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FULDA Zeitzeuge Ferdinand Burschel blickt zurück

Luftangriff auf Fulda: „Wir schrien jedes Mal auf, wenn die Bomben einschlugen"

11.09.18 - Es ist ein Schicksalstag in der Geschichte Fuldas: Am 11. September fallen die Bomben der Alliierten auf die Barockstadt. Unzählige Menschen verlieren ihr Leben, Häuser liegen in Trümmern, übrig bleibt ein Bild von Angst und Zerstörung. 74 Jahre später erinnert sich Ferdinand Burschel an jenen schreckensvollen Tag. Es ist um die Mittagszeit, als die Bomben fallen – das Haus seiner Familie in der Blücherstraße wird getroffen, im Keller bangt er mit Mutter und Bruder um sein Leben.

Ferdinand Burschel (85) erlebte die Luftangriffe vom 11. September 1944 hautnah ...Fotos: Leyla Rommel

Als um die Mittagszeit die Bomben fallen, flüchtet er sich in den Keller des Familienhauses ...

Dort harrt er mit seiner Mutter und seinem Bruder aus

1933, im Jahr der Machtergreifung der NSDAP, geboren, wächst Burschel in jungem Alter mit dem NS-Regime auf. Ein Jahr lang ist er Pimpf im Jungvolk. „Wir gingen mit Freude hin“, erinnert er sich an die Zeit. „Es hat etwas hergemacht, wenn man in der Uniform marschierte, man war stolz, seinem Land zu helfen.“ So wurden er und seine Klassenkameraden oft vom Unterricht befreit, um Heilkräuter, Eisen und Knochen für das Winterhilfswerk zu sammeln, das die Soldaten an der Front unterstützte. Mit der Zeit zog die NS-Doktrin in den Schulalltag ein. Hitler-Bilder hingen statt Kruzifixen an den Wänden, auch im Sportunterricht bereitete man sich für den späteren Einsatz an der Front vor.

„Wenn ich heute zurückblicke, weiß ich, dass man sich beispielsweise mit dem Ballweitwurf darauf vorbereitet hat, später einmal eine Handgranate zu werfen, der Weitsprung sollte einem Sprung und in den Schützengraben ähneln.“ Auch in die Kinderzimmer schlich sich der Kriegsgedanke unbewusst ein. „In der Freizeit bastelte man an Modellbögen für Kampfflugzeuge und Schiffe, es wurde ein richtiges Geschäft daraus gemacht“, so Burschel. „Aber natürlich waren wir damals noch zu jung, um das zu verstehen.“

Die Stadt wird abgedunkelt

Burschel hat in langer Recherche eine Familienchronik zusammengestellt

Die Anfänge der Kriegszeit erleben Burschel und sein ein Jahr jüngerer Bruder Berthold mit wenig Angst. „Wir hatten einen kleinen Garten, da konnten wir Lebensmittel produzieren, uns hat es nicht an Essen gefehlt.“ Zu Beginn seien die einzig offensichtlichen Anzeichen für den Krieg die weißen Pfeile gewesen, die Luftschutzkeller markierten. Bemerkbar machte sich die immer zu drohende Gefahr ansonsten durch die nächtliche Verdunklung der Stadt. „Um nicht Ziel für Luftangriffe zu werden, mussten mit Einbruch der Dunkelheit die Fenster verdunkelt werden“, sagt Burschel. „Die Wirtschaft war bestens darauf vorbereitet, es gab Schnapprollos, die überall verkauft wurden.“ Doch diese hätten nicht an jedes Fenster gepasst. „Ich erinnere mich, wie unsere Eltern die Fenster mit dunklem Packpapier schlossen. Schließlich machten die Blockwarte jeden Abend ihre Runde und kontrollierten genau.“

Doch es blieb nicht nur bei Maßnahmen zur Prävention einer Bombardierung, man bereitete sich auch auf den Ernstfall vor. „Bei angrenzenden Wohnhäusern wurden die Mauern im Keller durchgebrochen und durch Backsteinwände ersetzt. Wäre man verschüttet gewesen, hätten die Nachbarn die Wände einfacher einreißen können.“ Zur Grundausstattung jedes Kellers gehörten Wassereimer, Lappen und Feuerpatschen.

Die beiden Sterbebilder seines Vaters

Links das Bild, das von der Familie herausgegeben wurde, rechts das offizielle Bild ...

Kurz vor Weihnachten 1943 trifft der erste Schicksalsschlag die vierköpfige Familie: Bei einer Einsatzfahrt wird auf einem Bahnübergang bei Gelnhausen ein Feuerwehrfahrzeug von einem Güterzug erfasst, fünf Insassen sterben - darunter Burschels Vater. Sein jüngerer Bruder und er werden im Alter von nur neun und zehn Jahren Halbwaisen. „Langsam waren wir abgeklärter, gedrillter“, erinnert er sich. „Bis zu einem gewissen Grad musste ich nun die Vaterrolle übernehmen. Unserer Mutter blieb nur eine kleine Witwenrente.“ Sie war in den Eika Wachswerken tätig, wie viel andere Frauen auch. „Die Arbeiten wurden damals oft nach Hause übertragen, wir Kinder halfen mit.“

Fulda lag nach den Angriffen in Trümmern Fotos: Stadtarchiv Fulda

„Wir glaubten, der Tod stehe uns kurz bevor“

Dass die Bomben am 11. September 1944 auf Fulda fielen, war eher Zufall als ein geplanter Angriff. Die Barockstadt lag als Ausweichziel auf der Route der Alliierten, doch wegen schlechter Witterungen konnten die ursprünglichen Ziele nicht angesteuert werden. „Die Flieger konnten ihre Ladung nicht wieder mit nach Hause nehmen“, sagt Burschel. „Fulda wurde dem zum Opfer.“

Burschel in seiner Jugend

Burschel und sein Bruder sind in der Schule, als an jenem Tag die Sirenen losgehen. Sie schaffen es, rechtzeitig nach Hause zu eilen, finden Schutz im Keller. „Der Putz bröckelte von der Decke, wir schrien jedes Mal auf, wenn die Bomben einschlugen“, erinnert er sich heute. „Es war Todesangst. Mutter hatte uns im Arm, die andere Hausbewohnerin betete den Rosenkranz. In diesem Moment glaubten wir tatsächlich, der Tod stehe uns kurz bevor, es gäbe kein Entrinnen.“

Als sie schließlich wieder ins Freie treten, liegt die Straße in Schutt und Asche. Auch das eigene Wohnhaus ist getroffen, einzig die Küche steht noch zur Hälfte. Gemeinsam mit der Tante und einem Handwagen ziehen sie noch in derselben Nacht nach Böckels. Am nächsten Tag setzten sie ihren Weg nach Dipperz fort, wo sie Unterschlupf beim Hausmetzger der Tante finden. „Wir waren am Boden zerstört. Es war erschütternd, rundherum waren Tote", sagt Burschel. „Das gräbt sich einem ein, das vergisst man nicht. Den Tod hautnah erleben, das ist eine Erfahrung, die ich keinem wünsche.“

Der heute 85-Jährige wurde später gelernter Versicherungskaufmann. Er lebt mit seiner Frau in Petersberg und hat zwei Töchter. (Leyla Rommel) +++


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