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Zu Besuch beim Uhrmachermeister Bernhard GRIEBEL
13.04.16 - Die Zeit scheint stehen zu bleiben, sobald sich die Türe hinter dem Eintretenden schließt und doch ist der Raum des kleinen Ladengeschäftes in der Bischofsheimer Ludwigstraße voller „Zeit“! An den Wänden, in den Regalen und den Schubkästen der verglasten Ladentheke hängen und liegen unzählige Uhren. Der Herr dieses kleinen Reiches ist der Uhrmachermeister Bernhard Griebel, der den Besucher mit einem Blick über die Brille mit der klappbaren Lupe begrüßt. Die liebevoll dekorierten Schaufenster lassen von außen nur erahnen, was sich im Laden und der kleinen Werkstatt alles präsentiert.
Als erstes fallen die großen Wanduhren ins Auge, die meisten von ihnen sind „Patienten“ des Handwerksmeisters. Unter ihnen sind Schilderuhren, Regulatoren und Kuckucksuhren. Sie hängen nach der oftmals aufwändigen Reparatur noch für mindestens eine Woche an einer Wand des Geschäftes, um endgültig eingestellt zu werden. Zur vollen Stunde beginnt ein Eigenleben im Ladenraum, die Uhren beginnen zu schlagen, manche melodisch, andere blechern und dazwischen die Rufe der Kuckucksuhren. Die Zeit scheint erneut für einige Sekunden stehen zu bleiben. „Mit manchen Reparaturen schlafe ich ein“, schmunzelt Griebel und erklärt, wie er das meint. Oftmals sind die Defekte an den Uhren nicht so leicht zu beheben und beschäftigen seine Gedanken, bis er zu Bett geht.
Handarbeit bis ins kleinste Detail
Der Reparaturaufwand ist bei einigen, teils sehr alten Uhren immens, muss er doch oftmals ganze Zahnräder ersetzen. Viele Zahnräder gibt es nicht mehr als Ersatzteile, so werden Neuanfertigungen erforderlich, die genau der Größe und Zahnanzahl des defekten Zahnrades entsprechen müssen. Manchmal kann er Teile eines alten Zahnrades verwenden, das er wie eine kleine Brücke in den defekten Bereich einsetzt. Doch nicht nur Metallteile finden in den Uhren Verwendung, Einiges ist auch aus Holz, wie das sogenannte „Schöpferrad“ einer Schwarzwälder Uhr. Kleinstteile, wie den nur winzigen Sperrkegel einer Taschenuhr, fertigt er auch selbst an; viele Bestandteile der Uhren sind nur millimetergroß und ihre Details mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Über seinem abgenutzten Arbeitstisch hängen eine große Lampe und eine starke Lupe, das Arbeitsgerät ist akkurat an der Wand aufgereiht, unzählige Schubladenschränkchen aus Holz und Plastik sind darüber angebracht mit sorgfältiger Beschriftung, welche Teile darin enthalten sind.
Eine Kuh für das Lehrgeld
Die Reparatur alter Uhren ist mittlerweile zu einer Leidenschaft von Bernhard Griebel geworden. Wann diese Passion ihren Anfang nahm, kann er gar nicht mehr sagen. Jedenfalls hat er schon als kleiner Junge seinem Vater in der Werkstatt geholfen und ist im Laufe der Zeit mit hinein gewachsen. Sein Vater Pius Griebel eröffnete im Jahre 1933 das Ladengeschäft in der Ludwigstraße und bot neben Uhren, Bestecken und Schmuck auch Brillen an. Bernhard Griebel weiß noch, dass es damals für seinen Vater ausreichend war, einen zweiwöchigen Schnellkurs in Optik zu absolvieren, um Brillen anfertigen zu dürfen. Aus der Zeit seines Vaters hat Griebel einiges zu erzählen, für dessen Ausbildung um 1920 mussten die Eltern noch Lehrgeld an den Ausbildungsbetrieb, die Fa. Wollbach in Bad Neustadt, bezahlen. Dafür hatte Bernhard Griebels Großmutter damals extra eine Kuh verkauft, um die Kosten aufzubringen.
