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21.02.09 - Bad Neustadt

Mobbing und Selbstmord - Theater an Werner-von-Siemens-Realschule

„Da ging langsam die Tür auf und der Direktor kam herein. Und dann kam Alex. Der kam auch ganz langsam. Die Pistole hat man zuerst gesehen und dann den Alex.“ – Tief unter die Haut ging das Theaterstück in der Werner-von-Siemens-Realschule, das die Themen Gewalt, Mobbing und Bullying (engl. tyrannisieren) unter Jugendlichen zum Thema hatte. Der Schulleiter Peter Lukes hatte das Tourneetheater Radiks aus Berlin in seine Schule eingeladen.

„Und dann kam Alex“ entstand in Zusammenarbeit mit Psychologen, erfahrenen Pädagogen sowie dem Bundesverband Mediation und bietet einen fundierten Beitrag zum Thema Gewaltprävention.

Dem Stück liegt zwar nur ein fiktiver Fall zugrunde, doch er hätte ähnlich so passiert sein können. Der 17-jährige Schüler Alex B. (Tancredi Volpert) wurde nach eigenen Aussagen über Jahre hinweg von Mitschülern gemobbt und gedemütigt. Um diesen zu imponieren, schlägt er – als Mutprobe – einen wehrlosen älteren Mann. Alex weiß nicht, dass seine „Mutprobe“ gefilmt und per Handy an andere Mitschüler gesendet wurde. Das Video wird zufällig von Lehrern der Schule entdeckt: das Schicksal geht seinen Lauf. Alex flüchtet, dringt am nächsten Tag bewaffnet in die Schule und will erzwingen, dass die Mitschüler gestehen, ihn gezwungen zu haben, den Mann zu schlagen. Er, Alex, tut dies, um „endlich Ruhe vor denen“ zu haben. Sein Vorhaben misslingt. Nachdem er mehrere Stunden mit einigen Geiseln in einem Klassenraum verbracht hat, beschließt er sich das Leben zu nehmen.

Hier setzt das eigentliche Stück an: Alex beginnt zu erzählen. In der Art eines brechtschen Stationendramas führt Alex in seine Welt, die einerseits geprägt ist durch die Suche nach Nähe und Anerkennung, andererseits aber durch Sprachlosigkeit und Ignoranz. In kurzen prägnanten Szenen schildert Alex sein Verhältnis zu seinen Eltern, spricht über seine Wünsche und Ängste. Aber auch andere kommen zu Wort: eine Jobvermittlerin, die Sekretärin der Schule und eine Mitschülerin seiner Klasse. Für sie schlüpft Judith Grassinger in stetig wechselnde Rollen.

Die Mitschülerin stachelt auf: „Fies ist, einem anderen auf die Stirn zu spucken und zu fragen, warum er denn so schwitze. Noch fieser sei es, eine Oma die Treppe runterzuschubsen und dann scheinheilig nachzufragen, warum denn so schnell unterwegs sei. Das Oberfieseste? Einen Blinden an die Litfasssäule zu stellen und dann empfehlen, immer an der Wand lang zu gehen.“ Alex schneidet Themen an, die häufig in Zusammenhang gebracht werden mit Jugendgewalt: Beziehungslosigkeit innerhalb der Familien; Lehrstellenmangel und Perspektivlosigkeit; Gewaltdarstellungen in den visuellen Medien; Zugang zu Waffen; Drogen- und Alkoholkonsum.

Alex zeigt sich aber auch als ganz normaler Junge, der Gedichte mag und besonders zu Rilke einen Zugang findet. „Herr, es ist Zeit, der Sommer war groß“ und „wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“ Das bedeute doch bloß, eine Chance gehabt zu haben, die aber sei vorbei. Der eigene Vater hat ein Haus, klar doch, aber genau besehen hat er doch keins. Kein Zuhause eben, wie es der Sohn gerne hätte. Denn so werden wie der Vater will er keineswegs.

Überdeutlich wird die sehr zweischichtige Anlage der Figur „Alex“. Denn er wird einerseits als Opfer geschildert und andererseits als Täter; ist zugleich aber auch als Erzähler und Vermittler des ganzen Geschehens. Diese Täter-Opferbeziehung war es auch, die in der anschließenden Diskussion zu recht kontroversen Beiträgen führt. Die Kulisse des Theaters war eine schlichte helle Leinwand, die von einer immensen Blutspur zeugte. Was könnte hier geschehen sein? War alles in Wirklichkeit nicht doch noch viel schlimmer? Oder war sie nicht doch „nur“ ein Symbol für Gewalt, von Autor Karl Koch eben so gewollt?

Das Ensemble „Radiks“ wurde im Dezember 2003 in Berlin durch den Schauspieler und Regisseur Karl Koch ins Leben gerufen, der auch die Leitung des Ensembles innehat. Eine der primären Intentionen unseres Ensembles ist es, das Theater sozusagen „nach Hause“ zu bringen, das heißt, niveauvolle Theaterkunst auch in Orte zu tragen, die über kein eigenes festes Theaterhaus verfügen. Der etwas ungewöhnliche Name „Radiks“ ist eine Reminiszenz an den russischen Dichter Daniil Charms, der im Jahre 1927 in Leningrad eine Theatergruppe gleichen Namens mitbegründete und dessen Drama „Elizaveta Bam“ die erste Produktion des Ensembles war. Und der eigenwillige Dichter Charms hinterließ wohl auch Spuren bei den Ensemblemitgliedern. (ger, Foto: Partl) +++

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