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Einmal gestartet, drei Rennen gefahren: das gibt’s nur beim Radklassiker
08.05.18 - Das Straßenrennen Eschborn-Frankfurt ist der Frühjarsklassiker schlechthin im deutschen Radsport. Jedes Jahr nehmen am 1. Mai tausende Radsportler beim Rennen rund um die Mainmetropole teil. Auch Sportler aus Osthessen waren in Frankfurt am Start. Christoph Blum vom Fuldaer radroo-Team schildert das Rennen aus seiner persönlichen Sicht.
Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit. Und genau das stand für uns beim zweiten gemeinsamen Rennen der Saison mit dem radroo Team auf dem Tagesplan – ganz viel Arbeit nämlich. Denn dieses Rennen hat’s richtig in sich: Erst mit Karacho durch die Häuserschluchten der Frankfurter City, dann DER Berg und schließlich das letzte Drittel bergab mit Karacho zurück in die Stadt. Eigentlich drei Rennen in einem, denn alle Phasen erfordern ganz unterschiedliche Fähigkeiten.
So standen wir also mit der stattlichen Anzahl von 22 Startern und 5.000 anderen Rennwütigen in Eschborn unterm Startbogen – aufgeteilt fein sauber zur Hälfte in die, die das etwas flachere 50-Kilometer-Rennen fuhren und diejenigen, die sich auf die 90-Kilometer-Distanz wagten. Für die lange Strecke von 110 Kilometern hatten wir diesmal neimanden gemeldet. Für mich standen die 90 Kilometer auf dem Plan und ich wusste: Ich muss über den Feldberg. Das Wetter: bescheiden. Doch es hätte schlimmer kommen können, denn es regnete wenigstens nicht wie im letzten Jahr. Damals schneite es sogar ganz oben ein bisschen.
Hatte man sich also ordentlich warmgefahren, wurden bei unbarmherzigen sechs Grad vorm Start die Beine wieder klamm, wenn man eine halbe Stunde darauf wartete, dass es endlich losging. Wenigstens ging es allen so – ein kleiner Trost. Nach dem Startschuss war von Klammheit allerdings nichts mehr zu spüren. Von Beginn an tobte das Feld los, als wäre man auf der Flucht. Zwischendurch zeigte der Tacho knapp 60 Sachen – und das im Zickzack-Kurs mitten durch die „schönste Skyline Deutschlands“, wie ein HR3 Reporter romantisch formulierte.
Für architektonischer Feinheiten blieb freilich wenig Zeit, denn es ging gleich sehr hektisch zur Sache. Ich suchte immer wieder meine Teamgenossen und orientierte mich an Frank Schmähling und Felix Sauer. „Die haben was drauf, da kann ich erstmal dranbleiben“, dachte ich mir. Klappte auch. Ab und zu blinkte weiter vorne noch das ein oder andere radroo-Leibchen auf, das war dann aber das letzte, was ich von den ganz schnellen Teamkollegen noch sah. Dann plötzlich die Schrecksekunde: Vor meiner Nase eine Trinkflasche, die irgendein Dödel verloren hatte. Links und rechts war alles besetzt, da blieb nur der Weg drüber. Es knallte – und ich saß weiterhin auf der Corratec-Maschine, die unbeeindruckt auf Kurs blieb.
Hui, das hätte ins Auge gehen können. Geschwindigkeit stabilisiert ja auch irgendwie. In Oberursel dann die erste Streckenteilung. Die gefährliche Phase eins war geschafft. Wir 90er mussten rechts hoch Richtung Feldberg während die 50er links abbogen – und tschüss. Ab jetzt begann Phase zwei: zwölf Kilometer einfach nur berghoch. Felix war längst entfleucht, an Frank konnte ich noch ein wenig dranbleiben, dann zog auch er von dannen. Mist, hätte ich Weihnachten mal den ein oder anderen Keks weniger …. egal, Augen zu und hoch. Ab dem Gipfel ging es dann mit Highspeed lange Kilometer wieder bergab Richtung City.
Das Feld war jetzt durch den Berg heftig auseinandergerissen und so rollte ich eine ganze Weile alleine die Straßen des Taunus hinab. Das war auch okay, denn bei 75 Stundenkilometern und teils heftigen Kurven bin ich froh, wenn mir keiner in die Quere kommt. Klein machen, Kopf runter und die Beine wieder klarkriegen, denn es kamen noch zwei kleine aber sehr giftige Anstiege, die nochmal die letzten Körner forderten. Bis kurz vor Eschborn konnte ich dann in einer gut kreiselnden Gruppe mitfahren, das Tempo hielten wir hoch und die Beine jammerten nicht (mehr). Sechs Kilometer vor dem Ziel dann die letzte Streckenteilung. Ich bog ab – und war mutterseelenallein mit Gegenwind. Die Gruppe fuhr komplett die lange Distanz. Na toll! Die letzten sechs Kilometer kamen mir am Ende härter vor als der gesamte Feldberg. Endlich im Ziel mampften schon einige schnelle Teammitglieder Riegel, Bananen und Landjäger – urghs. Und mir war eher nach… naja, lassen wir das.
Ich vermisste Felix, meinen Trainingspartner und Trainingsplanschreiber. War er gestürzt oder hatte er einen Defekt? Keiner wusste es. Als er schließlich angerollt kam, sah er etwas blass aus und klagte über brachialen Hunger. Mit Tunnelblick hatte er die letzte Abzweigung verpasst und war „aus Versehen“ die 110 Kilometer gefahren. Ok, da war ich mit meinem sechs Kilometern Gegenwind-Solo noch gut bedient. Alles in allem war ich aber mit dem Ergebnis sehr zufrieden: Ein 40. Platz von 1.300 Startern und der achte Platz in meiner Altersklasse sprangen am Ende dabei raus. Ich bin ja immer am meisten froh darüber, wenn man heile - wenn auch müde - wieder im Auto sitzt und sich auf das nächste Rennen mit diesem tollen Team freuen kann.
A propos tolles Team: Auch bei unserem zweiten Rennen haben wir ordentlich abgeräumt. Mit Tanja Hennes, Dirk Müller und Jonathan Reuning haben wir drei Siege in den jeweiligen Altersklassen erzielt und Tanja hat sogar das Gesamtrennen bei den Frauen über 50 Kilometer gewonnen sowie mit Jonas Arlt, Dominik Hofeditz und Ulrike Blumenstein weitere Podiumsplätze erzielt. Zudem haben wir den Mannschaftssieg über die kurze Distanz und den Zweiten über 90 Kilometer abgeräumt. Und last but not least hat unser „Exot“ im Team, Mario Würz, als Speed-Inlineskater auf der 30-Kilometer-Strecke den Sieg in seiner Altersklasse und den zweiten Platz insgesamt abgeräumt. Wenn das mal kein gutes Omen für unsere nächsten Rennen ist … (Christoph Blum) +++