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Rabea Lindemann mit dem Betreuerteam - Fotos: Axel Häsler

EBERSBURG/GREMI Spannende Eindrücke

FSJ in Georgien: Rabea Lindemann (19) lebt und arbeitet in Weingut-Community

26.07.19 - Die 19-jährige Rabea Lindemann aus Ebersburg/Schmalnau im Landkreis Fulda macht zur Zeit eine spannende Erfahrung: sie absolviert ein freiwilliges soziales Jahr weit weg von Zuhause. Vor einem Jahr, im Mai 2018 hat sie ihr Abitur an der Rabanus-Maurus-Schule (Domgymnasium) in Fulda absolviert. Im August begann sie dann ihr FSJ in Georgien. Auf die Frage, warum sie ein soziales freiwilliges Jahr mache, sagt sie: „Ich sehe das Jahr als eine Chance, eine mir bisher fremde Kultur und Sprache und damit auch neue Lebens-, Arbeits- sowie Denkweisen kennenzulernen. Ich möchte meinen Horizont erweitern, indem ich nicht nur die mir unbekannte Mentalität hinterfrage, sondern eben auch meine eigenen Ansichten und Handlungsweisen. Zudem finde ich es sehr spannend neue Menschen kennen und verstehen zu lernen. Außerdem kann ich mich und meine Fähigkeiten hier austesten.“

Und warum letztlich die Entscheidung des Ortes für das FSJ auf Georgien und TEMI fiel, erläuterte die 19-jährige so: „Eigentlich wollte ich ganz zu Beginn meiner Idee, ein Auslandsjahr zu machen, nach Australien. Als ich mich dann über die Möglichkeiten dort informiert habe war für mich sehr schnell klar, dass ich dort nicht im Rahmen eines Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) hingehen möchte. Neben Australien kamen für mich noch Südamerika und Südafrika infrage. Im Zuge meiner Recherchen suchte ich sowohl nach diesen Ländern als auch nach einer Organisation mit guter Betreuung. So fand ich meine aktuelle Organisation SDI (Verein für Soziale Dienste International e.V.), bestehend aus ehrenamtlich arbeitenden ehemaligen Freiwilligen, die möglichst vielen jungen Menschen die Chance geben möchten, ein Jahr lang Erfahrungen im Ausland zu sammeln und dabei in einem gemeinnützigen Projekt zu arbeiten. In der Bewerbungsphase habe ich mich neben den Stellen in Südafrika auch mit anderen Einsatzstellen auseinandergesetzt. Ich wollte gerne im sozialen Bereich mit physisch oder psychisch beeinträchtigten Menschen tätig werden, da ich eventuell nach dem Jahr in Richtung tiergestützte Therapie gehen möchte und somit hier herausfinden kann, ob ich mir einen solchen Beruf wirklich als meine zukünftige Arbeit vorstellen kann. Zudem bin ich auf einem Bauernhof groß geworden und mag auch gerne handwerkliche Tätigkeiten beziehungsweise Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Bereich. Die TEMI-Community hier in Georgien ist im Prinzip eine Kombination aus landwirtschaftlicher Arbeit (im Garten, Gewächshaus, auf dem Weinfeld usw.) und sozialer Arbeit (in Gruppen- und Einzelstunden, Mal- und Bastelstunden, Hausaufgabenbetreuung usw.)“.

An der georgischen Weinroute findet man zahlreiche Weingüter. Eines davon ist das Weingut der TEMI-Community in dem kleinen Dorf Gremi, 20 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Telavi. Doch die Besonderheit von Temi ist, dass es sich hier nicht um ein reines Weingut handelt. Die TEMI-Community ist ein Gemeinschafts- und Sozialunternehmen, auf dessen landwirtschaftlichem Anwesen 70 Menschen zusammen leben und arbeiten. Einige von ihnen haben geistige oder körperliche Behinderungen. Andere sind psychisch krank, waren obdachlos oder kamen mit dem Leben in ihrer Umgebung nicht zurecht.