Als Griebel im Jahre 1960 seine 3,5-jährige Ausbildung - ebenfalls bei Wollbach - begann, bekam er immerhin schon einen Lohn von 20,- D-Mark, der sich in den folgenden Jahren auf 30,-, 40,- und 50,- Mark steigerte, für heutige Verhältnisse undenkbar! „Damals legten wir 45 Pfennige für ein Bier auf die Theke und eigentlich müsste heute ein Bier 40 Euro kosten, wenn man es ins Verhältnis jetziger Azubi-Löhne setzen wollte“, zieht Griebel den Vergleich und berichtet, dass er als junger Mann mit 2 D-Mark in der Tasche am Samstagabend zum Tanz ging, wobei der Eintritt schon eine Mark kostete. Da hieß es mit dem Geld haushalten, zumal davon auch die Zugfahrt zur Arbeitsstelle bezahlt werden musste. 1984 bis 1986 absolvierte Griebel seine Meisterausbildung, um 1986 das Geschäft des Vaters zu übernehmen. Vieles ist noch aus der alten Zeit erhalten, so auch altes Arbeitsgerät wie Miniaturdrehbänke, die im Geschäft ausgestellt sind. Auch die kleine Drehbank mit den zierlichen Werkzeugen aus seiner Lehrzeit, die in einem soliden Holzkasten aufbewahrt wird, präsentiert er und auf der Deckelinnenseite ist noch der Kaufpreis vermerkt von damals horrenden 589,- D-Mark. In einer Glasvitrine mit Schiebetüren reihen sich unzählige Wecker an einander, auch viele der in der Mitte des letzten Jahrhunderts beliebten Reisewecker in der Lederschatulle befinden sich darunter.
Weckerservice
Ein großer runder Wecker mit abgegriffenem Gehäuse fällt ins Auge, an ihm hängt noch ein Etikett mit der Aufschrift „Eigentum, Leihwecker“. „Das ist noch die Handschrift meines Vaters. Die Leute hatten früher nur einen Wecker und wenn er zur Reparatur musste, bekamen sie von meinem Vater eben solange diesen Leihwecker“, erklärt Griebel die Geschichte des alten Teiles, das auch heute noch – wie auch die anderen alten Uhren im Geschäft - voll funktionsfähig ist. Alles steht auch zum Verkauf, bis auf eine kleine Uhr mit ausladendem Holzgehäuse, denn sie ist eine Erinnerung an seine Mutter. Eine Kuriosität ist Griebels Schublade der nicht abgeholten Reparaturen. Neben Armbanduhren in unterschiedlichsten Ausführungen enthält sie sogar alte Taschenuhren, sie stammen noch aus der Zeit seines Vaters. „Vielleicht hatten die Leute kein Geld, um die Reparatur zu bezahlen“, mutmaßt Griebel, „ich hebe sie jedenfalls weiterhin auf“.
Natürlich verkauft Griebel auch moderne Uhren, neben echtem Schmuck und schickem Modeschmuck beinhaltet sein Angebot auch Trauringe. Für die Verpackung der Ringe verwendet er manchmal noch die hübschen nostalgischen Schächtelchen aus dem Bestand seines Vaters, wie eines in Buchform.
Dokumentation
In Buchform hat er auch die vielen Fotos gebracht, die er über die Reparaturen alter Uhren angefertigt hat und dessen Bilder die einzelnen Arbeitsschritte der teils aufwändigen Reparaturen zeigen. Diese Bilder zeigt er auch bisweilen in einem digitalen Bilderrahmen in seinen Schaufenstern. Wenn eine Uhr in ihre 50 bis 120 Einzelteile zerlegt und alles gereinigt ist, macht er ein Foto, das er dem Eigentümer mitgibt. Der soll sehen, was sich in seiner Uhr verbirgt und der Zustand der Teile wird gleichzeitig dokumentiert. Solche Fotos hat Griebel zuhauf und sein Kundenstamm ist über ganz Deutschland verbreitet. Die Kunden kommen auf Empfehlung, Bernhard Griebel hat sich einen Namen als Spezialist für die Reparaturen alter Uhren in der Sammlerszene gemacht und so kann er sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen. Am Ende des Besuches im „zeitlosen Raum voller Zeit“ schlagen die Uhren erneut und das fröhliche Klingeln der Türschelle entlässt den Besucher wieder in den Alltag auf die Ludwigsstraße. (ara) +++