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Marianne Blum und Guido Rohm im Kulturkeller - Fotos: Christian Reinhardt

FULDA Das Böse im Gutmensch

Guido Rohm & Marianne Blum scheren sich einen Dreck um poltical correctness

19.09.18 - Darf man über militante Tierfreunde lachen? Vielleicht. Über Gleichstellungsbeauftragte? Unter Umständen. Über Künstler? Möglich. Über Hutbürger? Unbedingt. Aber über Antisemiten, Rassisten, Terroristen und Terroristen-Versteher? Ja, warum denn nicht? Gerade angesichts der allerschlimmsten Menschen und der Katastrophen, die sie verursachen, ist oft der Humor das Einzige, was noch hilft und entlastet. Die Kritikerin verweist an dieser Stelle mit aller gebotenen Vorsicht auf den sprichwörtlichen jüdischen Witz, der oft genug im Angesicht schlimmster Pogrome, ja sogar in KZs entstand und weitererzählt wurde und zu den besten Witzen der Welt zählt, gerade weil er das Böse nicht ausspart.

In dieser Tradition sehen sich wohl auch der Schriftsteller Guido Rohm und die Entertainerin Marianne Blum, begegnen sie den Katastrophen und katastrophalen Menschen unserer Zeit doch mit einer ordentlichen Portion parodistischer Frechheit. Waren es im letzten Jahr noch die Populisten von Höcke über le Pen und Erdogan bis Trump, die ihr Fett abbekommen haben, so sind es in diesem neuen Programm des überaus produktiven Künstlerduos Blum & Rohm die „normalen“ Leute, die mit dem scharfen Messer der Satire seziert werden, so z.B. in der geradezu grotesken Rechtfertigungsschrift der „Aktion Rico“. Wir erinnern uns an den echten Fall: Chico war ein Kampfhund, der seine eigene Familie totgebissen hat und daraufhin eingeschläfert wurde, was zu riesigen Protesten bei Tierschützern führte. Rohms Text dazu denkt diese Haltung weiter.

Bei ihm rechtfertigen die Hundefreunde sogar die Sprengung der örtlichen Polizeiwache, bei der 50 Leute ums Leben kommen, mit dem Hinweis, man müsse Zeichen setzen, die von der Allgemeinheit wahrgenommen werden. Hunde seien ohnehin die besseren Menschen, woraufhin Marianne Blum sofort den Party-Hit „Who let the dogs out!“ schmettert, der durch diese Kombination eine Doppelbödigkeit erhält, die er im Original sicher nicht hat. Überhaupt beweisen Blum & Rohm einmal mehr, dass eine Lesung nichts, aber auch gar nichts Angestaubtes haben muss. Die Songs, die die großartige Sängerin zu den Texten des Schriftstellers kombiniert, sind mehr als Kommentare, sie ergänzen sie, illustrieren sie, heizen ein und nehmen die Zuschauer emotional mit, so z.B. bei dem Ärzte-Cover „Manchmal haben Frauen ein kleines bisschen Haue gern“, das Gewaltfantasien zelebriert und dann eine überraschende Wendung nimmt, aber auch die Blues-Version von Michael Jacksons Songs „Bad“, bei dem sich Blum selbst auf der Ukulele begleitet, oder der umgedichteten Version von „Mackie Messer“, in der sie singt: „An 'nem schönen blauen Montag demonstriert ein Pegidist. Mutti Merkel, die soll hängen, weil sie ihn ständig vergisst“.

Zart besaitet darf man bei solchen Texten nicht sein. Andererseits ist hier nichts vollständig aus der Luft gegriffen. Es gibt nicht nur in Chemnitz, Dresden oder Freital tatsächlich extreme Rechte, die Rohms ironische „Anleitung zum Antisemitismus“ sicher gern und ohne jede Ironie veröffentlicht sehen würden, ebenso wie extreme Linke, die in ihrer maximale Toleranz gegenüber Flüchtlingen sogar so weit gehen, einen islamistischen Selbstmordattentäter bei sich wohnen zu lassen. „Wir fanden die Steinigung im Wohnzimmer nicht gut, aber das gehört halt zur Religionsausübung vom Muhammed“. Das ist böse, aber eben auch wahr. Schade nur, dass all diese Leute in der Realität bei weitem nicht so lustig wie in Rohms Texten sind. Sie plagen uns als Gesellschaft mit ihrer Beschränktheit und all dem Bösen, das durch ihre – an und für sich sicher ehrenhafte – Grundhaltung hervorgerufen wird.

Das ist überhaupt eine Erkenntnis dieses Abends: Das Böse, es kommt nicht in Gestalt gehörnter Wesen daher und auch nicht nur in Form uniformierter Glatzenträger, es ist oft das Gutgemeinte, das Böses gebiert. Das gilt nicht nur für den sogenannten „besorgten Bürger“, der um seinen Status, seine Gewohnheiten und seine Vorstellung von Heimat fürchtet, das gilt auch für Leute, deren einziges Problem es anscheinend ist, das Wort „Neger“ aus alten Kinderbüchern zu streichen, es gilt natürlich auch für die, die mit dem Hinweis auf ihre prinzipielle Ablehnung des Kapitalismus kleine Läden und Geschäfte verwüsten und es gilt ganz sicher auch für Menschen, die andere durch Selbstmordattentate zum „wahren Glauben“ bekehren wollen. Alle diese Menschen haben beste Absichten, aber aus ihren Prinzipien folgt nichts als Unheil für ein menschliches Zusammenleben.

Das so deutlich und so lustig darzustellen, wie am Samstag im Kulturkeller geschehen, das ist der Verdienst solcher Künstler wie Blum & Rohm. Sie lassen einen verstehen: Wir steuern auf eine Katastrophe zu, aber wir können sie vielleicht noch verhindern oder zumindest ihr lachend begegnen. Zum Schluss daher noch ein Zitat aus Blums umgedichteter „Mackie Messer-Moritat“: „Und all die, die so nicht denken, schimpft man Gutmensch, das ist mies, was gibt’s Schlimmeres heutzutage im Bösmenschenparadies?“ (pm) +++


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