
Archiv

Von wegen Ruhestand: Fritz Kramer studiert jetzt - "Happy Birthday" zum 80.
06.02.18 - „Ich habe in meinem Leben privat wie beruflich viel Glück gehabt - was will ich mehr?“ Dankbar und vielleicht auch ein Stück weit in Demut feierte Fritz Kramer (CDU), von 1973 bis 2006 Landrat des Kreises Fulda, gestern seinen 80. Geburtstag. Man darf ja im Vorfeld eines solchen Jubeltages keine Glückwünsche übermitteln, das würde Unglück bringen. Also haben wir den Toast „Happy Birthday“ tunlichst vermieden, als wir ihn in der vergangenen Woche in seinem Haus am Petersberg besuchten.
Der Gentleman alter Schule begrüßt das zweiköpfige OSTHESSEN|NEWS-Team fit wie ein Turnschuh und als formvollendeter Gastgeber. Ehefrau Marianne, die ihn weiland für Kunst und Kultur begeisterte und mit der er zwei Töchter hat, ist gerade außer Haus, also serviert Fritz Kramer persönlich frisch aufgebrühten Bohnenkaffee und plaudert charmant und mit feiner Ironie über sein Leben. Er lacht dabei oft oder schmunzelt zumindest.
Erst kürzlich wurde Kramer vom CDU-Kreisverband mit der Alfred-Dregger-Medaille geehrt. „Dregger hat mein Verständnis vom politischen Kampf und von der politischen Arbeit ganz stark geprägt“, sagt Kramer. „Politisch aktiv wurde ich ja erst 1969 im hessischen Landtagswahlkampf, und da war Alfred Dregger Spitzenkandidat. Wir wollten unbedingt siegen und haben bei der Wahl ja auch tatsächlich den Sprung von 21 auf 41 Prozent geschafft, was allerdings dennoch nicht für die Regierung reichte.“ Zwei Jahre saß Fritz Kramer im Landtag auf der Oppositionsbank, bis er 1973 als Landrat nach Fulda wechselte.
Die Archive sind voll über die 33 Jahre seiner damaligen Amtszeit, doch über die Zeit davor gibt es fast keine Auskünfte. Erst kürzlich wurden in der Einladung zum Jahresempfang der Gemeinde Poppenhausen die ersten 35 Jahre seines Lebens gerademal mit einem Satz abgehandelt: „Kramer studierte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Rechtswissenschaft und war nach dem Staatsexamen Gerichtsassessor und später Staatsanwalt am Landgericht Wiesbaden.“ Das war’s auch schon. „Bedeutend bin ich eben nur in der Politik“, konstatiert Kramer denn auch gespielt zerknirscht. „Dabei hatte ich, bis ich nach Fulda kam, eine regelrechte Odyssee hinter mir.“
„Ich bin in 1938 im oberschlesischen Hindenburg geboren. Das liegt unmittelbar an der deutsch-polnischen Grenze, und man hat uns die ,Wasserpolacken‘ genannt. Der Krieg hat uns überrollt, und wir wurden sowjetisch besetzt. Mein Vater hat an der Front im Westen gekämpft, und ich war mit meiner Mutter allein. Ende '44 sind wir dann geflohen und mit meinem aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassenen Vater in Windsheim an der Aisch in Franken zusammengetroffen“, fasst Kramer die Familiengeschichte während des Dritten Reichs kurz, aber plastisch zusammen.
