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RHÖN Privates Naturschutzprojekt

Seit 13 Jahren: Auerochsen in der Hochrhön

01.10.14 - „Die Tiere kennen mich nicht“, belächelt Carmen Kronester ihre Viehherde, „außer im Winter, denn da bringe ich ihnen das Futter“. Gemeinsam mit ihrem Mann Karlheinz hat sie vor 13 Jahren ein privates Naturschutzprojekt auf der Hochrhön begonnen, indem die beiden einer kleinen Herde Auerochsen, damals bestehend aus vier Kühen und einem Bullen, ein Areal in der Nähe des Schwarzen Moores absteckten. Hier lebt die Herde, die mittlerweile auf 33 Tiere angewachsen ist, relativ unbehelligt, ernährt sich ausschließlich von den Pflanzen, die im rauen Klima der Rhön gedeihen und tränkt sich am Bachlauf, der sich durch die Weide schlängelt. Im Winter, wenn alles unter einer dicken Schneedecke liegt, wird ausschließlich Heu hinzu gegeben, das von den Wiesen der benachbarten Bauern stammt.
Die Fladungerin Carmen Kronester ist immer wieder überrascht, womit sich die Tiere ernähren. Kürzlich entdeckte sie ein Tier, das die abgeblühten Teile einer Distel samt stacheligem Beiwerk genüsslich abknabberte, „scheinbar wissen die Auerochsen ganz genau, wann welche Pflanze für sie am besten ist“.

Durch diese extensive Beweidung wird die Landschaft auf schonende Weise offen gehalten. Die Tiere leben ganzjährig auf der 24 Hektar großen Fläche, als Unterstand dienen ihnen Bäume und Büsche, auch Minustemperaturen von 25 Grad sind selbst für Kälber kein Problem. Die Herde lebt hier ganz ursprünglich zusammen, zwei große Bullen leiten die Gemeinschaft, für den Außenstehenden ungewöhnlich, doch die Kronesters beobachten es immer wieder, dass sich die beiden Tiere mit den großen spitzen Hörnern in der Führung abwechseln und ergänzen. Die Herde ist ausgeglichen, zieht ruhig und gelassen über die Wiesen und geht vorbeikommenden Wanderern am liebsten aus dem Wege.

So beschreibt Carmen Kronester den Elektrozaun der Weideeinfassung nicht nur als Abgrenzung der Fläche, sondern auch als Schutz der Tiere vor den Wanderern, als sie am vergangenen Samstag interessierte Besucher zu den Auerochsen führte. Vor dem Bratwurststand am Schwarzen Moor hatten die Kronesters einen Stand aufgebaut, an dem sie über ihre Tierhaltung informierten, Auerochsengulaschsuppe und Würste verkauften und von dem aus die Wanderung zu ihren Tieren startete. Anton, Walter, Moritz und Jutta liefen vorneweg, immer bedacht nicht in die Pfützen auf dem Weg zu treten und wer wollte, durfte sie an der Leine führen. Dieses Quartett besteht aus den Eseln der Familie Kronester und war als Attraktion für die mitwandernden Kinder gedacht, die jedoch großen Respekt vor den Grautieren hatten und somit meist von den Vätern geführt wurden. Im gemütlichen Gänsemarsch bewegte sich die etwa 40 Personen starke Gruppe über den „Höchrhöner“ in südwestliche Richtung entlang der Straße nach Seiferts, um dann nach Norden abzubiegen. Nach Querung des lichten Laubwaldstreifens war die Auerochsenweide erreicht, doch die erwarteten Tiere waren erst einmal nicht zu sehen.

Cowboys in der Rhön

Einmal im Jahr muss die Herde tierärztlich untersucht werden. Da man ein fast wild lebendes Tier nicht einfach so einfangen kann, sind hierzu Fachleute gefragt, die sich auch in unseren Breiten Cowboys nennt. Für die Kronesters arbeitet auch ein Cowgirl; die Tierärztin Birgitt Frohmann und Cowboy Harald Fedder vom Cattle-Drive-Team aus Edertal nahe Kassel kamen schon öfters in die Rhön, um die Auerochsen der Kronesters zusammen zu treiben.
Ziemlich weit entfernt tauchen endlich die Cowboys zwischen den Bäumen auf und mit großer Ruhe wird die Auerochsenherde langsam in Richtung der Besucher geleitet. Und genau das bedeutet die deutsche Übersetzung ihres Firmennamens: Kuh-Treiber-Mannschaft.

