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Über der Domstadt: Rhönlerchen-Gründer Johannes Neuwirth wird 80 Jahre alt
27.07.18 - Der Kinderchor "Rhönlerchen" aus Poppenhausen war von 1972 bis 2002 musikalisches Aushängeschild im Landkreis, Auftritte beim Papst und in Notre-Dame haben die Rhön auf der kulturellen Landkarte etabliert. Gründer Johannes Neuwirth, der heute 80 Jahre alt wird, konnte die Stimmen "seiner Mädchen" zur Perfektion formen – eine ungewöhnliche Fügung half ihm dabei.
Neuwirth war 40 Jahre lang Lehrer in Poppenhausen, Weyhers und Gersfeld. Zu Hause hat er ein umfangreiches Archiv: 30 Jahre, von 1972 bis 2002, war er Leiter des Kinderchors. Mehrere Generationen lang waren die typischen rot-weißen Dirndl nicht nur in Fulda und Umgebung zu sehen: In Rom, Paris, Wien, London und Göteborg haben die "Rhönlerchen" ebenso ihre Visitenkarte hinterlassen, Neuwirth erklärt anhand einer Schallplatten-Aufnahme, was den besonderen Charme ausgemacht hat: "Im Chor hatten wir immer auch ein paar Jungs, das hat den Klangkörper verbessert. Der Sopran hat mehr Festigkeit bekommen. Wenn Mädchen alleine laut singen, fehlt etwas. Aber vor allem hatten unsere Kinder fünfmal so viel Probezeit wie ein Schulchor – das hat das geschulte Ohr sofort herausgehört." Neuwirth, der 1938 im südböhmischen Neuhaus geboren wurde, kam 1963 als Lehrer in die Volksschule nach Poppenhausen: "Als ich die Ostermesse in Poppenhausen besucht habe, war ich ganz angetan: Die Gläubigen hatten schöne volle Stimmen, auch die Kinder waren leicht zu bilden. Im Musikunterricht stand deutsches Liedgut auf dem Programm, aber einmal in der Woche Singen, das gibt einen ordentlichen Schulchor, nichts weiter."
Als Neuwirth 1968 in die Hauptschule Weyhers versetzt wurde, sollte sich das ändern: "Es war ein bitterkalter Winter. Ein Mädchen hat mich nach der Musikstunde gefragt, ob sie nicht noch bleiben kann, weil es so kalt ist. Wir haben weiter gesungen - das hat mich auf eine Idee gebracht. Ich habe dem Rektor vorgeschlagen, die große Pause auf 25 Minuten zu verlängern und so mit meiner Gruppe zusätzlich zum Musikunterricht jeden Tag zu singen. Ich bin froh, dass er zugestimmt hat: Das hat den Ausschlag für den schönen Klang gegeben, das hat die Rhönlerchen groß gemacht", erklärt Neuwirth. Einmal pro Woche kamen besondere Talente zudem für eine Stunde Stimm-Feinschliff ins Lehrerhaus. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: "Der Hessische Rundfunk war auf uns aufmerksam geworden. Nach Aufnahmen im Funkhaus durften wir in mehreren Jahren das HR-Weihnachtskonzert mitgestalten. 1972 wurde außerdem das Bürgerhaus in Poppenhausen fertig, der große Saal war perfekt für unsere Auftritte. In diesem Jahr haben wir uns auch den Namen 'Rhönlerchen' gegeben, um uns von normalen Schulchören abzusetzen. Wir waren der erste Kinderchor in Hessen, der regelmäßig außerhalb der Schule Konzerte gab und so intensiv trainierte. Bei Bundeswettbewerben traf man dann die großen Vorbilder: Schaumburger Märchensänger, Kölner Kinderchor, die westfälischen Nachtigallen. Das war schon beeindruckend."
