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Das Hessen links vom Rhein – Wiege von Erfindern, Entdeckern, Dichtern, und Denkern
08.10.15 - Wer an Rheinhessen denkt, mag sich vor allem sanfte Hügel, kleine Dörfer, und saftige Weinreben vorstellen. Die im Bundesland Rheinland-Pfalz befindliche Region ist tatsächlich das größte Weinbaugebiet innerhalb von Deutschland und nicht nur für seine rauschenden Feste bekannt, sondern auch für zahlreiche Wanderwege, wie die Hiwweltouren beispielsweise, die auf kurzen und einfach zu bewältigenden Strecken durch die Landschaft führen. Doch die Region hat neben Wein und Erholung auch eine reiche Geschichte zu bieten und feiert im nächsten Jahr ihren 200. Geburtstag. Nicht nur die sagenumwobenen Nibelungen sollen hier gewirkt und gelebt haben, sondern auch die Mystikerin Hildegard von Bingen und der Mainzer Buchdrucker Johannes Gutenberg. Die Geschichte Rheinhessen und die Geschichten dieser, von der Region geprägten, Persönlichkeiten werden im Folgenden nun vorgestellt.
Rheinhessen hat eine lange Geschichte
Offiziell gibt es Rheinhessen zwar erst seit der Restrukturierung Europas nach dem Wiener Kongress 1815, trotzdem hat die Region, die in etwa durch die Lage der Städte Bingen, Mainz, Alzey, und Worms begrenzt wird, eine lange Geschichte, die bis ins prähistorische Alter reicht. Das Brandungskliff bei Eckelsheim im Mainzer Becken ist ein 30 Millionen Jahre alter Zeuge eines ausgetrockneten Meeres und offenbart neben den Fossilien auch Küstengesteine, die auf eine hohe Beweglichkeit von Lavaströmen schließen lassen.
Auch die Kelten, Römer, und Franken ließen einige Schätze, Tempel, und Gräber zurück und die ausdrückliche Zusprechung der linksrheinischen Städte Speyer, Mainz, und Worms an das ostfränkische Reich lässt vermuten, dass die Region schon im Mittelalter einen hohen Stellenwert hatte. Nicht zuletzt stehen in den beiden letztgenannten Städten Kaiserdome.
Nachdem das rheinhessische Gebiet einige Jahrhunderte lang Zankapfel zwischen verschiedenen Mächten wie Bayern, der Kurpfalz, und Frankreich war, schien letzteres durch die Revolution 1789 einen solchen Einfluss auf den die linksrheinischen Gebieten in Deutschland nehmen zu können, dass in Mainz sogar ein Jakobinerclub gegründet wurde. 1792 hob Frankreich die Selbstautonomie für die nun besetzten Gebiete (unter anderem Rheinhessen) jedoch auf und somit war die Region unter französischer Fremdherrschaft, die bis zum Jahr 1815 währen sollte. Danach wurde das neugegründete Rheinhessen dem Großherzogtum Hessen zugesprochen, ehe es durch die Gründung der Bundesrepublik in das Bundesland Rheinland-Pfalz integriert wurde.
Mystikerin, Gelehrte, Politikerin
Hildegard von Bingen (1098-1179) war eine Universalgelehrte des Spätmittelalters. Obschon ihr genauer Geburtsort unbekannt ist, gilt sie wohl als eine der bekanntesten Persönlichkeiten aus der Region. Sie verband Religion mit Medizin, war aber auch an Musik, Dichtkunst und Kosmologie interessiert. Berühmt ist sie vor allem wegen ihrer Visionen, die sie als von Gott gesandt empfand. Nach anfänglicher Unsicherheit über diese Visionen suchte sie Rat beim Abt und KreuzzugpredigerBernhard von Clairvaux, einem der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Diese Korrespondenz ermutigte sie dazu, sich an den Papst Eugen III. zu wenden, der ihr die Veröffentlichung der Visionen gestattete, was eine Steigerung ihrer politischen Bedeutung zu Folge hatte.
Diese war vor allen Dingen auf ihre selbstbewusste und charismatische Aura gefußt und reichte sogar so weit, dass sie stellenweise als Beraterin des Kaisers Barbarossa agierte. Viele Menschen betrachteten Hildegard bereits zu Lebzeiten als eine Heilige, ein Status, der ihr spätestens 1584 zugesprochen wurde.
