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GIESSEN / SCHLITZ "Zu viele Spekulationen"

Entführungsfall Markus Würth: Angeklagter wird freigesprochen

28.11.18 - Alle Kameras waren auf die Tür im Sitzungssaal 207 gerichtet, als der Angeklagte A. mit zwei Beamten den Raum betrat. Auch am Dienstagmorgen war das Medienaufkommen im Gießener Landgericht groß - das Urteil im Entführungsfall Würth wurde gesprochen: Der 48-jährige Angeklagte A. wurde freigesprochen. Als das Urteil verkündet wurde, weinte der Angeklagte vor Erleichterung.

Freispruch für A. : Große Erleichterung bei ihm und seiner Familie. Foto: Laura Struppe

Nach den Ausführungen des Vorsitzenden der 2. großen Strafkammer waren die vorliegenden Beweismittel und Indizien nicht hinreichend, um die Täterschaft des Angeklagten zweifelsfrei zu belegen. Zwar seien die vernommenen Sachverständigen zu dem Schluss gelangt, dass die Stimme des Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit der Stimme eines Entführers übereinstimme, der telefonisch Kontakt zu der Familie des Geschädigten aufgenommen habe. Die Qualität der zum Vergleich verwendeten Übereinstimmungsmerkmale sei indes nicht hinreichend erforscht, insbesondere in Bezug auf die relevante Vergleichsgruppe.

Zudem sei die Aussagekraft von Sprachgutachten allgemein der Einschränkung ausgesetzt, dass eine Stimme keine wissenschaftliche gesicherte Einzigartigkeit vergleichbar der DNA aufweise. Ein Sprachgutachten sei daher immer in den Gesamtkontext weiterer Indizien zu setzen. Die übrigen in der Hauptverhandlung erhobenen Indizien hätten in ihrer Gesamtheit die Aussagekraft des Gutachtens nicht hinreichend gestützt, zumal sie teilweise auch gegen die Täterschaft des Angeklagten sprächen. Eine Vernehmung des Geschädigten selbst war nicht erfolgt, da dieser aufgrund einer geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, sich verbal auszudrücken.

Der Angeklagte A. bei der Verhandlung. Fotos: Niklas Brumund

Staatsanwalt Frank Späth forderte in seinem Plädoyer dreieinhalb Jahre Haft für ...

Laut Gericht sei es ein "hochspekulativer Bereich" gewesen und habe für eine Verurteilung des Angeklagten nicht ausgereicht. Zwar habe die Polizei so akribische Ermittelungen durchgeführt wie selten zuvor, das Gericht zweifelt aber trotzdem die Täterschaft des Angeklagten an. Er habe zwar Schulden im vierstelligen Bereich und sei womöglich im Goldhandel verstrickt, die Familie weist aber laut Gericht keine finanzielle Notlage auf.

Bei der Begründung ging der Richter auf wichtige Anhaltspunkte ein, die schlussendlich für eine Verurteilung des 48-Jährigen nicht ausgereicht haben. Zum Ersten könne das Opfer, Markus Würth, aufgrund seiner Behinderung keine Auskunft über die Identität, der Personenanzahl oder dem Versteck geben. So entfallen auch Augenzeugen, das Opfer könne sich nur nonverbal äußern - "auch deshalb haben wir auf eine Gegenüberstellung verzichtet". Faserspuren, DNA oder die Email-Auswertung - es gab keinen genauen Bezug zum Verdächtigen. Das Hauptbeweismittel war in diesem Fall die Stimme, worauf die Polizei eine Datenbank mit über 300 Stimmen, die in das Täterprofil passten, anlegte. "Es gab ungewöhnlich viel Material in verschiedenen Stimmungslagen, doch keiner dieser Stimmen klang wie der Täter."

Eine telefonische Verdachtsmeldung brachte die Ermittler auf A.. Dutzende Gespräche von ihm wurden abgehört, die Gutachter sagten vor Gericht, dass der Sprecher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identisch seien. Es gab eine Vielzahl von Merkmalsübereinstimmungen, doch die mangelhafte Qualität verursachte dem Gericht bis zum Schluss große Bedenken. "Die Sprache ist nicht statisch wie die DNA, man bräuchte ein weiteres Beweismittel" - und das liegt in diesem Fall nicht vor. Auch die Glaubwürdigkeit der Aussage von der Zeugin, die die Ermittler auf die Spur von A. brachten, lässt das Gericht zweifeln. "Es sind bloße Mutmaßungen. Sie hat Erinnerungen bekundet, wo keine Erinnerungen da waren. Erst war sie sicher, dann wahrscheinlich sicher und zum Schluss war sie sich überhaupt nicht mehr sicher. Wir haben so entschieden, wie es das Gesetz vorschreibt", so der Richter abschließend.

Vier Tage zuvor wurden die Plädoyers gehalten. Dabei forderte die Staatsanwaltschaft dreieinhalb Jahre Haft für den Angeklagten. Der Nebenkläger-Anwalt plädierte auf erpresserischen Menschenraub, "es ist abscheulich, einen Menschen zu kidnappen", sagte er. Die Verteidigung forderte jedoch Freispruch. "Wir halten unseren Mandanten für unschuldig." Auch A. bestrittt bis zuletzt die Tat.

In Kürze folgt ein Video über die Urteilsverkündung mit Stimmen aus dem Gießener Landgericht Gericht.

Staatsanwalt Thomas Hauburger

Der Entführungsfall Würth:

Angeklagt ist A., ein 48-jähriger Familienvater, der aus dem bosnisch-herzegowinischen Grenzgebiet stammt. Am 17. Juni 2015 soll er den damals 50-jährigen Sohn des Schrauben-Milliadärs Reinhold Würth (Künzelsau) in Schlitz-Sassen entführt haben. Der Mann wohnte dort in einer Lebensgemeinschaft. Einen Tag nach der Entführung wurde Markus Würth an einem Baum gefesselt von Polizeibeamten in einem Waldstück bei Würzburg entdeckt und befreit.

Der Entführer verlangte drei Millionen Euro Lösegeld, die Übergabe scheiterte. Das Opfer ist wegen eines Impffehlers seit seiner Kindheit gehandicapt. Ermittler kamen dem mutmaßlichen Täter dank einer aufwendigen Stimmenanalyse auf die Spur und konnten ihn knapp drei Jahre später im Frühjahr 2018 in einem Hochhaus in Offenbach festnehmen. Eine Frau hatte seine Stimme erkannt. Seitdem sitzt der Mann in Untersuchungshaft und bestreitet die Tat. Die Ermittler gehen von mehreren Tätern aus. (Luisa Diegel) +++


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