Archiv
Schön schräg: Die Fürstenfamilie van Dussel, die als Heiratskandidatinnen an den Hof von Pisumien gekommen sind. - Fotos (3):: Brüder Grimm Festspiele/Nix

HANAU Ein Königshaus wird aufgemischt

Dritte Premiere Brüder Grimm Festspiele: „Prinzessin auf der Erbse“ begeisterte

04.06.18 - Das gab es bisher eher selten in der Geschichte der Brüder Grimm Festspiele: Auch die dritte Premiere ging vor nahezu ausverkauftem Haus über die Bühne und zeigte, welchen Vertrauensvorschuss die Spiele bei den Besuchern mittlerweile genießen. Und das zu recht: Mit der aktuellen Inszenierung der „Prinzessin auf der Erbse“ trafen die Festspielmacher offensichtlich voll den Geschmack des begeisterten Publikums.

Unter den Besuchern der Premiere am Wochenende befand sich auch der wohl größte Pechvogel der Saison: Schauspieler Lukas Haiser, eigentlich vorgesehen für die Rolle des Prinzen Paul in der aktuellen Inszenierung, hatte sich in einer anderen Aufführung den Fuß gebrochen, es sich aber nicht nehmen lassen, an der Premiere teilzunehmen und seinen Kollegen die Daumen zu drücken. Dafür gab es gleich zu Beginn einen Riesenapplaus. Und mit Beifall geizte das Publikum auch sonst an diesem Abend nicht: Es sah ein auf den Punkt inszeniertes Stück voller Humor, Musik, Tempo und nachdenklichen Momenten, die berührten, ohne kitschig zu sein. Und es sah ein Top-Ensemble, das dies alles mit Leben füllte. 

In seiner Begrüßung musste Intendant Frank-Lorenz Engel erstmal die ganzen Umbesetzungen erklären, die nach dem Unfall von Lukas Haiser notwendig geworden waren: In seine Rolle als Prinz Paul von Pisumien schlüpfte Dennis Hupka – er erarbeitete sich den Part des leicht verpeilten Thronfolgers in weniger als einer Woche. Noch weniger Zeit hatte übrigens die Nachbesetzung der Haiser-Rolle in „Der Froschkönig“: David Lindermeier schaffte sich in nur vier Stunden in die Gestalt des Igor und stand bereits in der Nachmittagsvorstellung des Unfalltages darin auf der Bühne.

Doch nun „Vorhang auf“ für „Die Prinzessin auf der Erbse“, deren Geschichte übrigens ursprünglich aus der Feder Hans Christian Andersens („Die Erbsenprobe“) und von den Brüdern Grimm kurzzeitig in die Hausmärchen aufgenommen worden war. Wer die relativ einfach erzählte Handlung rund um eine vermeintliche Prinzessin und die störende Hülsenfrucht in ihrem Nachtlager erwartete, der wurde schnell eines Besseren belehrt – und zwar im allerbesten Wortsinn. Jan Radermacher, der sowohl das Buch schrieb als auch die Regie geführt hat, präsentierte in seiner Version den Hof derer von Pisumien als lethargisch-versponnene Männer-WG, die Dauerregen und das verfallende Schloss um sich herum als unabänderliche Tatsache akzeptiert und jeden Tag gleich verbringt.

: Florentine (links) im Gespräch mit Königin Amalia in der Nacht der „Erb-senprobe“ ...

  Bereits die zweite Szene setzte einen starken Akzent, der Lust auf mehr machte: Das Wohn- und Esszimmer des Schlosses, offensichtlich baufällig, mit trocknender Wäsche überall, ist und bleibt der zentrale Raum der Inszenierung: Die Bewohner, König Quintus (Benedikt Selzner), sein Schwiegervater Kapitän Otto Pfefferkorn (Hans B. Goetzfried), Prinz Paul (Dennis Hupka), Kammerdiener Edgar Stocksteif (Detlev Nyga) und Diener Roquefort (David Lindermeier) singen und tanzen die Geschichte ihres Alltags „Heute ist wie gestern und gestern war doch schön“. Das Schloss verlassen dürfen sie nicht, weil nach dem Verschwinden der Königin ein Fluch („Pssst!“) auf ihm lastet.

Die Charaktere sind grandios: Prinz Paul flüchtet sich versponnen in die wissenschaftliche Analyse des immer gleichen Wetters, sein Papa wandert in Nachthemd und Morgenmantel umher („Nur geschlossene Türen sind sichere Türen“), der Käpt’n steuert  als knotternder Opa im Rollstuhl kernige Meldungen bei und vor allem Diener Stocksteif macht seinem Namen alle Ehre. Für kollektiv erhöhten Pulsschlag in der Herrenrunde sorgt der Brief („Nur geschlossene Briefe sind sichere Briefe“) von Königsmutter Wilhelmina (Barbara Krabbe), die ihren Besuch ankündigt und dank der schleppenden Postbeförderung dann auch gleich vor dem Tor steht. Sie ist der Inbegriff der durch und durch disziplinierten Monarchin mit dem festen Glauben an Traditionen, Herkunft und Erziehung. Und sie ist nicht auf den Mund gefallen: Ansagen an den Sohnemann („Zieh eine Hose an!“), Verbalscharmützel mit dem Käpt’n, der sie ungerührt eine „alte Fregatte“ nennt und vor allem die Verkündung ihres Planes, Prinz Paul müsse unter die Haube, um den weiteren Verfall des einstmals hoch angesehenen Königreichs Pisumien aufzuhalten. Punkt. Keine Widerrede.