Hildegard von Bingen ist nicht zuletzt durch ihre biologischen und medizinischen Schriften vielen Menschen immer noch ein Begriff. Sie verstand es, das antike Erbe der Medizin mit der deutschen Volksmedizin zu verbinden und benutzte stellenweise deutschsprachige Namen für die Bezeichnung von Pflanzen. Dies war für die damalige Zeit, in der Latein als Wissenschaftssprache eigentlich unabdingbar war, keine Selbstverständlichkeit (mehr zu Hildegard von Bingen).
Drucker und Medienrevolutionär
Johannes Gutenberg (1400-1468) wird gemeinhin als Erfinder des Buchdrucks bezeichnet. Dies ist freilich übertrieben, doch immerhin nimmt er eine zentrale Stellung in der Geschichte der Medien ein und ohne ihn wären Twitter und Facebook heute vielleicht nicht ganz undenkbar, doch die Entwicklung bis dahin wäre wohl ganz anders verlaufen.
Eigentlich hat Gutenberg den Buchdruck revolutioniert. Indem er die bereits bekannte Druckerpresse, oftmals umfunktionierte Weinpressen, mit beweglichen Metalllettern (einzelnen Schriftzeichen) versah, war die rasche Kopie von Büchern in die Wege geleitet. Zuvor konnte man nur ganze Seiten drucken, bei denen die Position eines jeden Buchstaben festgesetzt war (Video zur Geschichte des Buchdrucks).
Über das Leben von Johannes Gensfleisch, so Gutenbergs bürgerlicher Name, ist relativ wenig bekannt, was seit jeher viel Platz für Spekulationen lässt. In Mainz als Sohn eines Kaufmanns geboren, das Geburtsjahr 1400 wurde von der Gutenberg-Gesellschaft willkürlich zwecks Jubiläumsfeier im Jahr 1990 festgesetzt, zog es die Familie wohl kurzzeitig ins nahe gelegene Eltville. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Gutenberg eine Ausbildung an einer Lateinschule und womöglich auch an einer Universität genoss, zumindest lässt sich dies aus seinen Tätigkeiten als Drucker erahnen.
Sein bekanntestes und meist gerühmtes Werk ist die Gutenberg-Bibel, welche insgesamt 150 Mal auf Papier gedruckt wurde. Eine Unterscheidung zwischen Schreib- und Druckschrift gab es in den Anfängen des Buchdrucks noch nicht, und so ähnelt die Gutenberg-Bibel stark den damals verbreiteten Handschriften durch Gelehrte.
Ein vergessenes Genie
Ein in Deutschland wenig bekannter Erfinder, der seinen Weg im rheinhessischen Dalsheim startete, ist Philip H. Diehl. Diehl (1847-1913) war eigentlich Maschineningenieur und hatte in den USA, wohin er im Sommer 1868 emigrierte, einige Patentrechte angemeldet, unter anderem für die elektrische Lampe, den elektrischen Motor für Nähmaschinen und den Deckenventilator.
Zunächst arbeitete Diehl bei dem amerikanischen Nähmaschinenproduzenten Singer in New York und Chicago. Seine Freizeit verbrachte er zu einem Großteil im Keller seines Hauses, wo er Experimente durchführte und schließlich die erste Tischlampe erfand. Seine Lampe, die in unmittelbarer Konkurrenz zu der vorher von Edison entwickelten Lampe stand, attackierte dessen Monopol, und obwohl Diehls Lampe niemals massenhaft produziert wurde, trug sie durch den resultierenden Preiskampf zur Erfolgsgeschichte der Glühbirne bei.
Es war wohl seine Anstellung bei Singer, die Diehl dazu motivierte, den elektrischen Motor für Nähmaschinen zu erfinden und somit zu nicht nur zum Erfolg seiner eigenen Firma beizutragen, sondern gleichzeitig die Arbeitsbedingungen und Produktionsmöglichkeiten einer ganzen Industrie nachhaltig zu verändern.
