ging um die Minen, die einst im Grenzgebiet verlegt wurden, um Minentote und Flüchtlinge, die in den Westen, speziell in den Landkreis Rhön-Grabfeld kamen. Günter Krämer berichtete von den Beobachtungen durch die Stasi und hatte sogar seine Stasi-Akte mitgebracht. Daraus war ersichtlich, dass alle Briefe zwischen Ost und West kontrolliert und abgelichtet wurden und dass auch Günter Krämer selbst genauestens überwacht wurde.

Das konnte auch Berndt Ritsche bestätigen, der von einem Punktesystem sprach. Schwarze und rote Punkte gab es und er selbst hatte sogar einen solchen „roten Punkt“. Von der Grenzöffnung habe man in Dresden kaum etwas mitbekommen. Natürlich die Tage vorher, als die Demonstrationen waren. Als man im Fernsehen davon erfuhr, dass die Grenze nun immer passierbar ist, habe man es zunächst nicht geglaubt. „Wir lebten ja im sogenannten Tal der Ahnungslosen in Dresden“, lachte Ritschel.

Viel Beifall lohnte schließlich den interessanten Abend, wobei sich Moderator Hanns Friedrich, Vorsitzender des Vereins für Heimatgeschichte, ganz herzlich bedankte und bereits im Vorfeld sagte, dass man diese Gesprächsrunde zum Thema „Es war einmal – Die DDR“ fortsetzen werde. (hf, Foto: Friedrich) +++

Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön