Archiv
Petra Wetzels waghalsige Flucht aus der DDR - zu Gast im Biber-Kinocenter
07.11.18 - Es war die wohl unglaublichste Fluchtgeschichte aus der DDR. Am 16. September 1979 gelang den Familien Strelzyk und Wetzel aus Pößneck (Thüringen) die Flucht über die innerdeutsche Grenze mit einem selbstgebauten Heißluftballon, der in einem Waldstück bei Naila im Landkreis Hof unsanft landete. Petra Wetzel war eine der acht Personen, die damals im Ballon saßen.
Am Montag hatten interessierte Besucher im Bebraer Biber Kinocenter die Möglichkeit, nach der Vorstellung der anwesenden Zeitzeugin ihre vielen Fragen zu stellen, aber auch ihre Bewunderung für ihren Mut und die Durchsetzungskraft zu bekunden. Sprachlos und gerührt applaudierten die Besucher vorab beim Abspann des Filmes. Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall hat Regisseur Michael „Bully“ Herbig mit diesem Thriller kein DDR-Drama in Szene gesetzt, sondern nur den authentischen Rahmen für diese unfassbare Geschichte geschaffen.
Petra Wetzel hat den Film schon mehrfach gesehen. Sie erinnert sich noch gut an die Kinopremiere, bei der sie den gesamten Film über Gänsehaut hatte, ihr die Hubschraubergeräusche durch Mark und Bein gingen und sie „Rotz und Wasser“ geheult hat. Obwohl es ihre eigene Geschichte ist, schaut sie sich immer wieder das Ende des Films an und fiebert immer wieder mit der Film-Familie Wetze mit: „Die werden es doch schaffen“. Der Dramatik der wahren Geschichte hilft Herbig im Drehbuch nach. Während im Kinofilm ein Hubschrauber den Ballonfahrern gefährlich nahe kommt, haben die Grenztruppen tatsächlich erst einen Hubschrauber starten lassen, als die beiden Familien schon „drüben“ waren.
Die zweifache junge Mutter ließ sich auf die waghalsige Flucht ein, weil sie zu ihrer Mutti wollte. „Sie hat mich, als ich 10 Wochen alt war, als Pflegekind aufgenommen. Als Rentnerin lebte sie im Westen und weil sie nicht meine leibliche Mutter war, durfte ich sie nie besuchen. Auch nicht, als sie krank wurde“, erzählt sie. Ihre Mutter wusste nichts von den Fluchtplänen ihrer Familie. „Ich bin böse auf euch, dass ihr meine gute Nähmaschine nicht mitgenommen hat“, erinnert sich Wetzel an ihre Worte beim berührenden Wiedersehen. Zwölf gemeinsame Jahre blieben ihnen vergönnt, sie hatte ihre Mutti an ihrer Seite, ihre Söhne ihre Omi, die mit 85 Jahren verstarb.
Nach der gelungenen Flucht gab es auch ein Wiedersehen mit ihrer Schwester, die bereits 1958 die DDR verlassen hatte. Sie brachte bei einem Besuch eine Zeitschrift mit, in der über ein Ballonfahrertreffen berichtet wurde. Beim Anblick der Heißluftballons ist Günter Wetzel die Idee gekommen, dass dies eine Möglichkeit wäre, die Grenzanlagen zu überwinden. Bis dahin war es ein langer, nervenaufreibender Weg. Die Familien bauten insgesamt drei Ballons. Der erste erwies sich als ungeeignet, der zweite stürzte beim alleinigen Fluchtversuch der Familie Strelzyks ab. Der dritte, überstürzte Fluchtversuch gelang. Für Petra Wetzel war es ein herzbrechendes Gefühl, ihr Haus, von dem sie innerlich Abschied genommen hat, vermeintlich für immer zu verlassen. Sie war auch fest überzeugt, dass sie ihre Freunde, zu denen auch Steffi König gehört, nie wieder sehen wird. Ihre innige Freundschaft von Kindesbeinen an verbindet sie jedoch bis heute. Steffi König, die in Nentershausen-Weißenhasel lebt und arbeitet, hatte die Idee zu dieser ganz besonderen, einmaligen Kinovorstellung. „Es war mein Anliegen, dass auch hier vor Ort mal etwas ganz Besonderes geboten wird“.
Zwei Familien mit vier Kindern trieben seinerzeit im Nebel über die von Soldaten mit Schießbefehl bewachte deutsch-deutsche Grenze, in panischer Angst, beschossen zu werden. „Das war ihre Aufgabe“ erklärt Petra Wetzel auf Nachfrage ihr Verständnis für die Soldaten, die bei Verweigerung selbst hart bestraft wurden. Sie betont: „Wir hatten viele Schutzengel“. Sie macht deutlich, dass ihre Flucht gar nichts mit Politik zu tun hatte. „In der DDR war nicht immer alles schlecht. Ich hatte eine wunderbare Schulzeit, wurde sehr gefördert, war zwölf Jahre lang Schwimmerin“.
Petra Wetzel ist von dem Film restlos begeistert. Im Gegensatz zu einer Hollywood-Verfilmung aus den 80er Jahren zeige der neue Film „Ballon“, was wirklich passierte. Mit allen dramatischen Momenten, die sie niemals vergessen wird. Sie selbst führte lange Gespräche mit den Drehbuchautoren, besuchte „Bully“ am Set. Obwohl die Ballonfahrt aus dem Jahr 1979 als eine der spektakulärsten DDR-Fluchten im kollektiven deutsch-deutschen Gedächtnis verankert ist und jeder weiß, dass die Flucht gut ausgeht, ist der Stoff des Filmes fantastisch und atemberaubend spannend. „Muss man sehen“, sagt „Bully“ selbst zu seinem Film. Auch ein Filmteam des Hessischen Rundfunks war vor Ort. Ein Sendetermin steht noch nicht fest, der Beitrag sollte aber noch diese Woche in „Maintower“ ausgestrahlt werden. (Gudrun Schmidl) +++