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Martin Löwenberg - Fotos (19): Erich Gutberlet

FULDA Bewegende Worte von Martin Löwenberg

Der vielleicht letzte jüdische Zeitzeuge der Reichspogromnacht erinnert sich

08.11.17 - „Das war eine der eindrucksvollsten Geschichtsstunden, die es je in der Aula der Alten Universität gab“, sagte Ex-OB Gerhard Möller in seiner Eigenschaft als 1. Vorsitzender des Fuldaer Geschichtsvereins, nachdem dort am Dienstagabend Martin Löwenberg dem Publikum im fast vollbesetzten Saal Einblicke in die dunkelsten Jahre seines langen Lebens gewährt hatte. Denn Löwenberg (Jahrgang 1928) dürfte einer der letzten Zeitzeugen jüdischen Glaubens sein, der den Brand der Fuldaer Synagoge in der Nacht zum 10. November 1938 miterlebt hat.

Die ehemalige Synagoge in Fulda (1927) Foto: Stadtarchiv Fulda

Gedenktafel Archivfoto: Martin Engel

„In Zeiten der historischen Relativierung, in denen Geschichte von vielen verleugnet wird, ist es umso wichtiger die historische Wahrheit zu hören“, begann Möller seine Begrüßung. „Bald wird die Nachwelt nur noch auf schriftliche Quellen und Fotos zurückgreifen können.“ Bevor der Ex-OB das Wort an Anja Listmann übergab, „der dieser Abend zu verdanken ist“, vergaß er nicht, die Zuschauer an die Gedenkveranstaltung am Donnerstag zum 79. Jahrestag der Reichspogromnacht zu erinnern (18 Uhr, Am Stockhaus).

Anja Listmann ist Lehrerin an der Fuldaer Bardoschule und leitet dort seit Jahren ein bemerkenswertes Projekt: Zusammen mit Schülern betreibt sie zeitgeschichtliche Forschung über die jüdischen Gemeinden in Fulda und Umgebung, sie hat Martin Löwenberg über das Internet kennengelernt und so den Kontakt hergestellt. „Die Bertelsmann-Forschung hat herausgefunden, dass die Mehrheit der Deutschen einen Schlussstrich unter die Aufbereitung des Holocaust ziehen will“, sagte sie. „Dabei ist die Erinnerung daran besonders für die Deutschen - aber eigentlich für alle Menschen weltweit - eine wichtige Aufgabe.“ Mit den Worten „Es ist mir eine Ehre“ gab sie das Podium frei für Martin Löwenberg.

Fast volles Haus in der Aula der Alten Universität

Von links: Ex-OB Gerhard Möller, Martin Löwenberg, Kulturamtschef und Stadtarchivar ...

Gerhard Möller

Diesem sieht man die knapp 90 Jahre zwar an, dennoch strahlte er am Dienstag eine ungeheure Vitalität aus. Seit einer Ewigkeit wohnt er nahe Detroit im US-Bundesstaat Michigan und spricht daher die deutsche Sprache so gut wie nie. Dennoch kommt er schnell wieder rein und lässt sich nur ganz selten ein Wort, das er nicht findet, von Anja Listmann übersetzen. In einer einstündigen freien Rede schildert er bewegend die Geschehnisse in der Nazizeit und wie sich die Schlinge immer enger um den Hals des jüdischen Volks zog.

Anja Listmann

Geboren in Schenklegsfeld (Kreis Hersfeld-Rotenburg) wurde er mit acht Jahren von seinem deutschen Lehrer so dermaßen verprügelt, dass die Eltern ihn auf eine Schule in Bad Nauheim (Wetteraukreis) schickten. 1938 zogen die Löwenbergs nach Fulda in die Mittelstraße 25. Was folgte, kennt man aus den Geschichtsbüchern, bekam aber durch Martin Löwenbergs persönliche Ausführungen eine beklemmende Intensität - man hätte im Publikum eine Stecknadel fallen hören können: Im Reich brennen die Synagogen - die Juden werden sukzessive vom öffentlichen Leben ausgeschlossen - Kennkarten: Löwenberg bekommt den Zweitnamen „Israel“ verordnet - Davidstern an der Kleidung, damit man den „verdammten Juden“ (O-Ton Löwenberg) noch besser ausmachen kann - Deportation mit wenigen Habseligkeiten wie in einem Viehtransport nach Riga (Lettland) - Arbeitslager und Ghetto mit allen Brutalitäten der SS, die man sich nur vorstellen kann. - Können wir uns das heute überhaupt noch vorstellen?

"Warum?"

Die Eltern Klara und Sally sowie die jüngeren Zwillingsbrüder Kurt und Fritz werden schließlich nach Auschwitz gebracht, vergast und verbrannt. Martin Löwenberg und seine Schwester Eva überleben und wandern in die USA aus. „Sechs Millionen Juden und fünf Millionen christlichen Glaubens wurden einfach so ausgelöscht. Und das waren glückliche Menschen, die das Leben liebten“, sagt er. Und ein Wort zieht sich wie ein roter Faden durch seine Ausführungen: „WARUM?“ (Matthias Witzel) +++


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