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REGION FASTENHIRTENBRIEF 2015

„Kein Mensch hat das Recht, über den eigenen Tod zu verfügen“

22.02.15 - „Weil das Leben ein Geschenk Gottes ist, hat kein Mensch das Recht, über seinen eigenen Tod zu verfügen. Das geschenkte Leben bis zu seinem Ende zu leben und auch das Sterben, ist Ausdruck der wahren Selbstbestimmung des Menschen.“ Dies stellt der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen in seinem diesjährigen Fastenhirtenbrief an die Gemeinden seiner Diözese heraus. In dem Hirtenbrief, den der Oberhirte unter dem Titel „Auf der Seite des Lebens“ mit Bezugnahme auf die aktuelle Diskussion um Sterbehilfe verfasst hat, geht es ihm um den Schutz des Lebens an seinem Ende in einer „Kultur des Geschehenlassens“. „Wer, wenn nicht wir Christen, sollte die Letztverfügung des Menschen über sich selbst eindeutig zurückweisen und sich klar auf die Seite des Lebens stellen?“, fragt Bischof Algermissen. Die Kirche sollte den ganzen Menschen bejahen, auch seine Begrenztheit. „Wir glauben, wir müssen nicht alles selbst vollbringen, was uns ausmacht. Wir glauben, das letzte Wort über uns sprechen nicht wir – es spricht die Liebe Gottes.“


In dem Hirtenbrief, der am Sonntag und in den Vorabendmessen vom Samstag in der ganzen Diözese verlesen wurde, betont der Bischof, dass Gott kein Leben gleichgültig sei. Dies veranlasse Christen zu besonderer Behutsamkeit, wenn sie über Leben und Tod entscheiden müssten. Im Herbst wolle der Deutsche Bundestag zu einem Gesetz über Sterbehilfe entscheiden, insbesondere in Bezug auf Hilfe beim Suizid. Die Gesetzentwürfe reichten von sehr sparsamen Klarstellungen im Zivilrecht, die einer weitgehenden Erlaubnis der Suizidhilfe gleichkämen, bis hin zu dem Vorschlag, jede geschäftsmäßige Suizidassistenz strafrechtlich zu verfolgen. In Parlament und Öffentlichkeit werde die Debatte bislang mit großem Ernst und Respekt vor der Meinung anderer geführt. „Alle Gesetzentwürfe enthalten ein klares Bekenntnis zu Palliativmedizin und Hospizarbeit“, unterstreich der Oberhirte. Das lasse hoffen, dass das Angebot guter medizinischer Begleitung von Sterbenden bald wirklich flächendeckend ausgebaut werde. „Denn die Medizin kann heute einem Sterbenden alle Schmerzen nehmen, ohne ihn zu töten.“ Der Bischof lobte die Tatsache, dass die sogenannte „aktive Sterbehilfe“ bzw. die „Tötung auf Verlangen“ weithin ein Tabu in den Entwürfen sei.

Der Mensch ist mehr als Krankheit und Verzweiflung

Bischof Algermissen kritisiert in seinem Hirtenbrief, dass einerseits die Würde des Sterbenden noch immer nicht klar genug herausgestellt worden ist und andererseits die Diskussion „mehr Weite“ brauche. „Ob Menschen bei nachlassenden Kräften den Wunsch haben, sich das Leben zu nehmen oder nicht, hängt wesentlich davon ab, ob sie überhaupt ein Verhältnis dazu gefunden haben, dass wir endliche und zerbrechliche Wesen sind.“ Eine Gesellschaft, die nur auf Aktivität und Leistung setze, werde unmenschlich, gibt der Bischof zu bedenken. Würde zu besitzen heiße, man dürfe niemals zu einem „Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt“ (Günter Dürig) werden. Menschen seien laut Algermissen mehr als nur Arbeitnehmer oder Konsumenten. „Erst recht sind wir mehr als nur Patienten, die durch ihre Krankheit definiert sind.“ Wo man Menschen nicht als sie selbst, sondern wie eine Sache, eine Funktion oder ein Krankheitsbild behandle, stehe ihre Würde auf dem Spiel. „Wer sich aus Krankheit, Lebensüberdruss und Angst das Leben nimmt, engt sich ein auf die Verzweiflung, die er spürt – und wer ihm hilft sich umzubringen, folgt dessen verzweifelter Selbstwahrnehmung, statt ihm eine Öffnung der verengten Perspektive zu ermöglichen.“

