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Für seinen unermüdlichen Einsatz für die Jüdische Gemeinde in Fulda wurde Oberbürgermeister a. D. Dr. Wolfgang Hamberger im Januar 2015 geehrt. Laudator war damals Professor Nahum Rakover. - Fotos: Matthias Witzel (5), ON-Archiv

FULDA Das haben Sie noch nicht von ihm gewusst!

Erhellendes Interview mit Dr. Wolfgang Hamberger zum 90. Geburtstag - Teil 2

26.08.20 - Seit Wochen haben wir uns in der O|N-Redaktion Gedanken gemacht, wie wir den verdienten Oberbürgermeister a.D. Dr. Wolfgang Hamberger zu seinem 90. Geburtstag angemessen würdigen können. Trotz - oder gerade wegen seines hohen Alters hat er so viel Interessantes und Wissenswertes über seine Wahlheimat Fulda und seine eigene Vita zu berichten. Wegen der leider allgegenwärtigen Pandemie haben wir dafür seine Tochter Jutta um Hilfe gebeten.

Der Jubilar mit seinen beiden Enkelinnen Ntebaleng (links) und Reitumetse (rechts) ...Foto: Walter M. Rammler

Festakt am 2. Juli 2017 anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Jüdischen Gemeinde ...

Als Germanistin, die im Verlagswesen tätig ist, und Tochter war sie die Idealbesetzung für ein außergewöhnliches Interview, das den "Glücksfall für Fulda" in anderem Licht zeigt. Lesen Sie Hambergers klarsichtige Rückschau auf ein reiches Leben in und für Fulda, das wir wegen seiner Fülle in zwei Teile gegliedert haben. Hier folgt nun der zweite Teil des spannenden Interviews. 

O|N: Neben dem sehr zeitintensiven politischen Tagesgeschäft war Ihnen der Kontakt zu ehemaligen jüdischen Mitbürgern in aller Welt immer ein Herzensanliegen. Sie haben darauf viel Energie und Herzblut verwendet. Wie kam es zu diesem ganz besonderen Engagement, was war dafür die "Initialzündung"?

Dr. Wolfgang Hamberger: Die eigentliche "Initialzündung" fand schon in meiner Kindheit statt. Ich bin in einem christlichen, aber sehr offenen und toleranten Elternhaus aufgewachsen. Besonders meine Mutter hat uns Kindern Respekt vor anderen Menschen und deren Glauben vermittelt. In unserer Nachbarschaft wohnten einige jüdische Familien, viele wohlhabend, und so konnten viele sich die Flucht aus Nazi-Deutschland erkaufen. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ein schrankgroßer Koffer auf der Straße stand, darauf in großen Buchstaben das Wort "Montevideo". Ich fragte meinen Vater, was denn das alles zu bedeuten habe, und er erklärte mir, dass die Familie Deutschland verlasse, verlassen müsse, und wohl nach Uruguay auswandere. Auch wenn ich ein Kind war, hat mich das doch sehr beschäftigt.

Jahre später, in den Monaten der amerikanischen Besetzung unseres Hauses 1945/46, sprach ich über die Verbrechen des NS-Regimes auch mit den US-Soldaten und Offizieren. Einer von ihnen war ein ehemaliger deutscher Jude, der auf Seiten der Amerikaner Hitler-Deutschland bekämpfte. Jonathan hieß er … Deutsch sprach er aus Prinzip nicht mehr, und ich brauchte lange, bis er mir mein ehrliches Interesse an ihm und seiner Geschichte und meine Abscheu vor den Verbrechen der Nationalsozialisten abnahm. Ja, auch Jonathan war sicher eine "Initialzündung" für mich.

Als ich mich in den 1980er Jahren mit den Plänen beschäftigte, die vorsahen, an der Kreuzung von-Schildeck-/Rangstraße, wo die ehemalige jüdische Schule stand, einen Kreisel zu bauen und dafür das Gebäude abzureißen, dachte ich nur: "Das geht nicht, das geht einfach nicht. Das ist das letzte Gebäude, das einst der Fuldaer Jüdischen Gemeinde gehört hat. Das können wir nicht abreißen." Zumal Fulda mit einer solchen Aktion ja schon einmal negativ in der Weltpresse gewesen war…

Sie spielen auf den Bau des Hauptzollamtes auf dem ehemaligen Jüdischen Friedhof an …

Wenig einladend: Die Kellertreppe zum Gedenkraum im Hauptzollamt

Gedenkraum im Keller des Hauptzollamtes

Richtig. Das war unsäglich. Offenbar war sich damals niemand in der Verwaltung der historischen Verantwortung bewusst. Der Gedenkraum im Hauptzollamt ist nur ein kleiner Ersatz für das, was da zerstört wurde. Für mich war also klar: Es ist an der Zeit, sich endlich dem Thema Jüdische Gemeinde in Fulda ernsthaft und ausführlich zu widmen. Ungefähr zu der Zeit kam aus Jerusalem die Anfrage seitens des Sohns von Leo Cahn, dem letzten Fuldaer Rabbiner, ob Fulda sich an den Kosten für den Bau einer neuen Jeschiwa beteiligen könne. Man wolle diese nach der alten orthodoxen Tradition der Fuldaer Gemeinde führen. Ich dachte nach und fand, ja, das machen wir. Aber mir war auch klar: Als erstes müssen wir der Bevölkerung klarmachen, welches Kapitel der Fuldaer Geschichte die hiesige Jüdische Gemeinde geschrieben hat.

War denn in der Bevölkerung bekannt, dass es diese Gemeinde gegeben hat?

Eben nicht! Oder kaum. Ich habe damals die Aktion "Schalom" gegründet: Die Idee dahinter war, dass sich Schulen, Unternehmen, Vereine, Verbände etc. überlegen, wie sie an die Jüdische Gemeinde erinnern können. Und bei der Gelegenheit sollten sie Geld sammeln für die Jeschiwa. Das ist auf fruchtbaren Boden gefallen.

Das Zentrum der Jüdischen Gemeinde Fulda heute mit der Synagoge im Obergeschoss ...

Das frühere Rabbiner-Haus in der Von-Schildeck-Straße

Und wie kam es dazu, dass der Kreisel nicht gebaut und die Schule nicht abgerissen wurde?

Das war für mich zentral. Wir machen etwas aus dem ehemaligen Schulgebäude, wir schaffen hier einen Erinnerungsort der Jüdischen Gemeinde. Mit einer kleinen Synagoge und einem Versammlungsraum. Und wenn das steht, dann laden wir die ehemaligen Fuldaer Juden nach Fulda ein.

Solche Einladungen hatten andere deutsche Städte ja auch schon ausgesprochen …

Schon, aber nicht so, wie wir es vorhatten. Üblich war, dass man eine kleine Gruppe von 20 bis 25 Menschen einlud. Wir aber wollten alle erreichbaren ehemaligen Fuldaer Juden einladen. Alle! Nicht nur eine Auswahl. Ich habe mir immer gesagt: Das ist ja auch für die ehemaligen Fuldaer Juden eine Begegnung unter sich, sie sind heute in der ganzen Welt verstreut und kommen hier nochmals zusammen.

Wie waren die Reaktionen auf die Einladungen?

Einige haben gesagt, wir sind doch viel zu alt, um so eine Reise zu machen. Wir haben sofort reagiert und gesagt, bringen Sie gern eine Begleitperson mit, die Ihnen behilflich ist, und die ist natürlich genauso eingeladen. Es haben sich sehr viele gemeldet. Dann haben ich alles mit dem hessischen Rabbiner abgestimmt.

Was genau musste abgestimmt werden?

An erster Stelle musste die Frage der Verpflegung geklärt werden. Es gab ja niemanden in Fulda, der koscher kochte. Ich hatte bereits die Lufthansa als Partner gewonnen. Die boten auf ihren Flugreisen koscheres Essen an, ich wusste also, die können das. Der Rabbiner war noch nicht ganz überzeugt und erklärte mir, das so vorbereitete Essen müsse dann aber auch in Fulda koscher zubereitet werden. Und er müsse überprüfen, ob alles den jüdischen Regeln entspräche. Der hiesige Partner wurde dann das Kolpinghaus.

Wissen Sie, es ging doch darum, verschiedene Dinge zu einem großen Ereignis zu kombinieren: Der Plan mit dem Kreisel wird eingestampft, wir schreiben einen Wettbewerb aus für den Umbau des Gebäudes, möglichst viele Fuldaer werden an den Kooperationen und Aktionen beteiligt und machen etwas zugunsten der Jüdischen Gemeinde und zur Einweihung des neuen Gebäudes laden wir die ehemaligen Fuldaer Juden ein.

Der Jüdische Friedhof in der Edelzeller Straße

Festakt für die jüdischen Gäste im Mai am 3. Mai 1987 im Schlosstheater ...Foto: Stadtarchiv Fulda/Hubert Weber.

Das klingt ja fast so, als ob die zweite Idee neben der Erinnerung der Aufbau einer neuen Jüdischen Gemeinde gewesen sei.

Ja, natürlich. Erinnern allein reicht nicht. Mir war wichtig, dass es in Fulda wieder jüdisches Leben gibt. Die Aktion Schalom lief sicher über ein Jahr, kongenial koordiniert von Walter Sander. Der hat das am Brennen gehalten. Und so konnten wir in Fulda eine Jüdische Gesellschaft gründen, die nachher in der Deutsch-Jüdischen Gemeinschaft aufgegangen ist. Die Federführung habe ich damals Frau Strupp anvertraut. Die hat das großartig gemacht.

Wie viele kamen dann letztendlich?

Es waren 300 oder 400 Leute. Es gibt ja auch eine Dokumentation über dieses Treffen im Jahr 1987. Einige Gäste habe ich übrigens selbst in Frankfurt am Flughafen abgeholt. Eine alte Frau sagte mir: "Sie haben mir einen Dorn aus dem Fleisch gezogen", das hat mich sehr bewegt. Das Treffen hat bei allen Beteiligten tiefen Eindruck hinterlassen. Es war schön und schmerzlich zugleich, alle freuten sich über die vielen Begegnungen, viele besuchten ihre alten Häuser und gingen auf Spurensuche.

Im Vorfeld hatten wir auch den Jüdischen Friedhof an der Edelzeller Straße überprüfen lassen, er sollte den Besuchern und natürlich auch der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden. Der Friedhof war in schlechtem Zustand, viele Grabsteine umgefallen, Inschriften unleserlich etc. Nach jüdischer Tradition darf man eigentlich an einem Grab nichts mehr machen. Wieder sprach ich mit dem hessischen Rabbiner, erklärte ihm: "Wenn hier Besucher herkommen sollen, müssen wir auch die Sicherheit im Auge haben. Deshalb sind bestimmte Reparaturen nötig. Und damit alle auch die Gräber finden, brauchen wir einen Lageplan, und wir sollten die Schriften auf den Steinen entziffern und auffrischen. Dabei half uns Herbert Naftali Sonn– sein Vater war ja Lehrer an der Jüdischen Schule gewesen. Und der Rabbiner hatte nichts dagegen.

Herr Dr. Hamberger, wir danken für dieses Gespräch. (Jutta Hamberger/ci/mw) +++


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