Die Auerochsen müssen behutsam getrieben werden, denn sie sind fast wie wilde Tiere anzusehen. Jegliche Aufregung muss vermieden werden, denn bei Bedrohung läuft die Herde davon. Damit die Cowboys einzelne Tiere in das abgetrennte Gatter bugsieren können, brauchen sie sehr viel Feingefühl, eine gute Beobachtungsgabe und vor allem gute Arbeitskollegen auf vier Beinen. „Wir müssen auch ganz besonders auf unsere Pferde Acht geben“, erklärt Harald Fedder den Besuchern, „denn anders als bei den Kuhtreibern in Amerika können wir unsere Pferde nicht nach anderthalb Stunden gegen ausgeruhte austauschen“. Zum vierbeinigen Personalstamm gehört noch Quickly, der Hütehund aus der Rasse Australian Cattle Dog.

Mit Lasso und Peitsche

Die Peitsche ist eines von Fedders Arbeitsutensilien, aber nicht um damit die Auerochsen direkt damit zu treiben, sondern um lautere oder leisere Knallgeräusche zu erzeugen, mit denen er die Tiere lenkt. Langsam bewegt sich die Herde Richtung Weidezaun, wo die Besucher warten. Beeindruckend groß und sehr spitz sind die Hörner der Rinder. Davor haben auch die Pferde Respekt. Fedder erklärt, „das Pferd muss beim Treiben immer das Gefühl haben, der Sieger zu sein“, das Rind muss sich immer vom Pferd weg bewegen, dann sind am Ende alle zufrieden.
Und endlich zeigt er das, worauf alle gewartet haben, das Einfangen eines Tieres mit dem Lasso. Er hat sich den Leitbullen Nobbi heraus gesucht, den er mit einem Trainingslasso fangen will. Bei diesem Seil besteht die Schlaufe aus einem offenen Kunststoffring, der das Seil, sobald sich die Schlinge um das gefangene Tier zu zieht, wieder entgleiten lässt. So soll auch den zu fangenden Tieren die Scheu vor dem Lasso genommen werden.

Azubi auf vier Hufen

Der erste Versuch misslingt, der Bulle rennt davon und mit ihm auch ein Teil der Herde. Birgitt Frohmanns Pferd bleibt trotz der knapp vorbeirennenden Tiere zwar ruhig stehen, bläht aber ganz aufgeregt die Nüstern und streckt die Zunge heraus. Das Pferd ist noch in der Lehre, quasi ein Azubi zum Cowboypferd, hat aber schon Vieles gelernt und Frohmann ist mit ihrem Partner sehr zufrieden. Ein Großteil der Arbeit des Cattle-Drive-Teams liegt auch in der Ausbildung von Tier und Cowboy und dem ständigen Training.

Die Natur in der Rhön, die Ausblicke von der Weide der Kronesters auf die Landschaft und die Dörfchen Birx und Frankenheim genießen die beiden Cowboys, wenn sie Zeit dafür finden, allerdings ist das Gelände, das sogenannte Geläuf sehr schwierig. Unter dem Gras verstecken sich oft Basaltfindlinge, der Boden ist uneben und weich und erfordert viel Können und Geschick von Pferd und Reiter. Und trotzdem wird die teils knochenharte Arbeit der beiden Cowboys oft unterschätzt und als Spaß abgetan. „Es ist nicht damit getan, nur in die Hände zu klatschen und schon steht die Herde in einer Reihe da“, bringt es Harald Fedder auf den Punkt. Als Fedder beim zweiten Versuch dem Bullen die Lassoschlinge um die Hörner werfen kann, lässt der seine Kräfte spielen. Durch die offene Öse löst sich das Lasso und der Bulle kann entkommen und beim Flüchten vibriert der Boden und seinen Tritten. Die ganze Herde folgt ihm und ist binnen kurzer Zeit unter den Bäumen am Abhang verschwunden.

