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14.10.04 - Fulda

Messe vor 100 Jahren - "Wanderungen durch Gewerbeausstellung Teil Vier"

Vor genau 100 Jahren fand in Fulda die erste Gewerbeausstellung statt - die Vorläuferin der "Osthessenschau" sozusagen. Damals präsentierten sich heimische Unternehmen und Handwerksbetriebe, es gab allerlei Platzkonzerte, Opernaufführungen, Feuerwerk und einen Vergnügungspark. Und die erste Messe in der Stadt Fulda fand in der Orangerie und im angrenzenden Schlosspark statt und lief - für heutige Verhältnisse - recht lange: vom 2. bis 31. Juli 1904.

Im Lokalblatt wurde umfangreich berichtet - nicht nur in nachrichtlicher Sachlichkeit, sondern auch in lockerer Form und aus persönlicher Sicht. Dazu beschrieb ein Reporter den - vermutlich fiktiven - "Bummel zweier Freunde" über die Gewerbeausstellung. Der Geschäftsführer der "Osthessenschau" und langjährige Messe-Profi Dieter Udolph, der sich für historische Schilderungen in alten Zeitungen begeistert, stieß auf diese ergötzlichen Texte und stellte sie "osthessen-news" zur Verfügung.

Deshalb können Sie nun täglich - bis zum kommenden Sonntag - die originalen Berichte "Wanderungen durch die Gewerbeausstellung" in sieben Teilen lesen. Und vergleichen, wie viel (oder wie wenig) sich geändert hat seit 1904. Heute am Donnerstag, 14. Oktober, der vierte Teil.

"Wanderungen durch die Gewerbeausstellung - Vier"

Bei unserem dritten gemeinsamen Besuche der Gewerbeausstellung verfuhren wir nach dem Rezept, welches mein Freund Juliuas bei seinen drei Solovisiten befolgt hatte - wir gingen, ohne uns um all' die schönen Sachen, die rechts und links am Wege standen, zu kümmern, direkt auf das "Bratwurstglöckle" los, wo wir bekanntlich unsere zweite Wanderung beendet hatten.

Es war ein guter Gedanke des "Kaiserhof"-Restaurateurs Alfred Kramer, Fulda, eine getreue Nachahmung des weltbekannten Nürnberger "Bratwurstglöckle" auf dem Ausstellungsterrain zu errichten und einer Reihe von Gewerbetreibenden Gelegenheit zu geben, in und an demselben ihre Ausstellungsobjekte anzubringen. Das Bratwurstglöckle bietet so gewissermaßen eine kleine Ausstellung für sich allein, dazu kommt noch (was die Hauptsache ist) eine gute Versorgung mit Speise und Trank - kein Wunder, daß da die Besucher der Gewerbeausstellung so gerne hier einkehren und lange verweilen. Man begreift es, daß der behäbige Rentner und Junggeselle Julius bei seinen Besuchen nie weiter in die Ausstellung hineingekommen war; wie Frau Fama wissen will, soll es solcher Juliusse noch mehr geben.

Die Einrichtung des Bratwurstglöckle ist, wie schon gesagt, von dem Restaurateur Alfred Kramer besorgt, ebenso die zahlreichen die Geschichte unserer Stadt und unseres Landes betreffenden Bilder und Kunstgegenstände, mit denen das Innere ausstaffiert ist. Der Entwurf stammt von dem Ingenieur Köhl, Fulda, die Zimmerarbeit lieferte der Zimmermeister Oskar Mohr, Fulda, die Bautafeln der Bauunternehmer Ferdinand Frank, Fulda, die Schreinerarbeiten (Haustüre, Buffet, Holzdecke ec.)der Schreinermeister W. Plappert, Fulda, den Steinholzfußboden die deutsche Steinholzindustrie von Schmidt & Brenner, Hanau, die aus sogenannten Biberschwänzen hergestellte Bedachung die Firma Jak. Heim Witwe, Fulda, die Schlosserarbeiten der Schlossermeister J. Böschen, Fulda (Türbeschlag und Arm für die Glocke) und der Schlossergeselle Bruno Großenbach,Fulda (Kronleuchter), die Anstreicharbeiten der Dekorationsmaler Jean Kramer, Fulda, die Verglasung die Kunstglaserei H. Leinweber, Fulda, die Stuckarbeiten der Stuckateur Ferd. Oestreich, Großenlüder, die Installation und das Buffet der Spengler und Installateur Jos. Kalb, Fulda, die Terrazzo-Arbeit der Mosaikarbeiter P. Pellarin, Fulda und den Tonofen der Tonwarenfabrikant Karl Kramer, Fulda.

All' diese Arbeiten stellen durchweg anerkennenwerte Musterarbeiten ihrer Art dar und vereinigen sich zu einem harmonisch wirkenden Ganzen. Es würde zu weit führen, wenn ich hier mich in der Schilderung der Einzelheiten einlassen wollte; ein von Herrn Kramer den Gästen gewidmeter Führer gibt uns Auskunft über die einzelnen Arbeiten und historische Angaben über die Bilder, mit denen die Wände geziert sind.

Nachdem wir alles genau in Augenschein genommen, hielt ich es für gut, auch dem inneren Menschen etwas zukommen zu lassen; seltsamerweise stellte mein Freund sich an, als ob er jetzt gar kein Bedürfnis zu Speis und Trank habe. "Ich habe mich schon satt gesehen!" sagte er doppelsinnig; dabei hatte er, während ich mir von dem liebenswürdigen Wirte die hervorragenden Gegenstände erklären ließ, heimlich stehenden Fußes sich wiederholt mit einem Gläschen Bier gestärkt. Nach einigem Sträuben ließ er sich doch herbei, "gesellschaftshalber" eins mitzutrinken oder auch zwei.

Trotz der schwülen Temperatur, die da draußen und da drinnen herrschte, war das Bier schon abgekühlt, so wie die Kenner es lieben. Dieser Umstand war für Julius ein Anlaß, mit dem Wirt ein Gespräch über die Kellerverhältnisse des Bratwurstglöckle anzufangen, und da erfuhr er, daß die angenehme Kühle des Bieres erzeugt wird durch eine in der benachbarten Halle aufgestellte Kohlensäure-Kühlmaschine, die von der Maschinen- und Bronzewarenfabrik L.A. Riedinger AG, Augsburg, ausgesetellt ist. "Um dieses Wunderding zu sehen, beschloß er in die Hall zu gehen", zitierte Julius frei nach Schiller und zog mich mit sich fort.

Eine größere Anzahl von Wagen und Maschinen aller Art, nebst Zeichnungen, Plänen und andere für Kenner und Fachleute sehr interessante Dinge. Außer der genannten Firma haben hier ausgestellt die Firmen: Fink und Schäfer, Fulda, Schmiedemeister und Wagenbauer - Jean Müller, Altenhaßlau, Wagenbauer - Theodor Spiegel, Hilders, Schmiedemeister und Wagenbauer - Fr. Louis Vogt, Kassel, Eishäuser und Kühlräume - Jerome Schüßler, Hersfeld, Kupferschmiedemeister - Otto Lieberknecht, Eschwege, Wagenbauer - Viktor Wagner, Kassel - Georg Börner, Hersfeld, Dachdeckermeister - Wilh. Lauer, Kirchhain, Schmiedegeselle u.a.

Als wir nach Besichtigung all dieser Gegenstände heraustraten, sahen wir die Vorkehrungen für die Viehausstellung, was meinen Freund zu dem klassischen Ausspruch veranlaßte: "So viel Rindvieh, wie morgen hier sein wird, hat der Schloßgarten noch nie gesehen!" - Ich hätte ihm gerne widersprochen, zog es aber doch vor, für heute zu schweigen.

Als ich am Sonntag nachmittag meinen Freund abholen wolte, um die gemeinsamen Wanderungen durch die Gewerbe-Ausstellung fortzusetzen, erklärte er mir kurzweg, er werde nicht mitgehen, erstens wegen der Hitze und zweitens, weil es Sonntag sei. Auf meine Erwiderung, daß ein Besuch der Ausstellung doch keine Entheiligung des Sonntages sei, geriet er ins Feuer und hielt mir eine gründliche Standrede über die Sabbatschändung im allgemeinen und die Sabbatschändung der Zeitungsschreiber insbesondere. Er redete so eindringlich, dass ich ganz zerknirscht ihm versprach, an diesem Sonntage nichts über die Ausstellung zu schreiben. Nun wissen die verehrten Leser und Leserinnen, warum gestern kein Artikel über die Gewerbeausstellung in der Zeitung stand.

