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Damen und Bauern bevölkern Wilhelm-Neuhaus-Schule - seit 2009 Deutsche Schachschule
02.12.17 - Viele Menschen glauben, dass Schachspielen ausschließlich etwas für Erwachsene oder hochbegabte Kinder ist – was für ein Irrtum! Schach eignet sich hervorragend als Spiel für Kinder: Die erlaubten Spielzüge sind recht einfach und schnell erklärt, die Figuren haben spannende und fantasieanregende Namen wie Springer, König, Läufer, Turm, Bauer oder Dame und somit sind die wichtigsten Komponenten für ein vielseitiges Kinderspiel auch schon gegeben.
Wenn der Turm eingekesselt ist und Rapunzel ihn deshalb nicht verlassen kann, ist es Klaus Bechtel, der einer Erstklässlerin aufzeigt, wie sie den Turm samt Rapunzel doch noch befreien kann. Er ist gemeinsam mit Stefan Berszinski-Woldt und Ursula Wiegand-Walger als ehrenamtlich tätiger Schulschachbetreuer immer mittwochs in der Wilhelm-Neuhaus-Schule präsent und führt die Kleinsten in die Basis des Schachs ein. Die drei Ehrenamtlichen werden von der Pädagogin Susanne Exner unterstützt, die rund um das Schulfach Schach alles „in Schach hält“ und für diese angetragene Aufgabe nicht nur das „Bauerndiplom“, sondern auch das Schulschachpatent erworben hat.
Es war der frühere Schulleiter Karl-Heinrich George, der die beiden Väter der ihm damals anvertrauten Schulkinder „in den Schuldienst hinein geschubst hat“. Aus gutem Grund: „Wir können mit Kindern. So sind wir dazu gekommen“, erinnert sich Klaus Bechtel, der seine Arbeitszeiten an seine königliche Aufgabe anpasst, an die Anfänge im Jahr 2016. Stefan Berszinski-Woldt kann ebenfalls von flexiblen Arbeitszeiten profitieren und steht seit 2011 für den Schachunterricht zur Verfügung, hat sogar das Schulschachpatent erworben. Inzwischen engagiert sich der neue Schulleiter Mirko Ochs für seine Schachschule.
Ab dem Schuljahr 2003/2004 wurde in der Wilhelm-Neuhaus-Schule im Rahmen eines Konzeptes zur Begabtenförderung für die Klassenstufen 2 und 3 eine Schach-AG angeboten, deren Leitung seinerzeit Prof. Dr. Wilhelm Beyer übernahm. Seit 2009 darf sich die Wilhelm-Neuhaus-Schule offiziell Deutsche Schachschule nennen, damals als erste Schule in Hessen und als erste Grundschule deutschlandweit. Inzwischen wurde das Angebot erweitert. Schach im ersten Schuljahr ist in der Wilhelm-Neuhaus-Schule als Schulfach verpflichtend.
Seit acht Jahren ist Ursula Wiegand-Walger dabei. Sie fragte damals in der Wilhelm-Neuhaus-Schule nach, ob sie ehrenamtlich helfen kann und fand sich vor einem Schachbrett wieder. Sie fing bei null an, musste lernen, dass eure Majestät der König ist, die wichtigste Figur im Spiel, die keiner schlagen darf. Längst hat sie das Schachspiel verinnerlicht und steht bei Bedarf gern als Spielpartnerin zur Verfügung. „Das macht gar nichts, dass du gewonnen hast. Ich hab´ dich trotzdem lieb“, versicherte ihr eine Schülerin.
Mit Hingabe wenden sich Susanne Exner und alle Betreuer den Kindern zu, die von dem Angebot profitieren. Schachschulen erreichen eine Vielzahl von Schülerinnen und Schülern, die von Haus aus nie mit dem Spiel in Berührung gekommen wären, von dem Schachspiel sichtlich fasziniert sind und für das Leben lernen. Schach verbessert nachweislich die Wahrnehmungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit und die Konzentrationsfähigkeit, soll statistisch nachgewiesen sogar zu einer messbaren Verbesserung in den Fächern Deutsch und Mathematik führen.
Zunächst ist es gar nicht so wichtig, bestimmte Strategien oder besondere Eröffnungszüge zu kennen. Im Vordergrund steht die Möglichkeit, mit einer Figur eine andere „zu bedrohen“. „Schach heißt immer, man muss auch Figuren verlieren“, erklärt Stefan Berszinski-Woldt. Nach und nach entwickeln die Kinder dann eine Idee davon, welche Figuren besonders nützlich sind und welche man zur Not opfert, wie man im Spielverlauf andere in die Falle lockt oder eigene Figuren deckt. Apropos Figuren: Die Kinder spielen mit extra großen Spielfiguren, die der Motorik ihrer noch kleinen Hände entgegen kommt.
„Im 1. Schuljahr ist noch viel erlaubt“, betont Susanne Exner und ergänzt: „Im 2. Schuljahr gilt dann schon die Regel „berührt ist geführt“. Die Pädagogin hat in den Schulschachstunden überwiegend eine beobachtende Funktion. Sie gibt den Kindern die Zeit, um zu denken, lässt den Spaß am Spiel zu, damit die Entwicklung vielleicht sogar zu einem ernst zu nehmenden Turnierspieler ohne Stress gefördert wird. Die weiteren Erwachsenen im Raum halten es genauso, sind aber als Ansprechpartner und wenn nötig auch zur Hilfestellung stets auf dem Sprung, denn nicht nur die vielen Möglichkeiten des Spielverlaufs, sondern auch jeder neue Gegner sind spannende Herausforderungen und müssen gemeistert werden. Auch Verlieren muss gelernt werden, wenn es heißt: Schachmatt!
Ab der 2. Klasse werden willige und begabte Kinder in einer wöchentlichen Doppelstunde gefördert. Das ist allerdings kein Pflichtunterricht. Noten für das Schachspiel gibt es nicht, die Kinder können allerdings Prüfungen ablegen und Diplome erhalten. In Bad Hersfeld finden jedes Jahr die Osthessische Schulschachrallye, das „Lolls-Open“ und der „City Gallerie Cup“ statt. Die Teilnahme an den Turnieren ist freiwillig. Die besten Schachspieler/innen bekommen außerdem die Möglichkeit, ihr Können in den Schulmannschaften zu zeigen. Sie vertreten die Wilhelm-Neuhaus-Schule bei diversen Wettbewerben. Von den großen Erfolgen bei Einzelturnieren wie zum Beispiel dem Hessischen Schulschachmannschaftspokal, der Hessischen Schulschachmannschaftsmeisterschaft sowie bei Deutschen Meisterschaften erzählen die zahlreichen Pokale in einer großen Glasvitrine vor dem Lehrerzimmer.
Jedes Turnier und jede Meisterschaft wird von den Schulschachlehrern und den ehrenamtlichen Betreuern begleitet, die für jede Unterstützung seitens der Eltern dankbar sind. Besonders als Turnierhelfer, aber auch als Unterstützung im Unterricht oder als Mitglied im Förderverein. Weitere Informationen unter www.wns-schulschach.bplaced.net. (Gudrun Schmidl) +++