Umfassendes Verbot jeder Suizidförderung

Es kränke die Menschenwürde nach Bischof Algermissen massiv, wenn auf eine tödliche Verzweiflung mit der Tötung des Verzweifelten reagiert werde. „Das gilt auch für die Selbsttötung, ob assistiert oder ohne fremde Hilfe vollzogen.“ Es gehe nicht darum, Suizidenten zu verurteilen, sondern sie seien dem liebenden Gott anempfohlen, der heilen könne, was in ihrem Leben zerbrochen sei. Auch das Strafrecht bei Suizidversuch könne keinen Verzweifelten zur Achtung der eigenen Würde bringen. „Dass unser Gesetz Suizide nicht ahndet, heißt aber nicht, dass uns Selbsttötungen egal sein dürften. Wäre dem so, befänden wir uns bereits im kalten Reich der Gleichgültigkeit und Indifferenz.“ Eine Gesellschaft, die achselzuckend auf das Selbstbestimmungsrecht verweise, wenn sich jemand umbringe, sei nicht frei, sondern zynisch, unterstrich der Bischof. „Wir als Gesellschaft stehen auf der Seite des Lebens. Das umfassende Verbot jeder Suizidförderung wäre ein solches Signal.“

Den einseitigen „Kult des tätigen Lebens“ aufgeben

„So fordere ich im Namen der Menschenwürde und der Lebensfreundlichkeit vom Gesetzgeber eine klare Absage an jede Suizidunterstützung“, fährt Bischof Algermissen fort. Es dürfe keinerlei Zweifel an ihrer Rechtswidrigkeit geben, aber die bisher vorgelegten Gruppenanträge und Gesetzentwürfe seien in diesem Punkt nicht klar genug und problematisch. Suizidwunsch und Suizidhilfe seien keine Themen, die sich aus heiterem Himmel ergäben, sondern sie erwüchsen aus dem Gesamtzusammenhang von Selbstbild, Freiheitsverständnis, Träumen und Ängsten. „Wir können niemals ganz verhindern, dass Alter und Krankheit unsere Schaffenskraft beeinträchtigen und unsere Freiheitsräume verengen.“ Wenn ein Mensch sich ein Leben lang über seine Aktivitäten definiert habe, sei die Versuchung groß, lieber den schnellen Tod zu suchen, als sich von Krankheit und Alter in seiner Tatkraft stilllegen zu lassen. „Die Wahrheit aber ist: Niemand verliert seine Würde, weil er mit 80 Jahren nicht mehr das vermag, was ihm mit 40 noch leicht fiel.“ Vielmehr verbiete es die menschliche Würde, sich mit dem gleichzusetzen, was man leiste. „Ich glaube daher, es ist höchste Zeit, dass wir den einseitigen Kult des tätigen Lebens aufgeben.“

„Wenn es uns nicht gelingt, aus dem verengten Selbstbild der stets Aktiven, Mobilen und Unabhängigen auszubrechen, wenn wir dem Geschehenlassen und der Bedürftigkeit nicht den Platz geben, der ihnen gebührt, wenn wir keinen Weg finden, mit naturnotwendigen Freiheitsverlusten gelassen umzugehen, wird der Wunsch, dem Kontrollverlust bei schwerer Krankheit, beim Altern und Sterben durch Selbsttötung zu entkommen, kein Einzelphänomen bleiben.“ Bischof Algermissen erinnert an die Aussage des evangelischen Theologen Eberhard Jüngel: „Es gibt eine Passivität, ohne die der Mensch nicht menschlich wäre. Dazu gehört, dass man geboren wird. Dazu gehört, dass man geliebt wird. Dazu gehört, dass man stirbt.“ Eine „Kultur des Geschehenlassens“ verlange aber nicht nur einen ehrlicheren Blick auf sich selbst in der eigenen Bedürftigkeit. Sie erfordere auch strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft. „Es bleibt zwar richtig und wichtig, dass wir auf die Aktivierung alter Menschen setzen und sie unterstützen in ihrer Selbständigkeit. Darüber hinaus müssen wir aber auch Strukturen schaffen, die es erlauben, die eigene Hinfälligkeit zu bejahen“, so der Bischof. Pflegeheime und Pflegestationen müssten „Heiligtümer der Humanität“ sein (Papst Franziskus). „Gute Pflege ist teuer. Aber wenn wir an ihr sparen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Kultur des Todes weiter um sich greift“, schreibt Algermissen.

Der Hirtenbrief wird am 8. März vollständig im „Bonifatiusboten“ abgedruckt und ist ab 21. Februar im Internet unter www.bistum-fulda.de abrufbar. Ferner besteht die Möglichkeit, einen Tonträger mit dem Hirtenbrief über die Bischöfliche Pressestelle, Paulustor 5, 36037 Fulda, Tel. 0661/87-355, Fax 0661/87-568, E-Mail: [email protected], zu beziehen.+++


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