Neuwirth kam die Organisten- und Chorleiterprüfung, die er während seines Studiums absolviert hatte, zugute: "Ich hatte gelernt, Chorsatz zu schreiben. Ich brauchte nur die Melodie und konnte die auf meinen Chor anpassen. Ein Glücksgriff war Komponist Rüdiger Bär, den die Kriegswirren von Berlin nach Fulda gebracht hatten. Lieder wie 'Kennst du die Rhön?' oder 'Frischauf, du Wandersmann' wären ohne ihn nicht möglich gewesen." Wenn hoher Besuch in der Rhön weilte, wurden von nun an die "Rhönlerchen" gerufen, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen: "Bundespräsident Karl Carstens ist von der Wasserkuppe nach Gersfeld gewandert, auf der Treppe des Schlosses haben wir ihm ein Ständchen gebracht, der war ganz begeistert." Als die Unterhaltungsshow "Zum Blauen Bock" mit TV-Legende Heinz Schenk 1978 in Bad Salzschlirf gastierte, durften die "Rhönlerchen" nicht fehlen.
Besonders in Erinnerung ist Neuwirth allerdings der Papstbesuch 1980 in Fulda geblieben: "Bischof Eduard Schick hatte vor dem Bischofshaus ein Privatkonzert für Johannes Paul II. gewünscht. Wir singen unsere Volkslieder, alles gefällt. Plötzlich fragt der Pontifex, woher wir das letzte Lied denn kennen. Es stellte sich heraus, dass er das im Krakauer Priesterseminar jeden Abend gesungen hatte, eine Rhönlerche mit polnischen Wurzeln hatte es uns beigebracht. 'Ihr müsst mich unbedingt in Rom besuchen', lud er uns ein." Zwei Jahre später war es soweit, auf einen persönlicher Dank des Papstes an die Rhönlerchen in der Tageszeitung des Vatikanstaats ist Neuwirth noch heute stolz.
Der Kinderchor bringt den Weyherser und Poppenhausener Nachwuchs in die weite Welt, nicht nur für Konzerte: "Einmal im Jahr haben wir eine Reise unternommen, ob an die Nordsee oder nach Wien. Das hat natürlich zusätzlich motiviert. Es waren auch noch andere Zeiten: Als wir zum Papst nach Rom gefahren sind, waren evangelische Konfirmandinnen dabei. Das hat die Pastorin aus Gersfeld gar nicht gern gesehen", erklärt Neuwirth. Ideologie war den Rhönlerchen fremd, für die Völkerverständigung waren die rot-weißen Dirndl aber ebenso im Einsatz. Bei einem großen Konzert in Prag im August 1989 war der Kinderchor gar der einzige deutsche Vertreter: "Die DDR hatte damals sieben Chöre zu Hause behalten, weil man befürchtet hat, dass die Mädchen fliehen könnten. Wir sind dann im Fernsehen gegen Ostblock-Chöre angetreten, aber das war eine ganz andere Welt: der Drill, die verbissene Perfektion. Wir waren immer mit dem Herzen dabei."
30 Jahre leitet Neuwirth den Kinderchor, für seine herausragenden ehrenamtlichen Verdienste um das Gemeinwohl bekommt er vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau im Jahr 2003 die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Eine zweite musikalische Karriere beginnt für ihn nach seiner Pensionierung im Jahr 2002: Neun Jahre leitet er die Kinder der Grundschule Poppenhausen zum Singen an, Rektorin Anja Niebling, eine ehemalige Rhönlerche, hatte um Hilfe gebeten: "Das kann man nicht ausschlagen", erklärt Neuwirth. Die Tradition lebt ohnehin weiter: Anita Burck, Schlagersängerin aus Künzell und ehemalige Rhönlerche, veranstaltet mit dem "Vokalensemble Poppenhausen", das aus ehemaligen Mitgliedern des Kinderchors besteht, jährlich zu Weihnachten das Benefizkonzert "Licht ins Dunkel" in der Klosterkirche am Fuldaer Frauenberg. (Marius Auth) +++