Paul ist naturgemäß wenig begeistert von Omas Idee – und just in dieser Nacht, deren Sturm den metereologisch-forschenden Prinzen in helle Aufregung versetzt, landet Florentine (Johanna Haas) am Schloss. In ihrem Heißluftballon ist sie auf der Suche nach dem Ort ihrer Träume, der da heißt „Weit weit weg“ und im schlechten Wetter von der Route abgekommen. Nach anfänglichem Rumgestammel des frauenunerfahrenen Paul schließen die beiden Freundschaft und Florentine bringt, im wahrsten Sinne des Wortes „frischen Wind“ in die Bude. Sehr zum Missfallen von Oma Wilhelmina, die bereits mit der Fürstenfamilie van Dussel (Nadine Buchet, Marina Lötschert, Carolin Sophie Göbel) potenzielles und vor allem standesgemäßes Heiratsmaterial eingeladen hat.

Eklat beim Abendessen: Paul und Florentine sorgen für frischen Wind im Schloss ...

Die ultimative Erbsenprobe soll zeigen, ob auch Florentine wie vorgegeben von Adel ist („Prinzessin Florentine von Weit weit weg“) – soweit bewegt sich die Hanauer Version relativ eng am Original. Im zweiten Teil der hiesigen Inszenierung aber öffnet Jan Radermacher eine zweite Ebene: Sie erzählt vom Schmerz König Quintus‘ über das vermeintliche Verschwinden seiner Frau, der Bürgerlichen Amalia, die, ähnlich wie Florentine jetzt, das traditionsverbundene Königshaus vom Mief befreite. Sie erzählt davon, dass er Erinnerungen an sie nicht zulassen kann, alles in den Keller verbannt hat und sich darüber von seinem Sohn Paul entfremdet.

Der flüchtet in seine Forschung, weil er sich unverstanden und nicht geliebt fühlt. Und sie erzählt vom verbohrten Festhalten an Geschichte um jeden Preis, das sogar vor Mord nicht zurückschreckte. Auf fast poetische Weise führt der Regisseur das Mädchen Florentine und Königin Amalia zusammen – letztere wurde von Traditionalist Stocksteif vor Jahren vergiftet, gilt aber als verschwunden und kommt als sprechendes Bild in die Gegenwart zurück. Die beiden Frauen, die einander in ihrer Denke so ähnlich sind, holen Erinnerungen, Ehrlichkeit und Gefühle ins Schloss zurück. Der Fluch ist gebrochen, frische Luft und Licht können eingelassen werden. Klar, dass am Ende alle diejenigen zueinander finden, die es verdient haben und in einer wunderbaren Reprise einen gemeinsamen, musikalischen Schlusspunkt setzen.

Die Inszenierung hat so viele Highlights, das es den Rahmen einer Rezension sprengen würde: Dialoge und Inszenierung genau auf den Punkt, tolle Musik und Tänze (Markus Syperek und Bart De Clercq), unzählige kleine Details, die man sehen und genießen muss, einen Stab von Schauspielern, die samt und sonders ihre Rollen mehr als ausfüllen, so dass es unmöglich scheint, besondere Leistungen hervorzuheben. Und das Ganze rund gemacht mit dem passenden Bild eines maroden Schlosses (Tobias Schunk) und grandiosen Kostümen und Ausstattungsdetails (Ulla Röhrs und Wiebke Quenzel) – übrigens ist alles in grün-braun-goldenen Tönen gehalten. Eine zusätzlich witzige Idee. Dass es nicht nur jede Menge Szenenbeifall, sondern auch minutenlangen tosenden Schlussapplaus mit stehenden Ovationen gab, ist nicht verwunderlich. Alles andere wäre einem wunderbaren Theaterabend nicht gerecht geworden (pm). +++


HINTERGRUND:  Mit den Brüder Grimm Festspielen ehrt die Stadt Hanau die deutschen Märchensammler und Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm, die in Hanau geboren wurden. Jedes Jahr locken die preisgekrönten Festspiele über 70.000 Besucher an. In diesem Jahr finden die 34. Festspiele mit den Stücken „Dornröschen“ (Musical/Premiere am 11. Mai), „Der Froschkönig“ (Familienstück/Premiere am 19. Mai), „Die Prinzessin auf der Erbse“ (Theater mit Gesang/Premiere am 2. Juni) sowie „Der Brandner Kasper“ (Reihe Grimm Zeitgenossen/Premiere am 9. Juni) und „Die Leiden des Jungen Werther“ (Reihe Junge Talente/Premiere am 13. Juli) vom 11. Mai bis 29. Juli 2018 statt. Weitere Informationen über die Brüder Grimm Festspiele gibt es unter www.festspiele.hanau.de  im Internet. Tickets gibt es im Hanau Laden am Freiheitsplatz, an allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie im Internet unter www.frankfurt-ticket.de  oder auch unter der Telefonnummer 069 / 13 40 400.  +++


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön