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Besonders bei jüngeren Usern muss auf die Nutzungsdauer geachtet werden. - Collage: O|N

REGION Familien vor großen Herausforderungen!

Wenn die Hand am Handy klebt: Sind Verbote sinnvoll? - Tipps für Eltern

21.09.20 - Ständige Erreichbarkeit, das Gefühl etwas zu verpassen. Der Blick vom Smartphone weicht nicht mehr ab - schon hat der kleine Alleskönner seinen User in den Bann gezogen. Die Medienflut kann überfordernd sein. Besonders Kinder und Jugendliche müssen auf das richtige Nutzungsverhalten aufmerksam gemacht werden. Eltern spielen hierbei eine entscheidende Rolle. "Es geht nicht darum alle zu belehren, sondern Familien für das Thema zu sensibilisieren", erklärt Dr. Oliver Nass, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut am Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda.

Dr. Oliver Nass, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut am HJK Foto: Maria Franco

Das Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda Foto: Herz-Jesu-Krankenhaus

Eine erste Anlaufstelle stellt das niederschwellige Angebot der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendlichen in Fulda dar. Zusätzliche Angebote bieten die Suchtberatungsstellen der Caritas oder Diakonie. "Dort sollte der erste Kontakt bei Problemen erfolgen. Entwickeln die Jugendlichen zusätzlich verstärkte psychische Auffälligkeiten wie Schlafstörungen, eine deutliche Stimmungsverschlechterung oder ausgeprägte Ängste, die zu weiterführenden Einschränkungen im Alltag führen, kann eine Vorstellung in unserer Klinik angestrebt werden", so der Diplom-Psychologe. 

O|N: Ab welchem Alter sollten Kinder ihr eigenes Handy nutzen? Wann ist es zu früh? Welche Rolle spielen dabei die Eltern?

Dr. Nass: Es gibt hier keine feste Altersvorgabe. Aktuell beobachten wir aufgrund der gestiegenen Verfügbarkeit der Geräte und der hohen Attraktivität eine Ausdehnung der Mobiltelefonnutzung im Bereich der Grundschule. Bisher reagierten die Familien meist bei einem Wechsel auf die weiterführende Schule, also mit Beginn der 5. Klasse, auf den häufig sozialen Druck, ein Handy anzuschaffen. Die am häufigsten angegebenen Begründungen dafür sind die Hausaufgabengruppen über Chat-Apps und Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp®. Auch der oft weite Schulweg, verbunden mit einer Bus- oder Zugfahrt, macht eine Handynutzung erforderlich. Hier dient das Mobiltelefon als Sicherheit, die Eltern im Notfall kontaktieren zu können.

Laut dem aktuellen Wissensstand ist von einem Einsatz von Smartphones im Kindergarten- und Grundschulalter abzuraten. Dies hängt auch mit der kognitiven Reife von Kindern und Jugendlichen zusammen, die sich eigentlich erst ab dem Alter von 16 Jahren klar von den Versuchungen und unbegrenzten Möglichkeiten des Internets abgrenzen und mit der Angst etwas zu verpassen umgehen können.

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Entwicklungsverläufe spielen die Eltern eine wichtige Rolle bei der Einschätzung, ob und in welchem Umfang ein Smartphone genutzt werden sollte. Dieser sollte vor dem Hintergrund einer möglichen Überforderung, sich zum Beispiel gegenüber einer Überflutung mit sogenannten Pop-Up-Nachrichten oder auch Instant-Messages abzugrenzen, klar auf wenige Stunden am Tag eingegrenzt sein. Gerade für die Nachtruhe ist von einem Verbleib des Smartphones bei Kindern oder jungen Jugendlichen abzusehen. Häufig können hier Schlafstörungen entstehen.

O|N: Wie wirkt sich intensive Handynutzung auf Kinder und Jugendliche aus? Was macht die Smartphones so interessant?

Dr. Nass: Intensive Nutzung des Handys geht meist, allein aufgrund der darauf verwendeten Zeit, mit einem sozialen Rückzug aus Aktivitäten oder auch Freundschaften einher. Es kann dann zu depressiven Verstimmungen, leichter Reizbarkeit und Schlafdefiziten beziehungsweise -störungen kommen, wenn der Stress in der realen Welt zum Beispiel durch Eltern drängender wird und der Alltag mit Schule oder Beruf nicht mehr parallel zum "Ständig-Online-Sein" bewältigt werden kann. Persönliche Kontakte werden vermieden, was zu einer gesteigerten Isolation mit vermehrten Stimmungstiefs führen kann.

Die unbegrenzten Möglichkeiten der Nutzung machen ein Smartphone so interessant. Allein die Fülle an Spiele-, Social Media- und Funktions-Apps, die zum größten Teil ja erstmal kostenfrei installiert werden können, spiegeln diesen Umstand sehr gut wider. Zudem versucht jede App-Form, gerade wenn sie wie Facebook®, Instagram® oder auch Pinterest® werbefinanziert sind, möglichst häufig auf sich aufmerksam zu machen, um den Nutzer einzubinden. Je häufiger eine App genutzt wird, desto mehr Geld verdienen die Anbieter mit der geschalteten Werbung. 

O|N: Welche gesundheitlichen Folgen können entstehen?

Dr. Nass: Halten Stimmung- und Verhaltensänderungen längerfristig an, kann es in der Folge zu Suchterkrankungen wie auch zu depressiven Verstimmungen kommen, die dann auch behandlungsbedürftig sind. Hier ist vor allem der pathologische Medienkonsum zu nennen, der sich durch eine starke Beeinträchtigung der Anforderungen im Alltag aufgrund des Spielens auszeichnet. Auch bereits bestehende psychische Störungen wie Angststörungen können durch eine exzessive Nutzung des Smartphones negativ beeinflusst werden. Zudem können die zunehmenden, intrafamiliären Konflikte rund um die Mediennutzung zu einer deutlicheren Verschlechterung des Befindens von Eltern und Geschwistern beitragen.

O|N: Ist ein Handy-Verbot sinnvoll?

Dr. Nass: Generelle Verbote sind ab einem gewissen Alter kein geeignetes Mittel, sondern eher Hinweis auf eine Überforderung der Familie im Aushandeln von Mediennutzungszeiten. Diese Nutzungs- beziehungsweise  Bildschirmzeiten sind generell sehr empfehlenswert. Orientierung sollte hier der tägliche Aufwand für die Schule im Kontrast zum Medienkonsum sein, in welchen aber auch Tablet- und TV-Zeiten einfließen sollten. Das heißt, wenn am Tag circa vier bis fünf Zeitstunden für Schule plus Hausaufgaben aufgewendet werden, sollte der Medienkonsum deutlich darunterliegen. Bei der Kalkulation allein der Fernsehzeit könnte es hier dagegen schon knapp werden. Erste Informationen und Unterstützung bekommen Eltern einfach und kostenfrei über das Internetportal www.klicksafe.de.

Entscheidend ist die kritische Selbstreflexion in Bezug auf den eigenen Medienkonsum und die Auseinandersetzung mit diesem Thema innerhalb der Familie. Jeder müsse sich den Möglichkeiten der Mediennutzung bewusst werden: Was ist angemessen? Wie kann ich mich von dem unbewussten Dauerstress lösen? Muss ich jede Pop-up-Nachricht lesen, die keinen wichtigen Inhalt vermittelt? (Maria Franco) +++


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