Der Singermotor war dann Ausgangspunkt für eine Erfindung Diehls, die vor allem mit Komfort verbunden wird: dem Deckenventilator. In den zuvor entwickelten Standventilator baute Diehl 1882 einen seiner Motoren ein und befestigte das Konstrukt an der Zimmerdecke. Mit der Zeit wurde der Ventilator, auch durch Diehl selbst, immer weiter verbessert und noch heute sind viele Menschen auf der ganzen Welt im Stillen dankbar für diese Erfindung (mehr zur Erfolgsgeschichte des Deckenventilators).
Sprachliebhaber und Visionär
Stefan Anton George (1868-1933) stammte ursprünglich aus Bingen am Rhein und galt bereits in jungen Jahren als eigenbrötlerisch, selbstherrlich, aber auch hochintelligent. Seine Schulbildung genoss er am Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt und er brachte sich außerhalb des Schulunterrichts selbst zahlreiche Sprachen (unter anderem Englisch, Französisch, Hebräisch, und Norwegisch) bei. Sein Ziel: das Studium fremder Literatur in der jeweiligen Originalsprache.
Er schloss die Schule 1888 mit dem Abitur ab und begab sich in der Folge auf eine Reise nach Paris, London, und Wien, wo er unter anderem auf den österreichischen Dramatiker Hugo von Hofmannsthal traf. Durch seine Kontakte nach Frankreich stand George dem in Deutschland vorherrschenden Realismus, der sich eine möglichst realistische Darstellung der Welt in der Literatur zum Ziel erkoren hatte, kritisch gegenüber. Vielmehr forderte George, dass Kunst für sich selbst stehen solle und war damit in geistiger Gesellschaft mit den französischen Symbolisten. Im George-Kreistrafen sich mehrere mit George verbundene Schriftsteller und auch andere Intellektuelle regelmäßig, um Literatur und ihren Platz in der Welt zu diskutieren.
Der euphorischen Kriegsbegeisterung, der viele junge Dichter um 1914 zu Beginn des 1. Weltkriegs unterlagen, konnte George nichts abgewinnen und er zeichnete stattdessen düstere Visionen einer Zukunft in Deutschland. Dies ist wohl einer der Gründe, warum er zum idealistischen Vorbild der jüngeren Generationen innerhalb der Weimarer Republik wurde.
Antimilitarist und NS-Gegner
Carl Zuckmayer (1896-1977) zählt zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Bühnenautoren und hatte vor allem durch sein dramatisches Märchen „Der Hauptmann von Köpenick“ großen Erfolg. Gerade in seinen frühen Jahren war der Mainzer ein wahrer Lebenskünstler, der in der Schule notorisch Ärger verursachte, sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldete und später, in den frühen 1920er Jahren, sein Glück als Bänkelsänger in Berlin suchte.
Während der Weimarer Republik feierte Zuckmayer große Bühnenerfolge, zog sich jedoch durch seine antimilitaristische Haltung den Hass der Nationalsozialisten zu und positionierte sich in Folge der Machtergreifung dieser klar gegen sie. 1938 entschloss sich Zuckmayer aus Deutschland zu fliehen und landete so schließlich in den USA, wo er bis in die späten 1950er Jahre bleiben sollte und Erfolge als Drehbuchautor feierte.
Die Rückkehr nach Europa wurde durch den Erwerb eines Grundstücks in der schweizerischen Gemeinde Saas-Fee motiviert. Aus Deutschland war er zuvor ausgebürgert worden und er lehnte es ab, Antrag auf Wiedereinbürgerung zu stellen. Stattdessen erhielt er neben der amerikanischen Staatsbürgerschaft 1966 das Schweizer Bürgerrecht und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1977 in Saas-Fee. Zuckmayers Lebensabend war durch eine freundschaftliche Korrespondenz mit dem Theologen Karl Barth geprägt, was eine verstärkte Auseinandersetzung mit theologischen Fragen zu Folge hatte.
Rheinhessen ist mehr als bloßer Genuss und Erholung, sondern gleichzeitig Heimstätte großer Geister. Auch wenn die Region erst ihren 200jährigen Geburtstag feiert, sollte nicht vergessen werden, dass hier Volksmedizin mit Schulmedizin vereint wurde, dass der Buchdruck hier vor langer Zeit seinen Ursprung fand, und dass auch große Erfinder und Dichter in Rheinhessen geboren und von der Region geprägt wurden.