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Chef-Neurochirurg Prof. Dr. Robert Behr zählt zu den Spitzen der Welt auf dem Gebiet der Implantation des "Auditory Brainstam Implantat" . - Foto: Klinikum Fulda

FULDA Gefragter Neurochirurg und Pionier

Prof. Behr in Neuseeland: Er hilft tauben Patienten, damit sie bald wieder hören

08.03.18 - Fulda verbindet in dieser Woche etwas ganz Spezielles mit Auckland, einer Millionenstadt in Neuseeland. Prof. Dr. Robert Behr, der Chef-Neurochirurg vom Klinikum Fulda, ist auf die Insel im Südwestpazifik geflogen (18.072 Kilometer von der Domstadt entfernt) um fünf Patienten wieder ihr Gehör zu schenken. Behr zählt zu den Pionieren in der Überwindung von Taubheit und der Implantation des "Auditory Brainstam Implantat" (ABI). Diese Operationsmethode hat er bereits weltweit - bei mehr als 120 Patienten aus 20 Ländern, darunter 30 Kindern - erfolgreich angewendet.

Das Klinikum Fulda. Hier leitet Prof. Behr die Klinik für Neurochirurgie. ...Foto: Hendrik Urbin

"Sehen verbindet mit den Dingen, hören mit den Menschen", sagt Behr. Wer schlecht oder gar nicht hört, ist rasch isoliert. "Wenn man einem Menschen etwas zwei oder drei Mal sagen, oder gar schreien muss, damit er es besser versteht, dann zieht er sich zurück." Wer von Geburt an nicht hört, lernt nicht zu sprechen und lebt in einer Parallelwelt. Das hat der Neurochirurg in Dekaden beobachtet. "Wenn die Kinder dann aber erstmals hören oder wieder hören können, erleben sie einen Entwicklungsschub. Kinder, die zuvor beinahe autistisch wirkten, leben plötzlich auf. Sie leben nicht mehr zurückgezogen, sondern nehmen am ganzen und vollen Leben teil. Es ist jedes Mal ein Glück, eine solche Entwicklung miterleben zu dürfen", schildert Prof. Behr.

Vor dem Start seiner einwöchigen Reise nach Neuseeland hat der Fuldaer Direktor der Klinik für Neurochirurgie über seinen Auftrag, die Operationsmethode und sein internationales Engagement gesprochen. Nachfolgend lesen Sie dazu ein Interview, das Prof. Behr mit dem Journalisten Claus Peter Müller v. d. Grün geführt hat.

Herr Prof. Dr. Behr, Anfang März 2018 reisen Sie für eine Woche nach Neuseeland...

"Ja, ich werde gemeinsam mit Professor Michel Neeff an der Universität von Auckland fünf Patienten und vor allem Kinder operieren und ihnen ein Auditory Brainstam Implantat (ABI) einsetzen, damit sie die Chance erhalten, zu hören und am Leben teilzunehmen."

Warum müssen die Neuseeländer dazu Hilfe aus Deutschland holen? Beherrschen sie dieses Verfahren nicht selbst?

"Objektiv beherrschen sie das Verfahren noch nicht selbst, und ich möchte ihnen helfen, die Implantation des ABI zu erlernen, damit sie diese bald selbst beherrschen. Wir haben das Ziel, Expertise zu vermitteln, damit neuseeländische Patienten in ihrer Heimat versorgt werden können. Das Krankheitsbild ist nicht so häufig und der Erfahrungsschatz, den es braucht, um das Implantat einzusetzen, ist nicht so schnell aufgebaut. Wir wollen Erfahrung ins Land bringen."

Warum sind gerade Sie prädestiniert, diese Erfahrung zu vermitteln?

"Weil ich in den 1990er Jahren an der Universität Würzburg, als das Verfahren am Anfang stand, ein Neurochirurg war, der in der betreffenden Hirnregion schon viel Erfahrung in Operationen gesammelt hatte und von den Kollegen der HNO-Klinik hinzugebeten wurde, die damals vollkommen neuen Implantate einzusetzen."

Wie viele chirurgische Teams gibt es weltweit, die dieses Verfahren beherrschen?

"Etwa fünf."

Und davon ist eines in Fulda?

"Ja, davon ist eines hier in Fulda."

Weil Sie in Fulda sind?

"Ja, wenn Sie so direkt fragen: Ja, so ist es."

Wie kam dann der Kontakt nach Neuseeland zustande?

"Ich kenne Michel Neeff seit Jahren, weil er Cochlea Implantate setzt. Es ist häufig der erste Versuch, bei Kindern eine Taubheit zu überwinden, die aber nicht immer zum Erfolg führen kann. Vor vier Jahren sprach mich Michel Neeff an, ob ich ihm helfen könne, in Neuseeland die Grundlagen für die komplexere ABI-Einsetzung zu schaffen. Ich war sofort dabei, denn das Verfahren ist abgesichert und kann beeindruckende Erfolge zeitigen. Es ist schon eine Freude, wenn sie sehen, dass sich ein zweijähriges Kind, das bisher taub war, nach den Bauklötzen umdreht, die die Eltern hinter seinem Rücken aneinanderschlagen."

