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Wo sind nur die Dorfkneipen hin? - "Die Zeiten haben sich geändert"
13.05.15 - "Hey, kommst du vorbei auf ein Cola-Weizen und ein Filmchen schauen? Gemütlichen Abend und ein bisschen quatschen ?", bimmelt das Handy und zeigt die Nachricht via Whatsapp auf dem Display. So etwas war vor gar nicht all zu langer Zeit überhaupt nicht möglich. Wollte man sich verabreden, ging das vielleicht per Telefon - möglichst aber zwischen 19 und 22 Uhr zu Billig-Telefonier-Zeiten des frühen 21. Jahrhunderts. Wer aber "quatschen" und das neuste aus Stadt, Dorf und Region erfahren wollte, dem blieb nur die jeweilige Dorfkneipe.
"Aber wo sind die all diese Dorfkneipen denn plötzlich hin?", fragt sich Hans-Udo Heuser, Pächter des Felsenkellers in Fulda, "die Dorfkneipe war früher das Dorfblättchen, das, was Facebook in der heutigen Zeit ist. Abends in die Wirtschaft gehen, zwei, drei Bierchen trinken und ein bisschen dummes Zeug schwätzen, scheint nicht mehr im Trend zu liegen. Heute macht ein Lokal nach dem anderen zu, weil keine Kunden mehr kommen oder niemand das Geschäft übernehmen will." Lokale, Gaststätten und Kneipen in Dörfern und Gemeinden würden nach und nach zu machen. Zum einen weil die Nachfrage nicht mehr die von früher sei, zum anderen finden viele Familienbetriebe keinen Nachfolger.
"Gastronomie ist natürlich ein Knochenjob mit komischen Arbeitszeiten, aber er ist auch vielfältig, anspruchsvoll und macht Spaß. Für viele sind die Arbeitszeiten ein Beziehungskiller, aber mittlerweile hat man in fast jedem Beruf Überstunden, Schichten usw.", zählt Heuser auf. Er selbst sei mit Leib und Seele dabei - das sei auch Grundstein seines Erfolges in der Fuldaer Gastronomie.
"Die Zeiten haben sich geändert"
Katja Ebert vom Gasthof Deutsches Haus in Neuhof sieht das ähnlich: "Keiner möchte mehr am Wochenende, an Ostern oder an Weihnachten arbeiten. Wenn man nicht selbst voll anpackt, hat man es sehr schwer." In ihren Augen wollen zudem die Frauen der heutigen Zeit ihre Männer nicht mehr so gerne an Frühschoppen und Stammtisch abgeben. "Früher kamen die Fußballer zwei Mal in der Woche, drei andere Gruppen, Monteure und viele mehr. Mittlerweile haben wir noch den Lotto-Club am Freitag - das war's auch schon mit Stammtisch. Die Zeiten haben sich geändert."
Ein Überleben als reines Restaurant scheint ihr unmöglich: "Bei uns funktioniert das Gesamtkonzept mit Übernachtungen, Frühstück, Partyservice und Restaurant. Außerdem haben wir zwei Sportvereine, die Feuerwehr und doch noch so manchen Stammgast. Trotzdem wird es von Jahr zu Jahr schwieriger."
Beide Gastronomen fragen sich: Warum möchte keiner mehr Geld für etwas gutes zum Essen und Trinken in die Hand nehmen, ein wenig die Seele baumeln lassen und Geselligkeit und Gastlichkeit genießen? "In Handys und Autos investiert doch jeder", ist sich Heuser sicher, "ich wäre traurig, wenn die deutsche Küche und die Kultur der Dorfkneipe aussterben würde." (Julius Böhm) +++