Nicht nur für die Tiere ist es Stress alljährlich eingefangen, in ein abgetrenntes Gatter geleitet - wo sie dann „fixiert“ werden, wie Fedder es nennt - und untersucht zu werden, sondern auch für die Halter, die anders als bei der konventionellen Herdenhaltung sehr um das Wohl ihrer Tiere besorgt sind. Karlheinz Kronester berichtet, dass die Tiere das ganze Jahr über möglichst in Ruhe gelassen werden, auch kranke Tiere beobachte man nur. Einmal fingen sie ein krankes Kalb ein, das trotz Behandlung nach wenigen Wochen gestorben ist. „Die Natur regelt das alles selber“, beschreibt er es. Auch die Kälber werden ohne Zutun des Züchters geboren, in diesem Jahr waren es zehn Tiere, die während der Fangaktion ihre Ohrmarken bekommen. Wie viele Jungtiere im Jahr nachkommen, kann Kronester nicht voraussagen, auch das regelt die Herde alleine.

Nur zur Regulierung des Bestandes greift der Mensch ein. Nach fünf bis sechs Jahren, wenn ein Auerochse etwa 16 Zentner wiegt, ist er schlachtreif und wird von einem Jäger erlegt. Über die Fleischverwertung müssen sich die Kronesters keine Gedanken machen, sie finden immer viele Abnehmer, denn dieses Fleisch ist etwas Besonderes, von feinem Geschmack und hoher Qualität, die sich bereits bei der Zubereitung zeigt, wo es seine Größe behält und nicht wie das Fleisch eines konventionellen Masttieres zusammen schrumpelt.

Eigeninitiative im Naturschutz

Carmen und Karlheinz Kronester bezeichnen sich selber als Quereinsteiger, da sie ursprünglich in anderen Berufen arbeiteten. Ihr Weideochsenprojekt findet jedoch viele Interessenten. „Es wurden schon einige Facharbeiten darüber geschrieben und die Studenten der Uni Kassel besuchen uns öfters“, berichtet Karlheinz Kronester, der sich selbst als den ältesten Studenten der Uni in der Außenstelle Witzenhausen bezeichnet, in der sich der Landschaftsarchitekt eingeschrieben hat. „Ich will einfach etwas über die Landwirtschaft lernen, ob ich da mal einen Abschluss mache, kann ich noch nicht sagen“, lächelt er verschmitzt. Die Kronesters wirken zufrieden, ihr Projekt, das anfangs auch belächelt wurde und viele bürokratische Hürden nehmen musste, entwickelt sich und man kann es als gelungen bezeichnen. Auch mit dem Infotag ist man zufrieden, „im Vorfeld war natürlich alles etwas stressig, aber das schöne Wetter dieses Tages lässt die Anspannung abfallen, ich bin zufrieden“, zieht Carmen Kronester ihr Fazit des Tages.

Info zu den Cowboys:

Die Tierärztin Birgitt Frohmann und Harald Fedder betreiben seit 14 Jahren ihr Cattle-Drive-Team und bezeichnen sich selbst als Miet-Cowboys. Sie arbeiten für Landwirte, Veterinärämter und Showveranstalter. Sie haben es sich nach eigenen Angaben zur Aufgabe gemacht, den Umgang mit Rindern und Pferden nach den Prinzipien des Low Stress Stockmanship bzw. des Natural Horsemanship zu pflegen, zu entwickeln und zu verbreiten. Sie tun ihre Arbeit mit Respekt vor dem Geschöpf und seiner Bedürfnisse und unter Berücksichtigung ihrer eigenen Sicherheit. Zudem treten sie mit ihren Tieren bei Mittelaltermärkten auf und im letzten Jahr wirkte Harald Fedder mit seiner Stute Jessy bei den Festspielen einer Freilichtbühne mit und ritt pistolenknallend als Westernheld über die Bühne. Interessantes über das Cattle-Drive-Team ist auch auf seiner Internetseite zu finden: www.cattle-drive-team.de (Barbara Enders) +++

Fotos: Barbara Enders


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