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Aktenberge als traurige Kulisse. Der Literaturgottesdienst mit Pfarrerin Imke Leipold berührte. Links im Bild Willi Repnak, der den musikalischen Part übernahm. - Fotos: Gudrun Schmidl

BAD HERSFELD Literaturgottesdienst zur Festspielzeit

Kafkas "Der Prozess" im Mittelpunkt - Lesung, einfühlsame Musik und Predigt

09.07.19 - Weit mehr Besucher als erwartet folgten am Sonntagabend der Einladung von Pfarrerin Imke Leipold zum Literaturgottesdienst in der Bad Hersfelder Stadtkirche. Viele fleißige Hände stellten weitere Stühle im Chorraum des Gotteshauses auf, wo „eine gesegnete Stunde vor Gott“ mit Lesung, einfühlsamer Musik und Predigt gefeiert wurde. „Jedes Jahr laden die Festspielstücke auf besondere Weise ein, in den Gottesdiensten und Predigten Gedanken zu den Stücken zu entwickeln“, betont Imke Leipold. Im Mittelpunkt stand gestern mit „Der Prozess“ Weltliteratur aus der Feder von Franz Kafka, mit dem die Bad Hersfelder Festspiele in diesem Sommer eröffnet wurden.

Imke Leipold erläuterte zusammengefasst den Inhalt des Buches und stellte in einer Kurzbiografie den Schriftsteller vor. Franz Kafka wurde im Jahr 1883 in Prag als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Zeitlebens stand er unter dem Eindruck eines gefürchteten Vaters. Nach abgeschlossenem Jura-Studium arbeitete Kafka als Angestellter bei einer Arbeiter-Unfall-Versicherung. Nachts schrieb er. Kafkas Grundthema ist der ausweglose Kampf des Individuums gegen verborgene, doch allgegenwärtige anonyme Mächte, die sich ihm entgegenstellen.

So wie es Josef K. geschieht, der Hauptperson des Buches „Der Prozess“. Jemand muss Josef K. verleumdet haben. Wer dieser jemand ist, bleibt unbeantwortet. Er wird verhaftet, ist sich verständlicherweise keiner Schuld bewusst. Was folgt, ist der Verzweiflungskampf eines unbekannten Einzelnen gegen einen ebenfalls unbekannten Gerichtshof. Die erfahrenen Leser Sönke Völker und Herbert Janßen aus Bad Hersfeld und Fabian Metz aus Bielefeld lasen ausgewählte Passagen aus dem Buch, so dass auch Zuhörer, die noch nie das Buch gelesen haben, den Inhalt nachvollziehen konnten.

Es folgte die Predigt von Pfarrerin Imke Leipold, die ein Kernthema des Buches aufnahm und dieses Texten der Bibel gegenüberstellte und verglich. Sie schlug einen Bogen zu einem Buch im Alten Testament, das auch wie „Der Prozess“ zur Weltliteratur gezählt wird. Es ist das Buch Hiob. Hiob gilt als reicher und rechtschaffender Mann, fromm und gottesfürchtig, sozial und barmherzig. Und dann plötzlich verliert er alles: Vermögen und Besitz, seine Familie, seine Ehre, seinen guten Ruf. Er ist sich keiner Schuld bewusst.

„Die Parallelen zwischen Josef K. und Hiob sind deutlich: Beide fühlen sich grundlos einer Gerichtsmacht ausgeliefert. Beide stehen sie allein da, niemand unterstützt sie. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Kafkas Figur Josef K. kennt sein Gegenüber nicht. Bei Kafka wird der Alptraum Wirklichkeit, Josef K. stirbt, sein Tod führt zu keiner Versöhnung oder Auflösung. Hiob hingegen kennt sein Gegenüber. Mit seinem Gott kann er deshalb zürnen, hadern, ja ihn anklagen“, vermittelt Imke Leipold. Sie verweist auf den höchsten Feiertag der Protestanten, der Karfreitag. Ein gott-loser Tag, Tag der blanken Gesetzlosigkeit, der Willkür. Jesus schreit und klagt wie Hiob und erhält keine Antwort. Gott meldet sich nicht. „Die Unsichtbarkeit Gottes macht uns kaputt“, hat Dietrich Bonhoeffer einmal geschrieben.

Die erfahrenen Leser v.l. Herbert Janßen, Sönke Völker und Fabian Metz ...

„Bei Kafka wie in der Bibel gibt es die Figur des Türhüters. Bei Kafka gibt es jedoch keine Verbindung zwischen dem Einlass bittenden Menschen und dem Gesetz, zwischen Mensch und Gott“, führt Imke Leipold weiter aus. Hiob, Jesus, Bonhoeffer erzählen von der dunklen Seite allen Lebens. Aber auch von der Hoffnung, vom Licht von der Auflösung aller Rätsel: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“

Bereits am Sonntagmorgen wurde in der Wippershainer Kirche dieser Literaturgottesdienst gefeiert. Am Sonntag, 21. Juli, wird zu einem zweiten Literaturgottesdienst um 18 Uhr in die Stadtkirche in Bad Hersfeld eingeladen. Dann steht Nick Hornbys „A Long Way Down“ im Mittelpunkt. Die Literaturgottesdienste zur Festspielzeit wollen als Einstimmung auch Interesse für die Festspielstücke wecken oder bereits Gesehenes vertiefen. (Gudrun Schmidl) +++


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