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Prof. Dr. Lotte Rose überreichte für das Gender- und Frauenforschungszentrum der Hessischen Hochschulen den Henriette-Fürth-Preis an Stefanie Freytag und Verena Dierolf (v.l.). - Foto: Kevin Hillenbrand

FULDA Handlungsbedarf identifiziert

"Pille danach": Henriette-Fürth-Preis für Absolventinnen der Hochschule

02.08.18 - Der Henriette-Fürth-Preis ist in diesem Jahr an zwei Absolventinnen der Hochschule Fulda gegangen. In ihrer Masterarbeit haben Stefanie Freytag und Verena Dierolf die Vergabepraxis der „Pille danach“ durch Apotheken untersucht – und dringenden Handlungsbedarf identifiziert.

Für ihre Arbeit zur Vergabepraxis der „Pille danach“ durch Apotheken sind die beiden Absolventinnen des Masterstudiengangs Public Health an der Hochschule Fulda, Stefanie Freytag und Verena Dierolf, mit dem Henriette-Fürth-Preis des Gender- und Frauenforschungszentrums der Hessischen Hochschulen (gFFZ) ausgezeichnet worden. Der Preis würdigt qualitativ herausragende Arbeiten an hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die ein für die Frauen- und Genderforschung relevantes Thema bearbeiten und besondere Erkenntnisgewinne liefern. Die Masterarbeit entstand aus einem zweisemestrigen Forschungsprojekt im Masterstudiengang Public Health, das Prof. Dr. Daphne Hahn, Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung am Fachbereich Pflege und Gesundheit und bis 2017 Vorsitzende des Bundesverbands von pro familia sowie Werner Hofmann, Lehrkraft für besondere Aufgaben, leiteten.

Pille danach ist rezeptfrei, aber nicht barrierefrei

Stefanie Freytag und Verena Dierolf untersuchten, welche Faktoren die Vergabe der Pille danach durch Apotheken beeinflussen. Hintergrund: Das Medikament kann seit März 2015 rezeptfrei, also ohne ärztliche Verordnung in Apotheken erworben werden. Eine nichtrepräsentative Umfrage des pro familia Bundesverbands noch im selben Jahr hatte Hinweise geliefert, dass Frauen oft auf Hindernisse stoßen, wenn sie nach Notfallkontrazeptiva fragen. Deutschlandweit erstmalig erhob daraufhin ein zweisemestriges Forschungsprojekt des Masterstudiengangs Public Health an der Hochschule Fulda quantitativ belastbare Daten. Hessenweit befragte es 143 Apotheken zum Umgang mit der Pille danach und erfasste zudem die subjektiven Erfahrungen jener Frauen und auch Männer, die eine Apotheke aufgesucht hatten, um das Präparat zu erwerben.

Das Ergebnis bestätigte den Befund der pro familia Umfrage: Obwohl das Präparat wie eine Schmerztablette rezeptfrei erhältlich ist, ist ein schneller Zugang zu Beratung und Anwendung nicht immer gewährleistet. Die Befragung zeigt auch, dass sich Vergabepraxis wie Beratung in den Apotheken stark unterscheiden. Zwar hat die Bundesapothekerkammer (BAK) Handlungsempfehlungen für die Apotheken formuliert, doch die Rechtslage ist in vielen Punkten noch nicht eindeutig – etwa mit Blick auf die Abgabe des Medikaments an unter 14-Jährige. Die Vergabe hängt daher auch davon ab, welche Einstellung das pharmazeutische Personal zu Notfallkontrazeptiva hat. Um herauszufinden, welche Faktoren genau entscheiden, ob eine Frau die Pille danach erhält oder nicht, führten die beiden Masterabsolventinnen eine ergänzende qualitative Befragung hessischer Apothekerinnen und Apotheker durch.

70,3 Prozent der Befragten sehen die Pille danach als besonderes Medikament

Stefanie Freytag und Verena Dierolf konnten zeigen, dass 70,3 Prozent des befragten Apothekenpersonals die Pille danach als besonderes Medikament behandeln, dessen Vergabe nicht mit herkömmlichen rezeptfreien Medikamenten vergleichbar sei. 70,4 Prozent zeigten sich sogar überzeugt, dass die Pille danach ein medizinisch bedenkliches Medikament sei. Dass Frauen durch den Kauf der Pille danach verantwortungslos mit Verhütung umgehen, hielt ebenfalls eine Mehrheit der Befragten für eher wahrscheinlich.

Die Pille danach enthalte zwar eine hohe Hormondosis und sie sollte in Ausnahmefällen auch tatsächlich nicht eingenommen werden, allerdings sei erwiesen, dass die Neben- und Wechselwirkungen gering sind und keine abortive Wirkung nachzuweisen ist, betonen Stefanie Freytag und Verena Dierolf und erläutern: Andere apothekenpflichtige Medikamente würden im Vergleich zur Pille danach ein höheres Missbrauchs- und Gefahrenpotenzial bergen. „Es ist anzunehmen, dass erstens moralische Bedenken, zweitens die BAK-Empfehlung und drittens die jahrelangen Diskurse um die Rezeptfreigabe zu dieser Annahme beim pharmazeutischen Personal führen“, konstatieren die Masterabsolventinnen.

Stefanie Freytag und Verena Dierolf arbeiteten heraus, dass das Argument, es handle sich um ein besonderes Medikament, offenbar Disziplinierungsmaßnahmen und Abgabeverweigerungen rechtfertigt. „Wir haben beispielsweise diskriminierende „Aufklärungsversuche“ registriert, die nicht nur den niedrigschwelligen Zugang gefährden, sondern auch mit den sexuellen und reproduktiven Rechten nicht zu vereinbaren sind“, erläutern sie.

Moralische Bedenken gefährden bestmögliche Gesundheitsversorgung

Aufgrund der moralischen Bedenken und der daraus resultierenden Vergabepraxis sei eine bestmögliche Gesundheitsversorgung kaum mehr gewährleistet, schreiben sie in ihrer Masterarbeit. So habe eine Befragte eine Kundin als „Wiederholungstäterin“ bezeichnet, weil sie das Präparat wiederholt benötigt habe. „Die Einnahme der Pille danach scheint nur vertretbar zu sein, wenn ein wirklicher, einmaliger ‚Notfall‘ vorliegt“, schließen die beiden Absolventinnen daraus.

Umso mehr erstaunte sie dieser Befund: Lag der Verdacht vor, die Kundin benötige das Präparat aufgrund einer Vergewaltigung, gaben die Apotheken die Pille danach nur in etwas mehr als der Hälfte aller Fälle heraus. „Das Apothekenpersonal scheint im Umgang mit Gewaltopfern sehr unsicher zu sein“, schlussfolgerten die beiden Masterabsolventinnen. „Offensichtlich wissen sie nicht, wie sie adäquate Hilfe leisten können, obwohl bereits die Aushändigung der Pille danach für Frauen eine sehr große Erleichterung darstellt.“

Aus den Studienergebnissen leiten die beiden Masterabsolventinnen die Notwendigkeit ab, die BAK-Empfehlungen zu überarbeiten, „um Frauen von diskriminierenden Äußerungen und den überzogen dargestellten medizinischen Gefahren der Pille danach zu schützen“. Eine eindeutige rechtliche Regelung könne Divergenzen in der Vergabepraxis reduzieren und einen barrierearmen Zugang unterstützen, betonen sie. (pm) +++



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