Wie bauen Sie Erfahrung in Neuseeland auf?

"Ganz wichtig ist: Immer im Team! In dem jeweiligen Land, in dem ich helfe, muss es ein Team geben, das sich darauf verständigt, es gemeinsam zu machen. Das ist nichts für Machos, die meinen, nur sie seien der einzige und der größte. Denn solche Operationen laufen immer im Team ab mit dem Otochirurgen oder dem HNO-Arzt und dem Neurochirurgen."

Wie vermitteln Sie das Wissen und das Können während der Operation?

"Wir diskutieren zunächst den einzelnen Fall. Dann besprechen wir, wie die OP verlaufen könnte oder sollte. Vor allem diskutieren wir auch während der OP. Wichtig ist es zum Beispiel, die richtige Antwort auf die Frage zu geben, wie das Implantat zu fixieren sei. Wo ist der beste Platz für das Implantat? Und wie messen wir während der OP, wo der Hörnerv am Stammhirn reagiert und welche Konsequenzen wir aus der Messung der elektrischen Hörbahn zu ziehen haben? Wir legen eine elektrische Kartierung der Hirnregion an. Es ist eine regelrechte Ausbildung im OP. Es macht Sinn, wenn wir ein paar Fälle gesammelt haben, um dann anhand dieser Fälle zu lernen."

Wie lange dauert eine solche Operation?

"Wenn alles reibungslos läuft, dreieinhalb bis viereinhalb Stunden. Aber sie kann auch die doppelte Zeit in Anspruch nehmen."

Wie viele Schüler hören Ihnen dabei zu?

"Das ist das neurochirurgische Team, es ist das HNO-Team, der Anästhesist und die OP-Schwester. Manchmal verbinden wir es auch mit einem Vortrag mit und vor den Studenten."

Wann werden die Neuseeländer selbst in der Lage sein, solche Operationen auszuführen?

"Ich hoffe, dazu werden sie nach meinem Besuch in der Lage sein. Es hängt aber auch – wie immer in der Chirurgie – von der allgemeinen Vorerfahrung und letztlich dem Mut des einzelnen ab, die Operation ein erstes Mal ohne den Mentor und Lehrer zu wagen."

Wer hat die Kinder für die OP-Woche in Neuseeland ausgewählt?

"Das haben die Kollegen in Neuseeland getan. Michel Neeff hat sie jedoch auf unserem internationalen Kongress mit mehr als 100 Teilnehmern aus 24 Ländern Ende 2017 in Fulda vorgestellt."

Müssen die Eltern für den Eingriff in Neuseeland selbst bezahlen?

"Nein, es gibt dort ein gutes staatliches Gesundheitssystem."

Gibt es mehrere Länder, mit denen Sie kooperieren?

"Ja, ich war jüngst in Sankt Petersburg, um vier Kinder zu operieren, denn die Russen wollen ein System aufbauen, um von diesem Fortschritt zu profitieren. In Südostindien können sie es schon. Da war ich 2009 das erste Mal. Dort ist eine erbliche Erkrankung, die zu Taubheit führen kann, häufiger, da vielfach Cousins und Cousinen heiraten. Aber auch in anderen Ländern, wie Singapur, Hongkong, Japan, Südafrika und in vielen europäischen Ländern habe ich dieses System eingeführt. In manchen ist es schon gut verankert, andere brauchen noch immer Hilfestellungen. In den USA hingegen ist die Implantation eines ABI bei Kindern bis zu 15 Jahren nicht erlaubt, weil dort Sicherheitsbedenken bestehen, - obwohl die USA das Land sind, in dem der grandiose Erfolg seinen Anfang nahm. Die Amerikaner kommen wegen Operationen derzeit mit ihren Kindern nach Europa, werden die Methode aber in Kürze auch einführen und zulassen."

Beeinflusst die Internationalität Ihres Engagements Ihre Arbeit an einem großen Krankenhaus der Maximalversorgung in Hessen?

"Ja, insofern ich andere Gesundheitssysteme, deren Ausstattung, deren Arbeitsweise und Indikationsstellung sowie die unterschiedlichen Temperamente kennenlerne."

Wo können wir Deutsche von den anderen lernen? Und wo lernen die anderen von uns?

"Das ist schwer auf Anhieb zu sagen. Es gibt viele Aspekte, - fachliche, organisatorische und ökonomische. Fachlich können wir, denke ich, schon sehr viel, organisatorisch und ökonomisch, im guten Sinn, haben andere die Nase vorn, zumindest in Teilbereichen." (cpm/cps) +++


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