Weil das kleine Kaufmanns-Unternehmen des Vaters nicht so recht funktionierte, zog die Familie nach Hamburg, wo Kramer senior eine Anstellung beim Bundeskriminalamt bekam. Das wiederum wurde 1955 nach Wiesbaden verlegt, und so verschlug es Fritz Kramer eher durch Zufall in die hessische Landeshauptstadt. Im gleichen Jahr trat er in die Junge Union ein, und es reifte der Entschluss, nach dem Abitur Jura zu studieren. „Das habe ich dem Konrad Adenauer zu verdanken, den ich einmal auf einer Wahlkampfveranstaltung gesehen habe und der ja auch Jurist war. Es hat mich unglaublich fasziniert, wie er mit einfachsten Sätzen ganz komplexe Dinge erklären konnte. Er war unglaublich charismatisch.“
Fritz Kramers größter Wunsch war es damals, Strafverteidiger zu werden. „Ich habe mich immer schon für die klassischen Redner wie Demosthenes interessiert“, bekennt Kramer, der selbst als brillanter Rhetoriker berühmt-berüchtigt ist. „Die deutsche Sprache ist ein unermesslich großer Schatz, und mich reizte der Gedanke: ,Vielleicht gelingt es ja, das Gericht durch mein Plädoyer dahingehend zu beeinflussen, dass dem Mandanten geholfen ist‘.“
Nun, erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: 1968 heiratete Fritz Kramer seine Marianne, die er in Wiesbaden kennengelernt hatte, und wurde - ausgerechnet Staatsanwalt. „Das hatte mir ein Kollege empfohlen: ,Lerne erstmal die Tricks eines Staatsanwaltes, dann kannst du auch ein guter Strafverteidiger werden‘.“ Nach drei Monaten im Beruf fand sich Kramer aber schon im CDU-Wahlkampf für die Landtagswahl wieder - eben mit Alfred Dregger an der Spitze.
Das Angebot, als Landrat den nach der Gebietsreform neugeschaffenen Kreis Fulda zu übernehmen, kam überraschend. „Ich hatte überhaupt keine Verwaltungserfahrung und wusste höchstens aus Fontanes ,Effie Briest‘, was ein Landrat ist.“ Auch sei er von allen Seiten gewarnt worden: „Du willst doch nicht wirklich nach ,Hessisch-Sibirien‘? Da ist die Zonengrenze, die Winter sind kalt und die Leute verschlossen.“ Dennoch wagte Kramer den Sprung ins kalte Wasser: „Mein Vorgänger, der verstorbene Eduard Stieler, hatte mir zum Glück eine fantastisch geregelte Verwaltung hinterlassen. Und nach drei, vier Jahren war ich dann auch ziemlich sattelfest.“
Fragt man Fritz Kramer nach seinen größten Erfolgen als Landrat, so verweist er an erster Stelle auf „den gesündesten Kreishaushalt in Hessen, den ich meinem Nachfolger übergeben konnte. Ich habe auch nichts gegen den Begriff ,Sparbrötchen‘. Ich habe als ,Sparbrötchen‘ jede Wahl gewonnen - persönlich wie als Vorsitzender der Partei.“ Die Bewahrung des traditionellen Schulwesens ohne integrierte Gesamtschule nennt er an zweiter Stelle, ferner die Einrichtung der Kunststation Kleinsassen, welche die alte Tradition des Künstlerdörfchens wiederbelebt hat.
Nicht zu vergessen das Biosphärenreservat Rhön, dem er freilich zunächst skeptisch gegenüberstand, weil die Ursprungsidee aus der DDR stammte, „und ich hasse alles, was kommunistisch ist“. Folgerichtig war Fritz Kramers schönstes Erlebnis in seiner Zeit als Landrat der Mauerfall. „Den hätte ich beinahe verpasst“, schmunzelt er. „Das war ein nebeliger und kalter Tag, und als ich um halb Fünf morgens vom BGS angerufen wurde, habe ich zunächst gedacht: ,O Gott, du musst das warme Bett verlassen und an die Grenze fahren‘.“
Es ist kein Geheimnis, dass es Fritz Kramer zutiefst widerstrebte, als er mit 68 Jahren gesetzlich dazu verdonnert wurde, den Stuhl des Landrats zu räumen. „Ich war topfit und dachte nur: ,Was machst du jetzt‘?“ Nun, die Götter meinten es wohl mit ihm, und so erfüllte sich Kramer in den vergangenen zehneinhalb Jahren dann doch noch seinen Jugendtraum, und er wurde Strafverteidiger in einer Fuldaer Anwaltskanzlei. Nun also der Ruhestand und … „Nein, nein - ich bin jetzt Student!“, platzt es aus ihm heraus, und das Grinsen reicht vom einen Ohr zum anderen. Wie, wo, was? „Na, ich besuche Vorlesungen der katholischen Fakultät in Fulda über Kirchengeschichte, und ich bin begeistert dabei.“ Aber er wird doch wohl keinen Abschluss mehr anstreben, oder? Und da lacht Fritz Kramer herzhaft: „Wer weiß, ob mich der Ehrgeiz nicht doch noch packt?“ (Matthias Witzel) +++