Am Montag Mittag machten wir uns dafür desto früher ans Werk. Durch die Maschinenhalle, die wir beim letzten Besuch besichtigt hatten, traten wir in die Haupthalle und standen dann - wie jeder Esel zwischen den Heubündeln - und wußten nicht, ob wir uns zuerst nach rechts oder nach links wenden sollten. Während Julius über die Lösung dieser schwierigen Frage nachdachte, besichtigte ich schon die von dem Glasermeister Karl Traut, Fulda, ausgestellten verschiedenfarbigen Glasbausteine und altertümlichen Fenster. Die Entscheidung fiel dann zu Gunsten der großen Halle aus, deren linke Seite sofort "beaugenscheinigt" wurde. Die große Anzahl von Stahlwaren und Küchengeräte von Ed. Pauls, Solingen, fanden als "Hausfrauen-Artikel" wenig Gnade in den Augen meines ehescheuen Freundes; mehr Verständnis hatte er für die von der Brot- und Feinbäckerei Joseph Gies, Fulda, ausgestellten Backwaren, denn "gut essen und gut trinken ist die beste Lebensphilosophie", lautete sein Wahlspruch.

Die gerade gegenüberliegende reichhaltige Ausstellung der Fuldaer Actiendruckerei (zwei Druckmaschinen in Betrieb und zahlreiche Drucksachen aller Art) konnten wir übergehen, weil wir beide all diese Dinge schon vorher genau kannten. Etwas länger weilten wir dafür bei den von der Fuldaer Gasglühlichtfabrik Karl Schmidt, Fulda, ausgestellten Gegenständen: Glühkörper, Gasglühlichtbrenner, Lampen usw. Die besonderen Vorteile der verschiedenen Neuheiten auf diesem Gebiete wurden uns von dem Aussteller bereitwilligst erläutert. Dann kamen die Malerarbeiten der Fuldaer Meister Philipp Neidhardt und Wilhelm Wehner an die Reihe, deren künstlerische Komposition und vollendete Technik Julius mir in längerem Vortrage erläuterte.

Als ich ihn, um seinem Redestrom ein Ende zu machen, daran erinnerte, daß jener berühmte Maler Altgriechenlands einem unberufenen Kritiker seiner Werke zurief: "Schuster, bleib' bei Deinem Leisten!" erklärte er in stoischer Ruhe: "Gut, gehen wir zu den Schuhwaren über." Die von den Schuhmachermeistern Thomas Lammeyer, Fulda, Otto Steinmetz, Marburg, Wilhelm Storch, Kassel, Hermann Lange, Hersfeld, Ludwig Quentel, Hersfeld, Justus Rudolph, Remsfeld, Schumacher-Innung, Kassel, Joh. und Friedr. Thiel, Hebel und Jean Vogler, Fulda, ausgestellten Arbeiten boten durch ihre Mannigfaltigkeit sowohl wie auch durch die Vortrefflichkeit ihrer Ausührung uns reichlich Gelegenheit zur Unterhaltung über die Frage, wo uns der Schuh drückt, wobei ich u.a. erfuhr, daß dieses Uebel von den Junggesellen ebenso häufig und sogar noch bitterer empfunden wird, als von den geplagten Ehemännern.

Nachdem wir den Ausstellungsobjekten der Firmen: H.Chr. Schack, Buchdruckerei Fechenheim, Ernst Engelmann, Buchbinderei in Kassel und Eduard Höhl, Buchdruckerei in Hersfeld die geziemende Beachtung geschenkt, zogen die künstlerischen Leistungen der Friseure und Perückenmacher unsere Aufmerksamkeit an, um so mehr, als wir beide - Dank unseres wohlerhaltenen und reichlichen Haarwuchses - uns gestehen mußten, auf dem Gebiete dieser Kunst in Unkenntnis und Unerfahrenheit mit den Botokaden und Eskimos wetteifern zu können. Die von den Friseuren Karl Bott, Fulda - Theresia Arnd, Fulda - Oskar Hartmann, Fulda - Martin Haas, Hanau und Alois Nitsche, Kassel ausgestellten Perücken und Haararbeiten aller Art betrachteten wir deshalb mit demselben Wohlgefallen, wie das kleine Mädchen, welches gerade mit uns dort zusammentraf und in der Puppe mit "echtem Haar" den interessantesten Gegenstand der ganzen Ausstellung gefunden zu haben glaubte, während ihr Brüderchen in dem gegenüber ausgestellten großen Pferde den "Clau" sah. Dieses Pferd, angeschirrt in einem hübschen Break, ist nebst zwei Paar eleganten Geschirren und verschiedenen Geschirrteilen von dem Sattlermeister Franz Kircher, Fulda ausgestellt.

