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Coach Verena ANDERS über das Vertrauen in sich und die Welt
02.11.16 - Unsicherheit bestimmt die Themen in den Medien. Nachrichten von Kriegen, politischen Umbrüchen, Umweltkatastrophen und andere Schrecklichkeiten durchziehen unseren Alltag. Szenarien von Überfremdung, Machtübernahme unfähiger Politiker, unsicheren Renten oder hohen Arbeitslosenraten schüren unsere Ängste. Flüchtlingskrise, Vogelgrippe, Kernkraftwerke und der sicher nahende Weltuntergang bringen uns in Aufruhr. Wir versichern uns was das Zeug hält und bilden uns ein, davon sicherer zu werden. Ganze Wirtschaftszweige leben von dem, was schon lange als „German Angst“ bekannt ist.
Mein Klient sitzt mir bei seinem ersten Coaching gegenüber und sieht unglücklich aus: „Viele Jahre meines Lebens“, so berichtet er, „habe ich damit verbracht, mir ein finanzielles Vermögen aufzubauen. Heute bin ich komplett abgesichert. Aber sicher fühle ich mich nicht.“ Wir versuchen herauszufinden, wie groß sein Vermögen sein müsste, wie viele Häuser und Aktienpakete und volle Vorratsschränke er bräuchte, um das Gefühl von Sicherheit zu erlangen – ein sinnloses Unterfangen, wie ich schon vorher weiß. Denn das Gefühl von Sicherheit stellt sich nicht durch äußeren Reichtum ein. In einen Status von innerer Sicherheit können wir nur durch inneres Erleben gelangen – im Außen benötigt der eine dazu zwei Häuser und ein prall gefülltes Bankkontowährend der andere schon zufrieden ist, wenn er weiß, wie er die Miete des nächsten Monats finanziert.
„Das Märchen von der Sicherheit“ überschrieb Ludwig Marcuse sein Buch über die Sucht nach Sicherheit und Garantien. „Welche Sicherheit ist sicher?“ fragt er darin und antwortet: „Mehr Sicherheit und mehr Wohlstand, mehr Sicherheit und mehr Freiheit gehen in der Gesellschaft des Wettbewerbs nicht zusammen.“ Sicherheit und Freiheit – wie soll das gehen? Wer frei sein will muss bereit sein, sich in die Unsicherheit zu begeben. Wer frei ist wandert nicht auf ausgetretenen Pfaden sondern beschreitet neue Wege, die meist unbequem sind, dafür aber neue Erfahrungen und Lebendigkeit versprechen und erleben lassen. Wer als einziges Lebensziel den Wohl-Stand hat, wer also sich sicher fühlend und sich wohl fühlend im Gewohnten verharren will, muss an dem festhalten was er besitzt und erstarrt im Horten und Verteidigen des einmal Erworbenen. Die Lebendigkeit bleibt so im Laufe der Zeit auf der Strecke.
Auf dem Weg zu innerer Sicherheit ist Vertrauen das Zauberwort
„Vertrauen?“ fragt mein Klient ungläubig, „Das kann ich nicht. Ich bin schon zu oft enttäuscht worden.“ Doch jeden Tag vertrauen wir unser Leben der Welt an ohne es zu realisieren. Wenn wir abends einschlafen vertrauen wir darauf, dass der Wecker am Morgen zur gewünschten Zeit klingelt. Wir vertrauen darauf, dass die Bremsen unseres Autos funktionieren, dass der Aufzug im Büro nach oben fährt wie gewohnt und nicht ein Defekt ihn mit uns in die Tiefe reißt. Wir vertrauen darauf, dass der Koch auch heute nicht in unsere Suppe gespuckt hat und dass der Nachtisch nicht vergiftet ist. Wir vertrauen auf den Strom, der täglich aus der Steckdose kommt, auf niemals versiegende Zapfsäulen an der Tankstelle und darauf, dass auch morgen noch genug Wasser aus unserem Wasserhahn rinnt.
Wir vertrauen jeden Tag, dass das menschengemachte Leben um uns herum funktioniert. Wollten wir alles im Außen misstrauisch überprüfen, wäre ein gesellschaftliches Leben nicht möglich. Maßgebend für ein Erleben von innerer Sicherheit ist aber eine Kombination aus Vertrauen in das Außen und Vertrauen in uns selbst. Dazu gehört die Überzeugung, dass wir so wie wir sind wahr und richtig sind. Dazu gehört das Wissen um unsere Selbstwirksamkeit, das bedeutet wir müssen genügend Handlungsmuster und Handlungsfähigkeit zur Verfügung haben um sicher eine erwünschte Wirkung in der Welt zu erzielen. Das ist oft nicht leicht, denn wir sind in Kindheitserinnerungen und -mustern gefangen.
Um uns selbst zu vertrauen dürfen wir beginnen, uns selbst zu schätzen und uns selbst in unserer ganzen Unzulänglichkeit anzunehmen und zu lieben. Dann können wir lernen, die bisher gelebten Muster in einem neuen Licht zu sehen und, wenn nötig, Veränderungen herbeiführen.
„Erstaunlich“, sagt mein Klient in der dritten Sitzung, „wie viele meiner Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühle mir gar nicht bewusst waren. Jetzt habe ich Vertrauen, dass ein Gefühl der Sicherheit sich bei mir bald einstellen wird.“ Der erste Schritt in ein „Selbst-Sicheres“ Leben. (Verena Anders) +++