Der Kontakt zu den Bewohnern der Gemeinschaft ist für die Freiwilligen sehr eng. Damit begonnen, das manche von ihnen beim Aufstehen und Anziehen schon Hilfe brauchen. Dafür sind zwar die Pflegekräfte im Einsatz, doch die Freiwilligen unterstützen sie bereits auch morgens dort, wo sie können. Tagsüber gibt es generell ein paar feste Zeiten, wie 9.30 Uhr Frühstück, 13.30 Uhr Mittagessen, 18.30 Uhr Abendessen, um 15.00 Uhr den Nachmittagsspaziergang und um 19.30 Uhr Abendsingen. Ansonsten sind sie sehr frei in der Zeiteinteilung. Meisten gibt es von 11.00 Uhr bis 13.00 Uhr Gruppen- und Einzelstunden. Nach dem Nachmittagsspaziergang gehen sie oft zur Arbeit in den Garten und das Gewächshaus. Vom Ansäen von Salat und dem Stopfen von Knoblauch über das Ausgeizen der Tomatenpflanzen bis hin zur Bohnenernte fallen hier immer verschiedene Tätigkeiten an. Sie kümmern sich um den Anbau der Pflanzen und ihre Pflege. Dabei verbinden sie die soziale Arbeit gerne mit den gärtnerischen Tätigkeiten, indem sie die Leute aus der Community mit einbinden.

Auch im Weintourismus haben die Freiwilligen jeden Schritt der Weinproduktion mitgemacht. Im Spätsommer haben sie auf den Weinfeldern bei der Weinlese mitgearbeitet. In den darauf folgenden Wochen haben sie beim Befüllen der Kvevris geholfen. Das ganze Jahr über sind sie damit beschäftigt, den fertigen Wein in Flaschen abzufüllen, zu verkorken und die Weinflaschen per Hand zu etikettieren, um sie dann im eigenen Laden an Touristen zu verkaufen. Ebenfalls bieten die Freiwilligen Führungen für Interessierte Besucher auf Englisch, Deutsch oder Russisch und Degustationen an.

In wenigen Tagen endet das Freiwilligenjahr für Rabea Lindemann in Georgien. Nun ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, was ihr an dem Land im Kaukasus gefallen hat und womit sie persönlich nicht so einverstanden war: „Das Erste, was mich begeisterte, war die georgische Musik und der Gesang, den ich wunderschön finde. Ob auf Autofahrten, im Restaurant oder auf von uns Freiwilligen besuchten Weinmessen, überall wurde gesungen und häufig kannten die umherstehenden Leute die gleichen Lieder und stimmten mit ein. Ebenfalls begeistert mich die sehr abwechslungsreiche Landschaft. Die Bergregionen sind im Sommer wie im Winter wunderschön mit den hohen meist bewaldeten Bergen und den vielen Tier- und Pflanzenarten. Die Landschaft ändert sich drastisch innerhalb weniger Kilometer und jede hat ihren eigenen einzigartigen und bezaubernden Charme. Außerdem gefällt mir die Hilfsbereitschaft und Offenheit der Georgier Fremden gegenüber. Wenn man nach dem Weg fragt, bekommt man im Allgemeinen nicht nur eine Antwort, sondern oft sogar eine Einladung zum Essen mit der Familie. Außerdem wird man, sei es beim Minibus fahren oder beim Essen kaufen am Straßenstand, häufig in Gespräche verwickelt, die nicht selten sehr unerwartete Wendungen nehmen (spontaner gemeinsamer Besuch eines Weinfestivals oder sehr reflektierte Gespräche über die georgische Politik und Gesellschaft).

Gastfreundschaft wird hier sehr groß geschrieben und viele der Menschen begegnen einem mit Herzlichkeit. Was ich kritisch hinterfrage, ist der Umgang mit physisch und psychisch beeinträchtigten Menschen sowie der Stellenwert der Frau und das Rollenbild von Männern und Frauen in der georgischen Gesellschaft. Beides ist meiner Meinung nach so, wie es bei uns in Deutschland vor noch nicht allzu vielen Jahren war und ich empfinde es als veraltet. Daher fällt es mir in manchen Situationen schwer, den Traditionen im Wissen, dass dabei Frauen diskriminiert werden, zu folgen. Weiterhin sieht man hier viel häufiger die Nationalflagge in der Öffentlichkeit, als dies in Deutschland der Fall ist. Genannte, mir sehr auffallenden Punkte sind aufgrund der Geschichte Georgiens nur allzu gut verständlich, trotzdem fallen sie mir etwas negativ auf. Und zwar nicht in dem Sinne, dass der Patriotismus hier super stark ausgeprägt wäre, sondern einfach, weil ich es aus Deutschland in dieser Form nicht gewohnt bin und mir Patriotismus aufgrund der deutschen Geschichte ein etwas mulmiges Gefühl im Bauch gibt“, so Rabea Lindemann abschließend. (Axel Häsler)+++


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