Da wir nicht zu den Vielbeneideten gehören, die im eigenen Wagen fahren können, hielten wir uns hier nicht weiter auf, sondern wandten uns wieder nach der linken Seite, von wo uns die von den Fuldaer Metzgermeistern Joseph Hambach, Franz Schultheis und Joseph Schwarz ausgestellten Fleisch- und Wurtstwaaren entgegenlachten. Besonders die von F. Schultheis hergestellten Pasteten, Aepfel und sonstigen feinen Wurstwaren erregten unsere Bewunderung und reizten unsern Gaumen; mein Freund - als Junggeselle - interessierte sich noch besonders für die Schinken- und Fleischkonserven in Blechdosen, in denen J. Hambach und Jos. Schwarz reichliche Auswahl bieten.

Weiter führte uns der Weg zwischen den hübschen Bade- und Waschzimmer-Einrichtungen, von Installateur Karl Knips, Fulda ausgestellt, und den Konditorwaren von Heinr. Überholz, Fulda mit den gefüllten Mehlsäcken des Mühlenbesitzers Gregor Herzig, Fulda im Hintergrunde hindurch zu dem vom Schlossermeister Franz Ruppel, Fulda ausgestellten Salonspiegel, der mit Recht die Bewunderung aller Besucher der Ausstellung erregt. Mein Freund, der wie alle Hagestolze etwas eitel ist, stellte sich vor den Spiegel und sprach dann halblaut vor sich hin: "Lieber Gott, ich danke dir, daß es noch schöne Menschen auf der Welt gibt!"

Da die Zeit drängte, konnten wir den Backwaren des Bäckermeisters Jos. Traut, Fulda, den Konditorwaren von Leonhard Rottler, Fulda und sogar dem Heidelbeerwein von Joh. Happel in Wüstensachsen nur flüchtige Blicke widmen, um uns den von der Baumwollwaarenfabrik Richard Schmitt, Fulda ausgestellten Spezialitäten: Neuheiten in echtfarbigen Kleider-, Blusen- und Schürzenstoffen zuzuwenden, weil das wieder Dinge waren, für die uns jede Spur von Verständnis fehlte. Naturgemäß wußten wir desto mehr darüber zu sprechen und zu kritisieren, was Julius nie unterlassen kann, wenn es sich um "Weibersachen", wie er sich auszudrücken pflegt, handelt. Die von der mechanischen Strickerei G. Wolpert, Fulda in Betrieb vorgeführte Strickmaschine hielt er aus demselben Grunde nicht für besichtigungswert, während mir die Sache sehr interessant vorkam.

Die sehr reichhaltige Ausstellung der Telephon- und Telegraphenwerke Stöcker & Co. in Leipzig-Plagwitz wurde dann eingehend besichtigt und Julius erklärte mir den Zweck all der verschiedenen Apparate, die da zu Signal - und Kontrollzwecken und zu allerlei andern nützlichen und notwendigen Dingen gezeigt werden. Auch die auf der gegenüberliegenden Seite über einen Raum sich ausdehnende Ausstellung der Fuldaer Gummiwerke fand die gebührende Beachtung, nicht minder zum Schluß noch die von der Firma Kircher-Makorn zur Ausstellung gebrachten Nähmaschinen und Fahrräder, unter denen uns besonders eines imponierte, welches seit vier Jahren tagtäglich in Gebrauch gewesen ist, ohne daß es einer Reparatur unterzogen werden mußte. Ich habe mir die Marke gemerkt für den Fall, daß ich in meinen alten Tagen auch noch unter die Radfahrer gehen sollte, es ist Dürrkopps Diana. Während ich mir diesen Namen notierte, war Julius plötzlich verschwunden - wahrscheinlich hatte er Durst bekommen ! - und so mußte ich denn für diesmal meine Wanderung abbrechen. +++

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